Bergische Morgenpost Wermelskirchen/Hückeswagen/Radevormwald
Zum Gassparen verdonnert
Die EU will ihre Mitglieder dazu zwingen, den Verbrauch zu reduzieren.
Um Putin die Stirn zu bieten, tritt die EU-Kommission bei der Vorstellung ihres Gasnotfallplanes am Mittwoch in Brüssel in besonders breiter Aufstellung an: Kommissionschefin Ursula von der Leyen (Foto) wirft Russland Erpressung vor, Vizepräsident Frans Timmermans bezieht sich auf eine finstere „Der Winter kommt“-Dramatik, EUEnergiekommissarin Kadri Simson sagt voraus, dass der Winter zum Test nicht nur für Europas Energiesystem, sondern für die EU als Ganzes werde. Und EU-Binnenmarktkommissar Thierry Breton empfiehlt: „Wir sollten uns auf einen Winter ohne russisches Gas einstellen.“
Vier Köpfe, vier Botschaften: Tut was! Spart! Jetzt! Sonst holen wir die Daumenschrauben raus. Der Gasnotfallplan einer EUKommission ohne wirkliche Durchgriffsrechte besteht im Wesentlichen aus zwei Teilen: In der ersten Phase ab dem 1. August 2022 und bis zum 31. März 2023 soll jeder Mitgliedsstaat auf seine Weise seinen Gasverbrauch freiwillig um 15 Prozent unter dem des Durchschnitts in den vorangegangenen fünf Wintern halten. Eine reduzierte Kühlung im Sommer gehört bereits zu den empfohlenen Maßnahmen, um im Winter eine sichere Energieversorgung zu haben.
Phase zwei soll dann eintreten, wenn die Kommission aus den alle zwei Monate vorzulegenden Verbrauchsstatistiken herauslesen kann, dass das Einsparziel nicht erreicht wird. Dann soll das betreffende Land „gezwungen“werden können, mehr einzusparen. In einer detaillierten Empfehlung geht es um die Bereiche, die vor jeder GasEinschränkung sicher sind: Privathaushalte, sensible Einrichtungen wie Krankenhäuser, Unternehmen, bei denen das vorübergehende Herunterfahren der Produktion Zerstörungen oder unverhältnismäßige Kosten bedeuten würde. Dagegen sollen die Betriebe am ehesten vom Gas genommen werden, die am leichtesten umstellen können.
Zu den angehängten Empfehlungen gehört es, in öffentlichen Gebäuden, Büros und Geschäftszentren die Heizung im Winter auf 19 Grad und die Kühlung im Sommer auf 25 Grad zu beschränken. Wo immer möglich, sollte der Wechsel zu erneuerbaren Energien verstärkt werden. Von der Leyen rechnete vor, dass allein in diesem Jahr in der EU 20 Gigawatt mehr aus Erneuerbaren komme – in Gas gerechnet seien das vier Milliarden Kubikmeter. Das entspricht einem Prozent des europaweiten Gasbedarfs. Die Kommission rechnet damit, dass bei einem normalen Winter 30 Milliarden eingespart werden müssen, bei einem harten bis zu 45 Milliarden Euro. Auf der anderen Seite hat der zurückliegende milde Winter den Energieverbrauch deutlich reduziert.
Es könne auch nötig sein, vorübergehend zu Kohle, Öl oder Atomenergie zu wechseln, heißt es im Kommissionsvorschlag. Auf die Frage, ob auch Mitgliedsländer sparen müssten, die nicht von russischem Gas abhängig seien, verwies Timmermans darauf, dass die beiden Länder mit der höchsten Abhängigkeit, Deutschland und Italien, die europäische Solidarität verdient hätten. Allerdings schränkte er ein, bevor einzelne Länder andere um zusätzliche Energielieferungen bitten dürften, müssten diese nachweisen, selbst genug eingespart zu haben.
Bereits nächsten Dienstag soll der Rat der EU-Energieminister das Projekt beraten und darüber beschließen. Mindestens 15 von 27 Energieministern müssen zustimmen, und diese müssen mindestens 65 Prozent der EU-Bürger repräsentieren.