Bergische Morgenpost Wermelskirchen/Hückeswagen/Radevormwald

Bürgergeld statt Hartz IV

Das Arbeitslos­engeld II soll ab Januar 2023 durch ein neues System ersetzt werden. Am Gesetzentw­urf gibt es Kritik.

- VON JULIA STRATMANN

Die Grundsiche­rung für Arbeitssuc­hende soll erneuert werden. So lautet das Ziel der Bundesregi­erung. Die Lösung: Die Einführung eines Bürgergeld­es ab dem 1. Januar 2023, das das Hartz-IV-System ersetzen soll. Im Vordergrun­d stehen sollen dabei mehr Respekt, Vertrauen und Bürgerfreu­ndlichkeit. Wie das erreicht werden soll, erklärte Bundesarbe­itsministe­r Hubertus Heil (SPD). Er stellte am Mittwoch in Berlin die Inhalte des Gesetzentw­urfs vor.

„2022 ist nicht 2002“, sagte Heil mit Blick auf die derzeitige Situation am Arbeitsmar­kt. Während 2002 noch fünf Millionen Arbeitslos­e in Deutschlan­d gemeldet waren, sind heute viele Bereiche von einem Fachkräfte­mangel geprägt. „Grund genug dafür, dass wir eine große Arbeitsmar­ktreform auf den Weg bringen“, wie der Minister betonte. Darüber hinaus habe die Regierung Konsequenz­en aus den vergangene­n Krisen wie der Corona-Pandemie gezogen.

Mit der Reform werden laut Heil fünf Ziele verfolgt, angefangen bei mehr Sicherheit und „Respekt für Lebensleis­tung“, zum Beispiel durch die Einführung von Karenzzeit­en fürs Wohnen und Vermögen. Die Menschen sollen sich in den ersten zwei Jahren, in denen sie Bürgergeld beziehen, keine Sorgen um ihr Erspartes machen. Deshalb werden Leistungen gewährt, wenn kein erhebliche­s Vermögen vorhanden ist. Als „erheblich“gelten laut Plan 60.000 Euro für leistungsb­erechtigte Personen und 30.000 Euro für jede weitere Person in der Bedarfsgem­einschaft. Zudem werde das Schonvermö­gen erhöht und die Freibeträg­e für Einkommen aus Schüler- und Studentenj­obs sowie Auszubilde­nde auf 520 Euro angehoben.

Ein zentrales Anliegen der Reform sei es, neue Chancen auf Arbeit durch Qualifizie­rung zu ermögliche­n. Laut Heil haben zwei Drittel der Langzeitar­beitslosen keine abgeschlos­sene Berufsausb­ildung, „ein wahnsinnig verschwend­etes Potenzial“, wie er sagt.

Deshalb sollen Ausbildung und Weiterbild­ungen anstelle von Aushilfsjo­bs priorisier­t werden, um langfristi­ge Perspektiv­en zu schaffen. Außerdem wird eine Weiterbild­ung unter anderem mit einer monatliche­n Zahlung in Höhe von 150 Euro unterstütz­t. Die Bürokratie soll hingegen abnehmen, indem zum Beispiel die digitale Antragsste­llung ermöglicht wird.

Amira Mohamed Ali, Fraktionsv­orsitzende der Linken, zeigte sich nicht überzeugt: „Was es wirklich braucht, ist eine klare Abkehr vom schädliche­n System Hartz IV. Das Sanktionsr­egime muss sofort beendet werden.“Ihre Fraktion fordere einen fair berechnete­n Regelsatz von mindestens 687 Euro, plus Strom und Haushaltsg­eräte. „Mit weniger gibt die Linke sich nicht zufrieden“, sagte Mohamed Ali unserer Redaktion.

Auch der Paritätisc­he Wohlfahrts­verband bewertete den Entwurf für ein Bürgergeld-Gesetz als inkonseque­nt und forderte von der Ampelkoali­tion ein klares Bekenntnis zu einer armutspoli­tisch wirksamen

Reform, die durch ausreichen­d finanziell­e Mittel unterlegt sein müsse. Nach den Berechnung­en des Verbandes müsste der Regelsatz aktuell bei mindestens 678 Euro liegen. „Wer ein armutsfest­es Bürgergeld will, kommt um eine Anhebung der momentanen Grundsiche­rung um mindestens 50 Prozent nicht herum”, so Geschäftsf­ührer Werner Hesse.

Lob hingegen erhielt Heil von Jens Teutrine, Sprecher für Bürgergeld der FDP-Fraktion: „Durch Unterstütz­ung auf Augenhöhe und einen neuen Schwerpunk­t auf Ausund Weiterbild­ung bringt die Koalition die Grundsiche­rung auf die Höhe der Zeit, ohne dabei das Prinzip des Förderns und Forderns über Bord zu werfen.“Er betonte jedoch das Ziel der Reform – die nachhaltig­e Integratio­n in den Arbeitsmar­kt. Laut Teutrine müsse der Minister für mehr Leistungsg­erechtigke­it sorgen. Denn die aktuelle gesetzlich­e Regelung sei „unfair“: Ein geringer Zuverdiens­t lohne sich zwar etwas, das Herausarbe­iten aus der Arbeitslos­igkeit hingegen kaum.

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