Bergische Morgenpost Wermelskirchen/Hückeswagen/Radevormwald
Auf was warten wir noch?
Wer den Frieden in der Ukraine will, muss ihn militärisch erstreiten – auch mit deutschen Panzern, betont die FDP-Politikerin und Vorsitzende des Verteidigungsausschusses des Bundestags.
Die derzeitigen militärischen Erfolge der ukrainischen Armee kommen für viele überraschend. Unmittelbar nach dem Überfall auf die Ukraine glaubten selbst Militärexperten an einen schnellen Sieg Russlands. Die große Widerstandsfähigkeit der ukrainischen Bevölkerung, der Kampfgeist der Streitkräfte, ihr strategisches Geschick und nicht zuletzt die westlichen Waffenlieferungen haben dazu geführt, dass die Ukraine den Angriffen bisher standhalten konnte. Die erfolgreichen Gegenangriffe stellen zwar noch keine militärische Wende dar – sie zeigen aber, dass sich die Front nicht zwingend nur gen Westen verschiebt.
Das ist nicht nur für diejenigen bedeutsam, die in russisch besetzten Gebieten ausharren müssen, es ist auch ein wichtiges Zeichen für die freie westliche Welt. Es zeigt sich, dass die Ukraine in der Lage ist, dem Überfall etwas entgegenzusetzen. Mit jedem bisschen Raum, das sie zurückgewinnt, wird die Wahrscheinlichkeit größer, den Krieg zu gewinnen. Dazu brauchen die Ukrainer aber nicht nur anhaltend, sondern qualitativ und quantitativ der Lage angepasstes militärisches Gerät. Heißt: Deutschland muss sofort über die Brückenlegeund Bergepanzer hinaus auch Panzer liefern, die im Gefecht eingesetzt werden können und mit denen die Ukraine russische Stellungen bekämpfen kann. Die Ukraine braucht umgehend den Transportpanzer Fuchs, um die hohe Mobilität und Flexibilität ihrer Streitkräfte aufrecht erhalten zu können, den Schützenpanzer Marder und letztlich auch den Kampfpanzer Leopard 2.
Denn die jüngsten Gebietsgewinne wurden nicht im direkten Gefecht errungen. Die russische Armee wurde durch den Einsatz schwerer Artillerie mit gezielten Schlägen gegen die Infrastruktur und den Nachschub zum Rückzug gezwungen. Marder und Leopard würden die ukrainischen Fähigkeiten steigern, diesen Vorstoß nun zu präzisieren. Die Rückeroberung von durch den Feind besetztem Gebiet ist völkerrechtskonform das Recht auf Selbstverteidigung. Dazu gehört auch die Lieferung von Schützenund Kampfpanzern westlicher Bauart, um dem Überfallenen beizustehen. Wer anführt, dass deutsche Panzer in der Ukraine nichts zu suchen haben, verkennt die Tatsache, dass es völlig unerheblich ist, wer den Panzer entworfen hat und wo er gebaut worden ist. Entscheidend ist, wer den Panzer führt: Und das sind ausschließlich ukrainische Soldaten. Wie bizarr diese Debatte inzwischen ist, zeigt die Ignoranz mancher in Bezug darauf, dass Waffen deutscher Bauart schon längst in der Ukraine im Einsatz sind. Deutschland liefert zudem bald das technologisch hochwertige System Iris-T, ein System von Boden-Luft-Lenkflugkörpern, das federführend von einer deutschen Firma entwickelt und hergestellt wird. In diesem Fall scheint die Sorge vor einer Eskalation des Krieges offensichtlich nicht vorhanden zu sein. In der Bundesregierung wird bereits seit Wochen über die mögliche Lieferung von Schützen- und Kampfpanzern diskutiert und stets behauptet, wir dürften uns keine Alleingänge leisten, obwohl nicht einer unserer Verbündeten einer möglichen Lieferung widersprochen hätte.
Im Gegenteil: Die USA ermuntern uns diplomatisch deutlich, mehr Waffen an die Ukraine zu liefern. Jens Stoltenberg, Generalsekretär der Nato, hinterfragt unverhohlen die deutsche Waffenpolitik. Auf die Frage, ob Alliierte im Zweifel eher Fähigkeitsziele des Bündnisses erfüllen sollten als der Ukraine noch mehr Ausrüstung zu liefern, sagte er unmissverständlich, dass er eine Niederlage der Ukraine für gefährlicher hielte als unterplanmäßig gefüllte Waffenlager.
Eine Niederlage der Ukraine würde eine Niederlage für die wertebasierte freie westliche Welt bedeuten
Keiner im Bündnis warnt bei der Frage von Waffenlieferungen vor einem deutschen Alleingang. Aber man nimmt das Wegducken vor der eigenen Courage zur Kenntnis. Unsere westlichen Verbündeten erwarten von uns, dass wir die Initiative ergreifen und der angekündigten „Zeitenwende“auch Taten folgen lassen. Die schwächste Rechtfertigung für das Verweigern weiterer Waffenlieferungen hat aber Generalinspekteur Eberhard Zorn kürzlich geliefert. Das lässt deswegen aufhorchen, weil er der militärische Berater des Kanzlers ist. Er unterstellt nämlich den Befürwortern von Waffenlieferungen, man wolle die Bundeswehr schwächen, wenn man Gerät aus deren Bestand nähme. Er übersieht erstens: Es geht nicht nur um Waffensysteme aus Bundeswehrbeständen, auch ausgemusterte Panzer in Industriebestand können geliefert werden. Zweitens: Niemand in der Nato, auf deren uneingeschränkten Beistand wir uns verlassen können, wird es uns verübeln, wenn wir unsere Nato-Zielmarken nicht erfüllen können, wenn wir Waffen an die Ukraine liefern. Das aber Wichtigste ist: Eine Niederlage der Ukraine würde eine Niederlage für die wertebasierte freie westliche Welt bedeuten.
Unsere eigene Sicherheit wird in den kommenden Jahrzehnten nämlich davon berührt sein, sollte ein Autokrat wie Putin langfristig damit Erfolg haben, Grenzen zu überschreiten und die Integrität anderer Länder in Frage zu stellen. Das Ziel ist daher glasklar und jede Ausrede ziemlich unerträglich: Die Ukraine muss diesen Krieg gewinnen. Deutschland muss sich unmissverständlich dazu bekennen, nicht nur mit hehren Worten an der Seite der Ukraine zu stehen. Putin muss seine Soldaten zurückbeordern. Er muss sofort das weitere Morden, Vergewaltigen, Foltern und Brandschatzen beenden. Um das durchzusetzen, müssen die Angriffe auf russische Stellungen stärker werden. Wer den Frieden in der Ukraine will, muss ihn militärisch erstreiten. Auf was, um Himmels Willen, warten wir noch?