Bergische Morgenpost Wermelskirchen/Hückeswagen/Radevormwald
„Ich konnte in kurzer Zeit sehr viel lernen“
Der Krieg in der Ukraine beflügelt die Debatte über eine Rückkehr zur Wehrpflicht. Dabei positionieren sich auch viele Theoretiker. Unsere Redaktion sprach mit einer Studentin, die eigene Erfahrungen bei der Bundeswehr gesammelt hat.
Selina Blumenthal (20) sieht nicht gerade aus wie jemand, der sich gerne im Schlamm wälzt. Auch der Vorstellung von einem infanteristischen Kämpfer entspricht die zarte junge Frau eher nicht. Doch Blumenthal besaß nach ihrem Abitur am Leibniz-Gymnasium etwas, das vielen jungen Leuten heutzutage fehlt: Sie war fit wie ein Turnschuh und hatte Lust auf ein reales Abenteuer.
Nachdem sie mit einem ehemaligen Soldaten in der Nachbarschaft gesprochen und Videos der Armee auf YouTube gesehen hatte, ging sie zur Karriereberatung der Bundeswehr. Blumenthal beschloss, sich zu bewerben. Drei mögliche militärische Laufbahnen habe sie damals angeben müssen, erinnert sie sich. Sie habe dann ihr Kreuz bei den Feldjägern, Gebirgsjägern und Panzergrenadieren gemacht. Dabei hätte sie als Abiturientin auch eine Laufbahn als Offizier anstreben können. Das jedoch hätte ein Studium und eine langjährige Verpflichtung als Soldatin auf Zeit bedeutet. „So etwas schreckte mich 2020 noch ab“, sagt Blumenthal und gesteht, dass sie in der Oberstufe nicht gerade fleißig war. „Mir fehlte es an Disziplin“, erklärt sie und ergänzt, dass sich diese lockere Haltung auch in den Noten widergespiegelt habe.
Auch deshalb habe sie kurz nach dem Abi zunächst keine akademischen Studien angestrebt, sondern auf eine Ausbildung gesetzt, die in erster Linie körperliche Fitness abverlangt. Eine Entscheidung, die ihr zunächst richtig erschien: „Die militärische Grundausbildung war eine tolle Zeit und fühlte sich wie ein Abenteuer-Camp an.“Blumenthal lernte, was es heißt, in einer Kaserne zu schlafen und Kameradschaft zu leben. Sie lernte schießen, marschieren und im Biwak unter freiem Himmel zu schlafen. Und sie lernte exakt jene Disziplin, die ihr bis dahin gefehlt hatte: „In der militärischen Grundausbildung geht es ja nicht nur unterhaltsam zu. Man muss sich anpassen und die Dinge durchziehen. Zudem lernt man schon nach kurzer Zeit Respekt und Selbstverantwortung.“
Darüber hinaus habe der Tag oft schon morgens um halb fünf begonnen, und bei einigen Übungen sei selbst sie an ihre körperlichen Grenzen gestoßen. „Auch Ablenkung gab es nicht, weil das Smartphone ja den ganzen Tag im Spind steckte.“Für Blumenthal waren das wichtige Erfahrungen: „Ich konnte bei der Bundeswehr in kurzer Zeit sehr viel für mein späteres Leben lernen.“Doch was sie noch bedeutsamer fand: „Durch die militärische Grundausbildung verstand ich erst, wie die Bundeswehr überhaupt funktioniert und was sie tatsächlich für unser Land bedeutet.“Dadurch habe sich auch ihre Einstellung zur allgemeinen Wehrpflicht geändert: „Als Gymnasiastin fand ich noch, dass man keinen Menschen zwingen darf, zur Bundeswehr zu gehen.“Nach den eigenen Erfahrung mit der Armee sehe sie das komplett anders: „Heute denke ich, dass es 2011 ein großer Fehler war, die Wehrpflicht auszusetzen. Im Kriegsfall stehen wir jetzt als ein Land da, in dem die Mehrheit der Menschen keinerlei Bezug zu den Soldaten hat, die sie verteidigen sollen.“
Kritisch sieht Blumenthal auch „die vielen Kommentare von Theoretikern zur Bundeswehr, insbesondere seit dem Kriegsausbruch in der Ukraine“. Natürlich könne jeder seine Meinung über die Armee äußern. „Aber fundiert über die Truppe sprechen kann meiner Ansicht nach nur derjenige, der die Streitkräfte und ihre Struktur auch selbst kennengelernt hat.“Was nicht heiße, dass man anschließend nur voller Euphorie ist: „Auch ich kam nach fünf Monaten zu dem Schluss, dass ich von meinem Recht, innerhalb der ersten sechs Monate zu kündigen, Gebrauch machen möchte.“Das habe jedoch hauptsächlich daran gelegen, dass ihr die Ausbildung zur Soldatin der Panzergrenadiertruppe zum damaligen Zeitpunkt schon nach nach wenigen Wochen sinnlos vorgekommen sei: „Ich stellte mir in der Spezialausbildung, die auf die
Grundausbildung folgt, schon nach kurzer Zeit die Frage, wann ich jemals von einem Leopard-Panzer herunterspringen oder neben ihm herlaufen würde, um feindliche Infanterie zu bekämpfen.“
Heute, nach fast einem halben Jahr Krieg in der Ukraine, „mit Waffenlieferungen aus unseren Beständen und einer ständigen Zuspitzung des Konflikts“, sehe das völlig anders aus: „Inzwischen kann doch niemand mehr ausschließen, dass der Krieg weiter nach Westen und auch nach Deutschland kommt.“Sollte das passieren, würde es sich rächen, „dass die meisten Angehörigen meiner Generation Kriegsszenarien nur aus Computerspielen kennen“. Selbst sie könne nach nur wenigen Monaten bei der Bundeswehr kaum etwas zur Landesverteidigung beisteuern. „Aber ich habe in den intensiven Tagen in der Rekrutenkompanie zumindest die militärische Grundbefähigung erreicht.“Sie wisse also, wie man eine Waffe hält, sich im Gelände orientiert und
einem verwundeten Kameraden hilft. Zudem könne sie ein Funkgerät bedienen und ABC-Schutzmaßnahmen ergreifen.
Vor allem aber kenne sie jetzt den Auftrag der Armee im Detail und wisse, „dass man die Bundeswehr auf keinen Fall nur mit Krieg assoziieren darf“. Denn die Truppe engagiere sich in der Gesellschaft an ganz vielen Fronten. Auch vor diesem Hintergrund wäre es nur gerecht, „wenn es wieder einen Dienst gäbe, den jeder Mensch in Deutschland nach der Schule absolvieren muss“. Warum das oft als Freiheitsbeschränkung dargestellt wird, erschließe sich ihr nicht: „Deutschland setzt sich aus uns allen zusammen. Wer hier dauerhaft sicher leben will, sollte auch etwas dazu beisteuern oder sich fragen, was er stattdessen für sein Land tun kann.“Optionen wie ein Freiwilliges Soziales Jahr gebe es jetzt schon genug. „Und wer mit der Armee nicht hadert, kann auch alternativ den Freiwilligen Wehrdienst absolvieren.“