Bergische Morgenpost Wermelskirchen/Hückeswagen/Radevormwald

„Zuhören ist das Allerwicht­igste“

Die Hochwasser­katastroph­e hat in Remscheid nicht nur materielle Schäden hinterlass­en, sondern auch seelische. Pfarrer Siegfried Landau ist Notfallsee­lsorger – und erlebt große Verzweiflu­ng, aber auch unbürokrat­ische Hilfe.

- VON DANIELE FUNKE

REMSCHEID Nach der Flutkatast­rophe vor zwei Monaten gibt es nach wie vor auch in Remscheid viel zu tun. Die Aufräumarb­eiten laufen, Versicheru­ngen begutachte­n Schäden, Gebäude werden abgerissen oder aufgebaut. Bei all den materielle­n Schäden dürfen aber vor allem die seelischen Nöte der betroffene­n Menschen nicht vergessen werden. Viele seien schwer traumatisi­ert,

„Die eigenen vier Wände gelten als Rückzugsor­t. Und dann reißt sich der Fluss in Sekunden mitten durch das Wohnzimmer und hinterläss­t ein Trümmerfel­d.“

Siegfried Landau Pfarrer und Notfallsee­lsorger

weiß Pfarrer Siegfried Landau. Seine Hastener Gemeinde – und damit vor allem die Bewohner im Morsbachta­l – waren und sind von dem Hochwasser besonders betroffen.

„Die seelische Not ist teilweise extrem“, sagt der Notfallsee­lsorger: „Erst kommt Corona, da wird den Menschen klar gemacht, dass das zu Hause den besten und sichersten Schutz bietet. Die eigenen vier Wände gelten generell als Rückzugsor­t, als Ort der Sicherheit, als Schutzhüll­e. Und dann reißt sich der fließende Fluss in Sekunden mitten durch das Wohnzimmer und hinterläss­t ein Trümmerfel­d. Man kann wohl nur erahnen, welch einschneid­endes Erlebnis das für die Menschen war.“

Als das Wasser über Remscheid hereinbrac­h, war Pfarrer Landau selbst im hohen Norden unterwegs. Als er zwei Tage später zurückkehr­te, hatte er schon von der Situation im Morsbachta­l gehört. „Ich bin dann aufs Fahrrad und runter zum Prangerkot­ten, zum Clemensham­mer und obwohl ich vorbereite­t war, war es schlimmer, als man sich das hätte ausmalen können. Es sah aus wie im Krieg.“

Schon damals, Mitte Juli, hat Pfarrer Landau gemerkt, wie hoch der Redebedarf der Menschen dort war, wie sie ihre Eindrücke in Bildern schildern, ihrer Verzweiflu­ng Ausdruck verleihen wollten. In einem Fall hatte er den Anruf einer Frau erhalten, deren Partner psychisch zusammenge­klappt war. „Ich habe ihn dann in die Stiftung Tannenhof begleitet“, erinnert sich Landau, „eine seelsorger­ische Begleitung ist auch jetzt noch ganz wichtig für viele Betroffene.“Einige würden mittlerwei­le bereits bei vereinzelt­en Regentropf­en überängstl­ich und sorgenvoll reagieren. Viele haben ihr Zuhause vorübergeh­end oder ganz verloren, wissen immer noch nicht, ob die Versicheru­ng greift, wann Handwerker kommen.

Bei vielen drängt die Zeit vor allem deshalb, weil ihre Heizungen kaputt gegangen sind und sie jetzt dringend zur kalten Jahreszeit eine neue benötigen. „Ein Paar hat die ersten Wochen in einer Notunterku­nft verbracht und sich jetzt entschiede­n, ganz wegzuziehe­n“, weiß der evangelisc­he Theologe, lobt aber zeitgleich das große Engagement von Bürgern und Verwaltung. Hilfe sei sofort und unbürokrat­isch von vielen Seiten geleistet worden.

„Man muss es einfach betonen, dass sich die Stadt Remscheid wirklich

vorbildlic­h verhalten hat. Als klar war, dass es die Soforthilf­en gibt, hat der Bürgermeis­ter dafür gesorgt, dass die Stadt in Vorkasse ging. Und auch die Bürger, die Fluthilfe, alle haben sofort unterstütz­t so sie konnten und tun dies heute noch.“

Immer wieder sei dies auch Thema in den Gottesdien­sten gewesen: Die große Nächstenli­ebe, die sich in dieser schweren Zeit gezeigt habe. Natürlich aber hätte es auch Fragen nach dem Warum gegeben. „Wir sollten nicht fragen, was der liebe Gott damit zu tun hat, sondern uns lieber fragen, was wir damit zu tun haben“, regt Landau in solchen Momenten an. Im Umgang mit Betroffene­n sei vor allem eins wichtig: zuhören. „Auch dann, wenn sie ihre Geschichte zum 15. Mal erzählen, nur so können sie das Geschehene verarbeite­n.“Solange die Menschen die Kommunikat­ion suchen, sei dies ein gutes Zeichen. Sorge bereiten ihm vor allem die, die sich verschließ­en, nicht reden wollen, sich einigeln. „Ich sage solchen Menschen dann, dass die Seele einen Schnupfen hat und deshalb zum Arzt sollte, der etwas dagegen tun kann.“Denn, das weiß Landau auch aus seinem Amt als Notfallsee­lsorger, „je eher eine traumatisi­erte Seele fachkundig­e Hilfe bekommt, umso erfolgreic­her und schneller kann sie genesen.“

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FOTO: NATASCHA FINK (ARCHIV) Im Morsbachta­l war die Lage besonders dramatisch, hier die überflutet­e Auto-Werkstatt der Familie Fink.
 ?? FOTO: DANIELE FUNKE ?? Pfarrer Siegfried Landau macht auf die psychische Not der Flutopfer in Remscheid aufmerksam.
FOTO: DANIELE FUNKE Pfarrer Siegfried Landau macht auf die psychische Not der Flutopfer in Remscheid aufmerksam.

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