Bergische Morgenpost Wermelskirchen/Hückeswagen/Radevormwald
„Zuhören ist das Allerwichtigste“
Die Hochwasserkatastrophe hat in Remscheid nicht nur materielle Schäden hinterlassen, sondern auch seelische. Pfarrer Siegfried Landau ist Notfallseelsorger – und erlebt große Verzweiflung, aber auch unbürokratische Hilfe.
REMSCHEID Nach der Flutkatastrophe vor zwei Monaten gibt es nach wie vor auch in Remscheid viel zu tun. Die Aufräumarbeiten laufen, Versicherungen begutachten Schäden, Gebäude werden abgerissen oder aufgebaut. Bei all den materiellen Schäden dürfen aber vor allem die seelischen Nöte der betroffenen Menschen nicht vergessen werden. Viele seien schwer traumatisiert,
„Die eigenen vier Wände gelten als Rückzugsort. Und dann reißt sich der Fluss in Sekunden mitten durch das Wohnzimmer und hinterlässt ein Trümmerfeld.“
Siegfried Landau Pfarrer und Notfallseelsorger
weiß Pfarrer Siegfried Landau. Seine Hastener Gemeinde – und damit vor allem die Bewohner im Morsbachtal – waren und sind von dem Hochwasser besonders betroffen.
„Die seelische Not ist teilweise extrem“, sagt der Notfallseelsorger: „Erst kommt Corona, da wird den Menschen klar gemacht, dass das zu Hause den besten und sichersten Schutz bietet. Die eigenen vier Wände gelten generell als Rückzugsort, als Ort der Sicherheit, als Schutzhülle. Und dann reißt sich der fließende Fluss in Sekunden mitten durch das Wohnzimmer und hinterlässt ein Trümmerfeld. Man kann wohl nur erahnen, welch einschneidendes Erlebnis das für die Menschen war.“
Als das Wasser über Remscheid hereinbrach, war Pfarrer Landau selbst im hohen Norden unterwegs. Als er zwei Tage später zurückkehrte, hatte er schon von der Situation im Morsbachtal gehört. „Ich bin dann aufs Fahrrad und runter zum Prangerkotten, zum Clemenshammer und obwohl ich vorbereitet war, war es schlimmer, als man sich das hätte ausmalen können. Es sah aus wie im Krieg.“
Schon damals, Mitte Juli, hat Pfarrer Landau gemerkt, wie hoch der Redebedarf der Menschen dort war, wie sie ihre Eindrücke in Bildern schildern, ihrer Verzweiflung Ausdruck verleihen wollten. In einem Fall hatte er den Anruf einer Frau erhalten, deren Partner psychisch zusammengeklappt war. „Ich habe ihn dann in die Stiftung Tannenhof begleitet“, erinnert sich Landau, „eine seelsorgerische Begleitung ist auch jetzt noch ganz wichtig für viele Betroffene.“Einige würden mittlerweile bereits bei vereinzelten Regentropfen überängstlich und sorgenvoll reagieren. Viele haben ihr Zuhause vorübergehend oder ganz verloren, wissen immer noch nicht, ob die Versicherung greift, wann Handwerker kommen.
Bei vielen drängt die Zeit vor allem deshalb, weil ihre Heizungen kaputt gegangen sind und sie jetzt dringend zur kalten Jahreszeit eine neue benötigen. „Ein Paar hat die ersten Wochen in einer Notunterkunft verbracht und sich jetzt entschieden, ganz wegzuziehen“, weiß der evangelische Theologe, lobt aber zeitgleich das große Engagement von Bürgern und Verwaltung. Hilfe sei sofort und unbürokratisch von vielen Seiten geleistet worden.
„Man muss es einfach betonen, dass sich die Stadt Remscheid wirklich
vorbildlich verhalten hat. Als klar war, dass es die Soforthilfen gibt, hat der Bürgermeister dafür gesorgt, dass die Stadt in Vorkasse ging. Und auch die Bürger, die Fluthilfe, alle haben sofort unterstützt so sie konnten und tun dies heute noch.“
Immer wieder sei dies auch Thema in den Gottesdiensten gewesen: Die große Nächstenliebe, die sich in dieser schweren Zeit gezeigt habe. Natürlich aber hätte es auch Fragen nach dem Warum gegeben. „Wir sollten nicht fragen, was der liebe Gott damit zu tun hat, sondern uns lieber fragen, was wir damit zu tun haben“, regt Landau in solchen Momenten an. Im Umgang mit Betroffenen sei vor allem eins wichtig: zuhören. „Auch dann, wenn sie ihre Geschichte zum 15. Mal erzählen, nur so können sie das Geschehene verarbeiten.“Solange die Menschen die Kommunikation suchen, sei dies ein gutes Zeichen. Sorge bereiten ihm vor allem die, die sich verschließen, nicht reden wollen, sich einigeln. „Ich sage solchen Menschen dann, dass die Seele einen Schnupfen hat und deshalb zum Arzt sollte, der etwas dagegen tun kann.“Denn, das weiß Landau auch aus seinem Amt als Notfallseelsorger, „je eher eine traumatisierte Seele fachkundige Hilfe bekommt, umso erfolgreicher und schneller kann sie genesen.“