Bergische Morgenpost Wermelskirchen/Hückeswagen/Radevormwald
Die Kunst des Kompromisses kann bei den Anhängern also Enttäuschung auslösen“, sagt Armin Schäfer, Politikwissenschaftler von der Uni Münster. Menschen, die sich und ihre Anliegen im Politikbetrieb wenig repräsentiert fühlen, gingen oft nicht zur Wahl – d
Die Regierungsbildung läuft. In diesen Tagen müssen Politiker ihre Fähigkeit zum Ausbalancieren beweisen. Doch was ist ein gutes Ergebnis, was ist der Unterschied zum Kuhhandel, und was haben Nichtwähler damit zu tun?
Nun geht es also ans Eingemachte. Die Parteien müssen sich zur Regierungsbildung auf gemeinsame Ziele einigen. Die erste Etappe ist geschafft, jetzt können die eigentlichen Koalitionsverhandlungen beginnen. Das bedeutet: SPD, Grüne und FDP müssen abrücken von dem, was sie in ihren Wahlprogrammen als Maximalforderungen aufgeschrieben haben – zumindest in Teilen. Vernünftigen Ausgleich widersprüchlicher Interessen nennt man das in der Theorie. Und natürlich geht es in der Politik nicht ohne Kompromisse. Doch in der Praxis können sie wehtun – und dem Ansehen schaden, wenn die Verhandler nicht nur Nebensächlichkeiten aufgeben müssen, sondern Forderungen, an denen ihre Identität hängt. Und für die sie gewählt wurden.
Darum besteht die Kunst des Kompromisses zum einen darin, das Geben und Nehmen, das Durchsetzen und Einlenken in eine gute Balance zu bringen. Alle Beteiligten müssen das Gefühl bekommen, in vergleichbarer Weise Abstriche machen zu müssen. Nur wenn keiner sich über den Tisch gezogen fühlt, entsteht überhaupt ein Kompromiss. Alles andere ist Trickserei. Oder noch undurchsichtiger: Kuhhandel. Damit das gelingt, müssen die Voraussetzungen stimmen. Müssen Vertrauen geschaffen und ein gemeinsames Ziel ausgegeben werden. Darum ergaben die „Vorsondierungen“durchaus Sinn.
„Um einen guten Kompromiss zu schließen, müssen alle Beteiligten die Chance bekommen, ihre Positionen klar darzulegen, und dürfen nichts verschweigen. Erst dann können sie sich in einem gemeinsamen Handeln treffen, bei dem sie das verbindende Menschliche nicht verlassen“, sagt der Philosoph
Andreas Weber. Kompromisse seien „organisierte Beziehungsstiftung“. Wenn es eine gemeinsame Basis gebe – Hannah Arendt hat dafür den Begriff des Zusammenhandelns geprägt –, könnten alle Beteiligten Abstriche machen, die für jeden Kompromiss nötig sind.
„Abstriche von den Maximalforderungen sind nichts Schlechtes“, sagt Weber. Sie seien im Gegenteil das Zeichen dafür, dass Politiker unterschiedlicher Parteien beziehungsfähig seien. „In unserer polarisierten Zeit wird Nachgeben aber oft als Schwäche dargestellt. Der Kompromiss ist fast schon gleichbedeutend geworden mit dem ‚faulen Kompromiss’, dabei liegt in der Fähigkeit, Kompromisse zu schließen, eine große Stärke.“Weber sieht in gemeinsamem Handeln das Grundgeschäft des Politischen, nicht im unverwässerten Durchdrücken von Interessen, doch werde das in den Medien oft anders dargestellt, und entsprechend verhielten sich Politiker dann auch.
Allerdings: Wähler sehen es nicht gern, wenn „ihre Partei“von dem abrückt, was sie vor der Wahl versprochen hat. Für die Macht tun die alles, heißt es dann oft. Obwohl das Streben nach Macht kein Makel ist, sondern Voraussetzung für jedes Handeln. Der Kompromiss ist also nicht schädlich für die Demokratie – gefährlicher ist es, wenn ein Teil der Bevölkerung sich in dem, was die Parteien aushandeln, nicht wiederfindet. Wenn die Bürger das Gefühl haben, über ihre Themen werde nicht gesprochen. Ihre Anliegen seien gar nicht Teil der Verhandlungsmasse. Dann erscheint der komplizierte Prozess, der jetzt zu erleben ist, nicht als Inbegriff demokratischen Handelns, sondern als abgekartetes Spiel ferner Eliten.
„Das aktuelle Ergebnis zwingt Parteien aus unterschiedlichen Lagern zusammen, die zum Teil nicht wirklich zueinander passen. Was sie aushandeln,
„Abstriche von den Maximalforderungen sind nichts Schlechtes“
Andreas Weber Philosoph