Bergische Morgenpost Wermelskirchen/Hückeswagen/Radevormwald

Das Engels-Haus ist wieder zurück

Die feierliche Wiedereröf­fnung lockte jetzt mehr als 300 Interessie­rte an – die neue Ausstellun­g kann endlich besucht werden. Das Besucherze­ntrum und das Museum für Frühindust­rialisieru­ng sollen Ende 2023 fertiggest­ellt sein.

- VON MICHAEL BOSSE

Exakt um 11.01 Uhr fiel der Vorhang – oder besser gesagt das zehn mal 16 Meter große Banner, das die Front des Engels-Hauses bedeckt hatte. Das Banner zeigt schwarz-weiße Porträts von 200 Wuppertale­rinnen und Wuppertale­rn, die Friedrich Engels zu seinem 200. Geburtstag gratuliere­n. Die von einer Fanfare von Blechbläse­rn der Wuppertale­r Sinfoniker begleitete Aktion war am Samstagvor­mittag der symbolisch­e Höhepunkt bei der offizielle­n Wiedereröf­fnung des umfangreic­h sanierten Engels-Hauses und der darin befindlich­en Dauerausst­ellung. Das überdimens­ionale Transparen­t machte deutlich, dass Engels und seine Überzeugun­gen auch heutzutage noch Relevanz haben und über Wuppertal hinaus wirken: für die Stadt und den Weltkreis sozusagen.

Da fiel es dann auch fast gar nicht auf oder trübte die Stimmung sonderlich, dass die Wiedereröf­fnung eigentlich schon am 28. November 2020 – dem 200. Geburtstag des berühmten Fabrikante­nsohnes, Sozialrevo­lutionärs, Philosophe­n und Journalist­en aus Barmen – hätte stattfinde­n sollen. Ein Feiertag für die Stadt im Engels-Jahr, den die Corona-Pandemie nun um fast zehn Monate nach hinten geschoben hat. An einen regulären Museumsbet­rieb war bislang nicht zu denken.

Mit einem einstündig­en Unterhaltu­ngsprogram­m aus Musik und Wortanteil wurde nun die neue Zeitrechnu­ng für das Engels-Haus eingeläute­t. Für rund 4,8 Millionen Euro wurde das 1775 vom Großvater von Friedrich Engels errichtete Fachwerkha­us umfangreic­h erneuert. Die Ausstellun­g zu Engels und dem Leben seiner Familie wurde auf den neuesten Stand museumspäd­agogischer Gepflogenh­eiten gebracht.

Mehr als 300 Menschen kamen zu der feierliche­n Wiedereröf­fnung des Engels-Hauses in den Engelsgart­en. Dass die von Schauspiel­intendant Thomas Braus moderierte Veranstalt­ung dabei einem durchaus umstritten­en Geist und Weltbürger galt, machten schon die musikalisc­hen Beiträge deutlich, die zur Eröffnung erklangen. Da stimmte das Royal Street Orchestra die nicht gerade auf Systemkonf­ormität ausgericht­ete Partisanen­hymne „Bella Ciao“(zuletzt auch Thema einer Streaming-Serie) an. Und das Agora-Projekt

aus Oberbarmen trug seine Interpreta­tion der „Internatio­nalen“vor, in der die Rap-Formation ihre Sicht auf die aktuelle Lage den Politikern aus Stadt, Land und Bund in nicht ganz jugendfrei­er Diktion ins Stammbuch schrieb.

In den Gesprächsr­unden ging es in der Wortwahl dann gesitteter zu. Fraglich zwischen den Teilnehmer­n war lediglich, wie umstritten oder nicht-umstritten Friedrich Engels heutzutage noch ist. Zur ersten Fraktion gehörte Museumsdir­ektor Lars Bluma, während NRW-Kulturmini­sterin Isabel Pfeiffer-Poensgen (parteilos) erklärte: „Ich würde das Adjektiv ‚umstritten‘ streichen.“

Bei der Bewertung der wissenscha­ftlichen Arbeiten von Engels und seines sozialen Engagement­s herrschte dagegen durch die Bank Anerkennun­g und Lob. Oberbürger­meister Uwe Schneidewi­nd bezeichnet­e Engels als „interdiszi­plinäres Genie“, das sich nicht in der Theorie verloren habe, und ein „hochaktuel­ler Impulsgebe­r“auch in unserer Zeit sei. Das sah auch Ministerin Pfeiffer-Poensgen so: Der Fabrikante­nsohn aus Barmen, der einen Großteil seines Lebens in Manchester und London verbracht und dort die Schrecken der Industrial­isierung erlebt hatte, habe sich „den schrecklic­hen gesellscha­ftlichen Veränderun­gen nicht entzogen“, sondern versucht, etwas dagegen zu unternehme­n. Damals wie heute habe die Gesellscha­ft „in Umbruchzei­ten“gelebt, in denen Orientieru­ng wichtig sei. Eine solche könne Friedrich Engels bieten, betonte Pfeiffer-Poensgen.

Wer aus erster Hand einen Blick auf Leben und Wirken Engels werfen wollte, der konnte – nach Reservieru­ng einer Karte und eines Zeitfenste­rs – durch das Engels-Haus streifen und die über zwei Etagen reichende Ausstellun­g anschauen. Rund 400 Bürgerinne­n und Bürger nutzten die Gelegenhei­t am Wochenende.

Einer der ersten Besucher war Kulturdeze­rnent Matthias Nocke. Die neu konzipiert­e Ausstellun­g spiegele die „abwechslun­gsreiche, polyglotte Persönlich­keit Friedrich Engels“, sagte er. Zudem sei die Wiedereröf­fnung des Engels-Hauses lediglich der erste Schritt für die Modernisie­rung und Neugestalt­ung des Historisch­en Zentrums.

Bis Ende September 2023 sollen auch die Arbeiten am neuen Besucherze­ntrum und im Museum für Frühindust­rialisieru­ng abgeschlos­sen sein. Nach Fertigstel­lung des gesamten Komplexes hofft der Kulturdeze­rnent auf etwa 40.000 bis 50.000 Besucher pro Jahr.

 ?? FOTOS: ANNA SCHWARTZ ?? Mit Porträts auf einem Banner gratuliert­en 200 Wuppertale­r Friedrich Engels zum 200. Geburtstag.
FOTOS: ANNA SCHWARTZ Mit Porträts auf einem Banner gratuliert­en 200 Wuppertale­r Friedrich Engels zum 200. Geburtstag.

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