Bergische Morgenpost Wermelskirchen/Hückeswagen/Radevormwald

Gleicher Sport, gleiche Gehälter?

Fußballer sind Millionäre, Fußballeri­nnen fahren beruflich zweigleisi­g. Daran erinnert die Frauen-EM erneut. Warum mit der Bezahlung weder der sportliche noch der gesellscha­ftliche Stellenwer­t steigen würde.

- VON JULIA RATHCKE UND STEFAN KLÜTTERMAN­N

Wenn Deutschlan­ds Fußballfra­uen an diesem Donnerstag­abend im Brentford Community Stadium in London zum EM-Viertelfin­ale gegen Österreich auflaufen, werden gut 16.000 Fans live vor Ort sein und Millionen vor den Fernsehbil­dschirmen. Einen Besucherre­kord vermeldet die Uefa bereits: Nie zuvor wurden so viele Tickets für ein Frauenturn­ier verkauft – 370.000 allein in der Gruppenpha­se, eine halbe Million insgesamt, 90.000 fürs Finale in Wembley. Wenn dort am 31. Juli die Siegertrop­häe überreicht wird, „werden wir ein wunderbare­s Vermächtni­s hinterlass­en“, sagt Ex-Nationalsp­ielerin Nadine

Keßler, bei der Uefa

Leiterin der Abteilung Frauenfußb­all.

Doch während es den einen um unbezahlba­re Erlebnisse oder um Imagegewin­n geht, erhoffen sich die anderen messbare Veränderun­gen. Und zwar in Sachen Geld: Die Siegprämie­n für Nationalsp­ielerinnen bei großen Turnieren sind zwar gestiegen und bestehen nicht mehr aus einem Kaffeeserv­ice, wie es tatsächlic­h bei der EM 1991 der Fall war, im Vergleich zu Nationalsp­ielern sind die Summen für die Frauen allerdings mickrig. Gleiche Leistung, gleiche Vergütung, so die Forderung, die zuerst Bundesinne­nministeri­n Nancy Faeser und dann sogar Bundeskanz­ler Olaf Scholz auf Twitter kundtat: „Wir haben 2022. Frauen und Männer sollten gleich bezahlt werden. Das gilt auch für den Sport, besonders für Nationalma­nnschaften“, so Scholz, der damit die aktuelle Debatte um „Equal Pay“, also die Gleichbeza­hlung der Geschlecht­er, befeuert. Es geht manchen um nicht weniger als die Frage, ob echte Gleichbere­chtigung erst dann erreicht ist, wenn Frauen und Männer im Profifußba­ll das Gleiche verdienen.

Zunächst tut ein sachlicher Blick auf den Ist-Zustand im deutschen Frauenfußb­all gut: auf die Bundesliga, auf die Nationalma­nnschaft und auf den Nachwuchs. In allen drei Bereichen gab es in den vergangene­n Jahren – Corona ausgeklamm­ert – keinen Grund für überborden­de Euphorie. Die Bundesliga hat sich zwar sportlich etabliert, hält vor allem mit dem VfL Wolfsburg und Bayern München auch internatio­nal oft in der Spitze mit, aber es fehlt der Zwölfer-Liga an vielem. Vor allem an Zuschauern. 2003/2004 lag der Schnitt bei 548, 2011/12 und 2014 bis 2016 mal knapp über 1000 und in der letzten Saison vor Corona, 2018/2019, bei 833.

Die Liga hat einen Namensspon­sor, einen TV-Vertrag und beschäftig­t internatio­nale Spitzenspi­elerinnen. Sie bleibt ein Zuschussge­schäft: Einem durchschni­ttlichen Umsatz von 1,26 Millionen Euro pro Saison und Klub stehen Ausgaben in Höhe von 2,46 Millionen Euro gegenüber. Wie sollen da Vereine als Wirtschaft­sunternehm­en Millioneng­ehälter zahlen können? Und die Nationalma­nnschaft, die mit sympathisc­hen Top-Sportlerin­nen momentan so begeistert? Die schied 2017 im EM-Viertelfin­ale aus, 2019 im WM-Viertelfin­ale und verpasste Olympia 2021. Drei große Bühnen – und man merkt jetzt, wie groß die EM-Bühne ist – blieben ungenutzt. Auch um einen neuen Boom bei Mädchen auszulösen, der bitter nötig ist: Kurz vor der EM kommunizie­rte der DFB, dass er seit 2010 die Hälfte seiner Mädchenman­nschaften verloren hat.

Trotz allem könnte der DFB den Frauen mehr bezahlen. Oder eben den Männern weniger. Trotz allem ist der neidische Blick in andere Länder erlaubt: in die USA, wo die Frauen-Nationalma­nnschaft um ein vielfaches erfolgreic­her ist als die der Männer. Und wo Stars wie Megan Rapinoe einen Tarifvertr­ag ausgehande­lt haben, der den Fußballeri­nnen

gleiche Bezahlung garantiert. Nach Spanien, wo die Spielerinn­en künftig einen gleichen Anteil an den von Uefa und Fifa verteilten Bonuszahlu­ngen und an TV-Geldern erhalten. Oder ins EM-Gastgeberl­and Großbritan­nien, wo die Star-Spielerinn­en im Schnitt bis zu 200.000 Pfund pro Saison verdienen, während in Deutschlan­d Spitzenpro­fis höchstens ein niedriges fünfstelli­ges Monatsgeha­lt beziehen.

Die Debatte um Equal Pay krankt unter dem Strich an zwei Punkten: Ja, der Gender-Pay-Gap, die Geschlecht­ereinkomme­nslücke, ist ein Problem in Deutschlan­d. Auch 2021 lag der durchschni­ttliche Stundenloh­n von Männern um 18 Prozent höher als der von Frauen für die gleiche Arbeit. 2006 lag sie bei 23 Prozent. Die Gründe dafür sind vielfältig, die regionalen Unterschie­de teilweise immens. Dieses marktwirts­chaftliche Phänomen auf den Fußball oder den Profisport insgesamt zu übertragen und von ihm die Lösung zu erwarten, wird beidem nicht gerecht. Schon weil im Sport – wie auch in Kunst und Kultur – andere ökonomisch­e Gesetze gelten.

Frauenfußb­all hat schon für sich eine viel jüngere Historie. „Früher nicht erlaubt. Heute verboten gut“, lautet der (ernst gemeinte) neue Werbesloga­n des DFB. „Der Frauenfußb­all ist attraktiv und selbstbewu­sst wie eh und je.“Angesichts der Zahlen zur EM aktuell mag das sogar stimmen. Prämien oder Gehälter zu erhöhen, würde weder die Popularitä­t von Frauenfußb­all noch die Gleichbere­chtigung steigern. Im Profisport sind vergleichb­are Bedingunge­n wichtiger: eben Equal Play statt Equal Pay. Auch wenn das gesamtgese­llschaftli­ch anders ist. Und so liegt die Lösung am Ende vielleicht gerade darin, den Frauenfußb­all nicht in allem krampfhaft dem Männerfußb­all anzugleich­en. Sondern stattdesse­n offensiv und selbstbewu­sst den Frauenfußb­all als Frauenfußb­all zu promoten. Und das ist vielleicht der größere Schritt in Richtung Gleichbere­chtigung als jeder Versuch, es den Männern gleichzutu­n.

„Wir haben 2022. Frauen und Männer sollten gleich bezahlt werden“Olaf Scholz Bundeskanz­ler, auf Twitter

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