Bergische Morgenpost Wermelskirchen/Hückeswagen/Radevormwald
Proteste gegen Regime im Iran
Die Religionspolizei hat eine junge Frau totgeprügelt, weil sie ihr Kopftuch falsch trug. Nicht nur im Land selbst ist die Wut groß.
Im Iran regt sich Protest gegen die Gewalt der Sittenpolizei. Die Polizisten hatten eine junge Frau totgeprügelt, weil sie nach ihrer Meinung ihr Haar nicht streng genug mit einem Kopftuch verhüllte. Darauf gingen Demonstranten in mehreren Städten am Wochenende gegen das theokratische Regime auf die Straße. Auch in Berlin und anderen Städten außerhalb des Irans gab es Protestaktionen. Der Fall zeigt das Ausmaß der Entfremdung zwischen dem Regime und der jungen Bevölkerung des Landes, die sich gegängelt fühlt und keine Perspektiven für ihre Zukunft sieht.
Die 22-jährige Mahsa Amini starb nach ihrer Festnahme durch die Sittenwächter in Teheran, die ihr einen Verstoß gegen den Kopftuchzwang für Frauen in der Islamischen Republik vorwarfen. Die Führung versucht, Aminis Tod als Folge von Herzversagen herunterzuspielen, doch Präsident Ebrahim Raisi ist offenbar beunruhigt: Er ordnete noch während einer Auslandsreise eine Untersuchung an.
Islamische Hardliner versuchen seit Jahren, die Kopftuchpflicht durchzusetzen, treffen aber auf wachsenden Widerstand. Viele Frauen legen nur ein lockeres Tuch um, das ihr Haar größtenteils frei lässt. Seit Protesten gegen das Kopftuch vor fünf Jahren und besonders seit dem Amtsantritt des Hardliners Raisi im vergangenen Jahr setzt die Religionspolizei den Kopftuchzwang häufiger mit aggressiven Mitteln durch. Auch Mahsa Amini trug lediglich ein lockeres Kopftuch, wie Fotos von ihr in den sozialen Medien zeigten. Ob sie die strenge Form des Kopftuchs aus politischen Gründen ablehnte, ist nicht bekannt. Die junge Frau lebte in Saqez im westiranischen Kurdengebiet und war mit ihren Eltern zu Besuch in Teheran, als sie am vorigen Dienstag von der Religionspolizei festgenommen wurde. Die Sittenwächter hätten die 22-Jährige zwingen wollen, ihr Haar nach den Regeln der Islamischen Republik ganz zu verhüllen, erklärte Amnesty International.
Die Religionspolizisten nahmen Amini fest und verprügelten sie in einem Bus, wie mehrere Medien unter Berufung auf Augenzeugen meldeten. Die junge Frau fiel daraufhin ins Koma und starb drei Tage nach ihrer Festnahme in einem Krankenhaus. Die Behörden erklärten den Tod mit einem Herzinfarkt, doch ihre Familie erklärte, sie habe keine Herzerkrankungen gehabt. „Iran International“, ein Medium der ExilOpposition, berichtete unter Berufung auf Krankenhauskreise, Amini habe schwere Kopfverletzungen durch Schläge erlitten. Sie sei bereits bei Einlieferung in die Klinik hirntot gewesen.
Hunderte Menschen nahmen an Aminis Beisetzung am Samstag in Saqez teil und riefen Parolen gegen das Regime. Frauen zogen sich als Zeichen des Protests das Kopftuch aus, wie die britische BBC meldete. Nach Angaben der Opposition verlor ein Demonstrant beim Gewalteinsatz der Sicherheitskräfte ein Auge. In Sanandasch, der Hauptstadt der Provinz Kurdistan, schritten am Sonntagabend Sicherheitskräfte bei Demonstrationen ein. Dabei sollen Warnschüsse gefallen sein. Mehrere Menschen seien verletzt worden, hieß es aus der Provinz. Auch vor dem Krankenhaus in Teheran, in dem Amini starb, gab es Protest. Am Sonntag gingen Studenten der Teheraner Uni auf die Straße. Prominente iranische Künstler und Sportler verdammten das Vorgehen der Religionspolizei. Die Behörden drosselten das Internet, um die Verbreitung von Videos und Demonstrationsaufrufen zu erschweren.
Die Proteste stellen zwar keine unmittelbare Gefahr für Raisis Regierung dar: Die Führung der Islamischen Republik konnte in den vergangenen Jahren wesentlich größere Unruhen niederschlagen; dabei wurden Hunderte Demonstranten getötet. Raisis Entscheidung, von einem Besuch in Usbekistan aus eine sofortige Untersuchung von Aminis Tod anzuordnen, zeigt aber, dass die Regierung besorgt ist.
Im Iran ist mehr als jeder zweite Bürger jünger als 30 Jahre und hat damit gar kein anderes Regierungssystem erlebt als die Islamische Republik. Die Islamisierung des Landes seit der Revolution vor mehr als 40 Jahren hat die meisten jungen Iraner aber gerade nicht zu Anhängern des Regimes gemacht, im Gegenteil: Viele von ihnen sind nach Einschätzung von Experten wegen Korruption und Wirtschaftskrise desillusioniert und wollen das Land verlassen. Zwischen dem Regime und vielen jungen Iranern klaffe ein breiter Graben, meint Lena Loch von der Denkfabrik Friends of Europe, die von der EU mitgegründet wurde. (mit dpa)