Bergische Morgenpost Wermelskirchen/Hückeswagen/Radevormwald
Der deutsche Serienkönig
Er war einer der Großen der TV-Geschichte und rückte wegen eines Vergewaltigungsvorwurfs wieder in den Fokus. Mit 82 ist Dieter Wedel gestorben.
Sicher hätte das Ganze für einen Regisseur wie Dieter Wedel Stoff für einen spektakulären TV-Mehrteiler hergegeben, wären die Details nicht so abgründig und gäbe es nicht Opfer wie die Schauspielerin Jany Tempel. Sie habe, so der „Spiegel“, „völlig perplex“auf die Nachricht vom Tod Wedels reagiert. Eigentlich habe sie gehofft, dass das Landgericht München 1 am Mittwoch mitteilen würde, ob und wann es den Prozess gegen den Regisseur eröffnen würde. Nun teilte die Justiz mit, Wedel sei bereits am 13. Juli mit 82 Jahren gestorben. „Nach langer schwerer Krankheit“, wie seine Anwälte um Peter Gauweiler hinzufügten. Das Verfahren wird eingestellt.
Die Staatsanwaltschaft hatte Wedel schon im März 2021 wegen eines Vorwurfs von 1996 angeklagt. Tempel gab an, Wedel habe sie damals in einem Münchner Luxushotel vergewaltigt – ein Vorwurf, den Wedel bestritten hatte. Wedels Anwälte sprachen bereits bei der Anklageerhebung von Vorverurteilung und betonten die Wahrscheinlichkeit, dass die Anklage gar nicht zugelassen werden könnte – obwohl das in der deutschen Justiz kaum vorkommt. In einer ersten Reaktion sagte Tempel über ihren Anwalt, sie hoffe, dass nach Wedels Tod mehr Frauen „ihre Geschichte erzählen“würden. Tempel war zuletzt sogar in den Hungerstreik getreten, um dagegen zu protestieren, dass das Gericht sich mit seiner Entscheidung über eine Verfahrenseröffnung so lange Zeit ließ.
„Aufstieg und Fall...“, das war der Plot für den ZDF-Fünfteiler „Der Schattenmann“, mit dem Wedel seine Fans 1996 an den Fernseher fesselte: eine Moritat über den integren Polizisten Charly Held, der in das Imperium des Obergangsters Janusz „Jan“Herzog eindringt, dann aber den Verlockungen des
Geldes und süßen
Lebens erliegt, viel riskiert und zum Schluss alles verliert.
Gut und Böse, Moral und Niedertracht als – durch Geld, Macht und Sex – variable Größen. Keiner verkörperte dieses Prinzip so intensiv wie der Frankfurter Pate Herzog (Mario Adorf). Held (Stefan Kurt) verheddert sich in dessen Netz. Vier Jahre zuvor hatte Adorf eine ganz andere Persönlichkeit verkörpert. Wieder einen Patriarchen, aber einen guten:
„Der Große Bellheim“, die vierteilige TV-Saga über den Leiter einer Kaufhauskette in Schieflage, öffnete den Blick für finanzielle Verquickungen und brach eine Lanze für die Wahrnehmung älterer Menschen in der Arbeitswelt.
„Der König von St. Pauli“(1998) und „Die Affäre Semmeling“(2002) zementierten Wedels Ruf als deutscher Serienkönig mit Gespür für packende Geschichten und relevante Themen – ein Johannes Mario Simmel fürs Fernsehen. Als solcher räumte er etliche Auszeichnungen ab, bekam das Bundesverdienstkreuz und drei Mal den Adolf-GrimmePreis in Gold. „Die Affäre Semmeling“greift auf den Dreiteiler „Einmal im Leben – Geschichte eines Eigenheims“zurück, ein Frühwerk Wedels aus dem Jahr 1972. Der erste große TV-Erfolg des promovierten Theaterwissenschaftlers, dem viele folgten. Wedel war auch als Theaterregisseur und Drehbuchschreiber aktiv. 2002 bis 2014 leitete er die Nibelungenfestspiele in Worms, zunächst als Regisseur, dann auch als Intendant.
Ab 2015 war Wedel Intendant der Bad Hersfelder Festspiele. Im Januar 2018 erklärte er seinen Rücktritt als Intendant, nachdem ihm mehrere Schauspielerinnen im Rahmen der „Me too“-Debatte sexualisierte Gewalt vorgeworfen hatten.
Ein Schatten senkte sich über den Schöpfer des „Schattenmanns“. Hatten die Medien zuvor noch die Chuzpe des sechsfachen Vaters gelobt und ihn als Bonvivant verehrt, wendete sich bald das Blatt. Auch TV-Kollegen traten aus der Deckung, berichteten vom toxischen Arbeitsklima am Set, von großem Druck, den der Regisseur aufbaute – und einem harschen Ton. Was letztlich passiert ist, wir werden es nicht erfahren. Der Fall ist geschlossen.
„Der König von St. Pauli“und „Die Affäre Semmeling“machten ihn berühmt