Bergische Morgenpost Wermelskirchen/Hückeswagen/Radevormwald
Das Engels-Haus ist wieder zurück
Die feierliche Wiedereröffnung lockte jetzt mehr als 300 Interessierte an – die neue Ausstellung kann endlich besucht werden. Das Besucherzentrum und das Museum für Frühindustrialisierung sollen Ende 2023 fertiggestellt sein.
Exakt um 11.01 Uhr fiel der Vorhang – oder besser gesagt das zehn mal 16 Meter große Banner, das die Front des Engels-Hauses bedeckt hatte. Das Banner zeigt schwarz-weiße Porträts von 200 Wuppertalerinnen und Wuppertalern, die Friedrich Engels zu seinem 200. Geburtstag gratulieren. Die von einer Fanfare von Blechbläsern der Wuppertaler Sinfoniker begleitete Aktion war am Samstagvormittag der symbolische Höhepunkt bei der offiziellen Wiedereröffnung des umfangreich sanierten Engels-Hauses und der darin befindlichen Dauerausstellung. Das überdimensionale Transparent machte deutlich, dass Engels und seine Überzeugungen auch heutzutage noch Relevanz haben und über Wuppertal hinaus wirken: für die Stadt und den Weltkreis sozusagen.
Da fiel es dann auch fast gar nicht auf oder trübte die Stimmung sonderlich, dass die Wiedereröffnung eigentlich schon am 28. November 2020 – dem 200. Geburtstag des berühmten Fabrikantensohnes, Sozialrevolutionärs, Philosophen und Journalisten aus Barmen – hätte stattfinden sollen. Ein Feiertag für die Stadt im Engels-Jahr, den die Corona-Pandemie nun um fast zehn Monate nach hinten geschoben hat. An einen regulären Museumsbetrieb war bislang nicht zu denken.
Mit einem einstündigen Unterhaltungsprogramm aus Musik und Wortanteil wurde nun die neue Zeitrechnung für das Engels-Haus eingeläutet. Für rund 4,8 Millionen Euro wurde das 1775 vom Großvater von Friedrich Engels errichtete Fachwerkhaus umfangreich erneuert. Die Ausstellung zu Engels und dem Leben seiner Familie wurde auf den neuesten Stand museumspädagogischer Gepflogenheiten gebracht.
Mehr als 300 Menschen kamen zu der feierlichen Wiedereröffnung des Engels-Hauses in den Engelsgarten. Dass die von Schauspielintendant Thomas Braus moderierte Veranstaltung dabei einem durchaus umstrittenen Geist und Weltbürger galt, machten schon die musikalischen Beiträge deutlich, die zur Eröffnung erklangen. Da stimmte das Royal Street Orchestra die nicht gerade auf Systemkonformität ausgerichtete Partisanenhymne „Bella Ciao“(zuletzt auch Thema einer Streaming-Serie) an. Und das Agora-Projekt
aus Oberbarmen trug seine Interpretation der „Internationalen“vor, in der die Rap-Formation ihre Sicht auf die aktuelle Lage den Politikern aus Stadt, Land und Bund in nicht ganz jugendfreier Diktion ins Stammbuch schrieb.
In den Gesprächsrunden ging es in der Wortwahl dann gesitteter zu. Fraglich zwischen den Teilnehmern war lediglich, wie umstritten oder nicht-umstritten Friedrich Engels heutzutage noch ist. Zur ersten Fraktion gehörte Museumsdirektor Lars Bluma, während NRW-Kulturministerin Isabel Pfeiffer-Poensgen (parteilos) erklärte: „Ich würde das Adjektiv ‚umstritten‘ streichen.“
Bei der Bewertung der wissenschaftlichen Arbeiten von Engels und seines sozialen Engagements herrschte dagegen durch die Bank Anerkennung und Lob. Oberbürgermeister Uwe Schneidewind bezeichnete Engels als „interdisziplinäres Genie“, das sich nicht in der Theorie verloren habe, und ein „hochaktueller Impulsgeber“auch in unserer Zeit sei. Das sah auch Ministerin Pfeiffer-Poensgen so: Der Fabrikantensohn aus Barmen, der einen Großteil seines Lebens in Manchester und London verbracht und dort die Schrecken der Industrialisierung erlebt hatte, habe sich „den schrecklichen gesellschaftlichen Veränderungen nicht entzogen“, sondern versucht, etwas dagegen zu unternehmen. Damals wie heute habe die Gesellschaft „in Umbruchzeiten“gelebt, in denen Orientierung wichtig sei. Eine solche könne Friedrich Engels bieten, betonte Pfeiffer-Poensgen.
Wer aus erster Hand einen Blick auf Leben und Wirken Engels werfen wollte, der konnte – nach Reservierung einer Karte und eines Zeitfensters – durch das Engels-Haus streifen und die über zwei Etagen reichende Ausstellung anschauen. Rund 400 Bürgerinnen und Bürger nutzten die Gelegenheit am Wochenende.
Einer der ersten Besucher war Kulturdezernent Matthias Nocke. Die neu konzipierte Ausstellung spiegele die „abwechslungsreiche, polyglotte Persönlichkeit Friedrich Engels“, sagte er. Zudem sei die Wiedereröffnung des Engels-Hauses lediglich der erste Schritt für die Modernisierung und Neugestaltung des Historischen Zentrums.
Bis Ende September 2023 sollen auch die Arbeiten am neuen Besucherzentrum und im Museum für Frühindustrialisierung abgeschlossen sein. Nach Fertigstellung des gesamten Komplexes hofft der Kulturdezernent auf etwa 40.000 bis 50.000 Besucher pro Jahr.