Bergische Morgenpost Wermelskirchen/Hückeswagen/Radevormwald
Impfdlurchbruche sind unvermeidlich
Dass gelegentlich Menschen trotz Impfung an Covid-19 erkranken, ist normal und war zu erwarten. Doch wie ansteckend sind Geimpfte, die dennoch erkranken, für andere?
Sie sind in diesen Tagen das Lieblingsthema von Impfskeptikern, nach dem Motto: Sehen Sie, auch mit einer Impfung kann einem das passieren! Sie haben recht. Impfdurchbrüche sind unvermeidbar, normal und erwartbar. Doch sie ereignen sich eben nur selten und nur unter bestimmten Bedingungen. Die scheinbar deutlich steigenden Zahlen, dass Geimpfte doch erkranken, spiegeln nur einen simplen Sachverhalt der Statistik: Je mehr geimpft wird, desto öfter treten Ausreißer in die sogenannte Sichtbarkeit. Das mindert aber nicht die generelle Wirksamkeit von Impfstoffen.
Was ist ein Impfdurchbruch?
Jemand erkrankt, obwohl er geimpft ist. Solche Fälle erleben wir alljährlich – nämlich bei der Grippeschutzimpfung, die in manchen Jahren sehr stark, in anderen Jahren nur mäßig effektiv ist. Auch beim Masern-Vakzin und anderen Impfstoffen gibt es, allerdings sehr selten, Impfdurchbrüche.
Welche Faktoren begünstigen einen Impfdurchbruch?
Es sind mehrere Aspekte zu berücksichtigen: Wie lange liegt die zweite Impfung zurück? Mit welchem Impfstoff wurde ich geimpft? Hatte ich möglichen Kontakt zu potenziell infektiösen Personen?
Erwiesen ist, dass die AntikörperTiter (Wirkspiegel) mit der Zeit sinken; das betrifft sowohl die IgG-Antikörper (die erst später nachweisbar sind und vor allem vor schweren Verläufen schützen) als auch die neutralisierenden Antikörper (die bereits eine Infektion verhindern). In der Immunologie gibt es die Theorie, dass der Wirkspiegel alle zwei Monate um sechs Prozent sinkt. Krankenhausmitarbeiter, die bereits im Januar mit einem mRNA-Impfstoff geimpft wurden, haben jetzt einen um 24 Prozent geminderten Schutz. Doch auch dieser Wert ist nicht zuverlässig, weil er andere Systeme der Immunantwort, nämlich die B- und T-Gedächtniszellen, nicht bemisst. Es gibt derzeit relativ viele Impfdurchbrüche in Seniorenheimen, von denen die meisten allerdings nur positiv getestet werden, ohne dass die Menschen auch nennenswert erkranken.
Waren die Impfdurchbrüche zu erwarten?
Ja. Von Anfang an war klar, welche Impfstoffe wie schützen – und diese Voraussagen sind auch eingetreten. Impfdurchbrüche traten schon in den Zulassungsstudien der Impfstoffe auf. Zwar erkrankten in der PhaseIII-Studie von Biontech ungeimpfte
Versuchspersonen mit 20-mal höherer Wahrscheinlichkeit an Covid-19 als doppelt Geimpfte, dennoch war es sicher, dass die Impfung keinen 100-prozentigen Schutz bieten würde. Impfdurchbrüche können unterschiedliche Gründe haben, etwa ein schwaches Immunsystem, wie es bei Krebspatienten während einer chemotherapeutischen Behandlung der Fall ist, oder bei Menschen mit Autoimmunerkrankungen. Auch ältere Menschen, deren Immunsystem nicht mehr gut auf Impfungen reagiert, können betroffen sein.
Wie sieht das statistisch aus?
International liegen mittlerweile genügend Daten vor; sie variieren und sind nicht ganz zu vergleichen, weil unterschiedliche Vakzine verimpft wurden. Israelische Daten, die vor allem auf Biontech-Impfungen basieren, taugen nur bedingt für einen Vergleich mit denjenigen aus Ländern, in denen – wie in Österreich – bevorzugt auf Astrazeneca gesetzt wurde. Von allen Personen, die in den vergangenen Wochen eine symptomatische Infektion hatten, waren laut Daten des Robert-KochInstituts in Deutschland etwa zehn Prozent doppelt geimpft. In Großbritannien waren es in August und September 14 Prozent der Neuinfektionen, in den Vereinigten Staaten sind es laut Schätzungen etwa 20 Prozent.
Die absoluten Zahlen in Deutschland: Wie die Zeitungen der FunkeMediengruppe berichteten, waren von den 1186 Corona-Patienten, die in Deutschland Mitte August bis Anfang September intensivmedizinisch versorgt werden mussten, 119 gegen das Virus geimpft; das sind exakt zehn Prozent. Das jeweilige verimpfte Vakzin wurde bei dieser Berechnung nicht gesondert ausgewiesen.
Welche Impfstoffe schützen besser?
Die mRNA-Impfstoffe – dies belegten schon früh die Daten der Zulassungsstudien – sind den Vektorimpfstoffen überlegen, die trotzdem noch einen relativ hohen Schutz garantieren. Die höchste Zahl von Impfdurchbrüchen gibt es bei der Einmalimpfung von Johnson & Johnson; hier muss auch zeitnah über eine mögliche Auffrischungsimpfung nachgedacht werden. Kreuzimpfungen garantieren ebenfalls einen hohen Schutz; es gab sie hierzulande vergleichsweise oft bei einer Erstimpfung mit Astrazeneca, der eine Zweitimpfung mit Biontech folgte.
Wie oft gibt es schwere Verläufe bei den Impfdurchbrüchen?
Sie sind sehr selten. Auf den deutschen Intensivstationen liegen mit überwältigender Mehrheit CovidPatienten, die ungeimpft sind; sie sind wegen der hohen Infektiosität der Delta-Variante auch deutlich jünger. Traf es in den ersten Wellen vor allem ungeimpfte ältere Menschen mit Vorerkrankungen, so sind es nun bevorzugt Patienten unter 50 Jahren, zum Teil sogar ohne Risikoprofil (Diabetes, Übergewicht, Bluthochdruck, Immunsuppression). Markantes Zeichen: Raucher sind deutlich häufiger von einem schweren Verlauf betroffen als Nichtraucher.
Warum kommt es bei Delta häufiger zu Impfdurchbrüchen?
Erwiesen ist, dass sowohl die mRNAals auch die Vektorimpfstoffe gegen die Delta-Mutante von Sars-Cov-2 schwächer wirken. Es gibt nicht nur mehr Impfdurchbrüche, bedeutsamer ist, dass die Impfungen bei Delta vor schwerer Erkrankung und Tod nicht mehr wie beim Corona-Wildtyp
und der Alpha-Variante nahezu vollständig schützen, sondern lediglich noch zu etwa 90 Prozent. Delta ist durch Mutationen gegen bestimmte Antikörper weniger empfindlich.
Wie ansteckend sind Geimpfte nach einem Impfdurchbruch?
Neueste Studien zeigen, dass Geimpfte, wenn sie sich anstecken, eine ähnlich hohe Viruslast wie Ungeimpfte haben, die aber schneller wieder abnimmt. Geimpfte sind daher nicht ganz so ansteckend. Aber sie können es sein.
Forscher der Universität Oxford haben die Daten aus der Kontaktnachverfolgung in Großbritannien ausgewertet. Ergebnis: Eine CovidImpfung senkt das Risiko, dass trotz Impfung Infizierte das Virus weitergeben, und zwar sowohl bei der Alphaals auch bei der noch ansteckenderen Deltavariante. Dieser Schutz für die Umgebung lässt jedoch allmählich nach. Drei Monate nach der zweiten Impfdosis ist das Risiko, dass mit Astrazeneca Geimpfte bei einer Infektion mit der Deltavariante eine Kontaktperson anstecken, praktisch genauso groß wie bei Ungeimpften. Auch bei Biontech ist das Risiko der Virusweitergabe dann erhöht.
Wie oft gibt es Neuinfektionen bei Genesenen?
Hierzu liegen noch keine verlässlichen Daten vor. Laut Sebastian Ulbert, Abteilungsleiter Impfstoffe und Infektionsmodelle am Fraunhofer-Institut für Zelltherapie und Immunologie in Leipzig, gibt es genug Daten, die zeigten, dass Genesene oft auch ein Jahr nach Infektion noch gut geschützt seien, auch gegen Varianten wie Delta. Bei Geimpften könne man das bisher nicht sagen, da die Studien noch nicht lange genug laufen.
Der Immunologe Carsten Watzl sagt, der Schutz bei Genesenen gehe im Laufe der Zeit wohl nicht so stark zurück wie bei Geimpften. Watzl meint deshalb zum Status der etwa vier Millionen Genesenen in Deutschland: „Die sechs Monate waren eine Schätzung, heute könnte man den Zeitraum ausdehnen.“Genesene müssen sich derzeit nach sechs Monaten einmalig impfen lassen, um wieder als zertifiziert geschützt zu gelten.
Es scheint aber so zu sein, dass bei einer Infektion ein langfristiges immunologisches Gedächtnis stimuliert werde, so Ulbert. Zwar komme es vor, dass Genesene nur wenig oder keine nachweisbaren Antikörper haben. Trotzdem, so sagt auch Watzl, könnten sie durch T-Zellen – also Gedächtniszellen – vor einer schweren Corona-Infektion geschützt sein.