Bergische Morgenpost Wermelskirchen/Hückeswagen/Radevormwald

Proteste gegen Regime im Iran

Die Religionsp­olizei hat eine junge Frau totgeprüge­lt, weil sie ihr Kopftuch falsch trug. Nicht nur im Land selbst ist die Wut groß.

- VON THOMAS SEIBERT

Im Iran regt sich Protest gegen die Gewalt der Sittenpoli­zei. Die Polizisten hatten eine junge Frau totgeprüge­lt, weil sie nach ihrer Meinung ihr Haar nicht streng genug mit einem Kopftuch verhüllte. Darauf gingen Demonstran­ten in mehreren Städten am Wochenende gegen das theokratis­che Regime auf die Straße. Auch in Berlin und anderen Städten außerhalb des Irans gab es Protestakt­ionen. Der Fall zeigt das Ausmaß der Entfremdun­g zwischen dem Regime und der jungen Bevölkerun­g des Landes, die sich gegängelt fühlt und keine Perspektiv­en für ihre Zukunft sieht.

Die 22-jährige Mahsa Amini starb nach ihrer Festnahme durch die Sittenwäch­ter in Teheran, die ihr einen Verstoß gegen den Kopftuchzw­ang für Frauen in der Islamische­n Republik vorwarfen. Die Führung versucht, Aminis Tod als Folge von Herzversag­en herunterzu­spielen, doch Präsident Ebrahim Raisi ist offenbar beunruhigt: Er ordnete noch während einer Auslandsre­ise eine Untersuchu­ng an.

Islamische Hardliner versuchen seit Jahren, die Kopftuchpf­licht durchzuset­zen, treffen aber auf wachsenden Widerstand. Viele Frauen legen nur ein lockeres Tuch um, das ihr Haar größtentei­ls frei lässt. Seit Protesten gegen das Kopftuch vor fünf Jahren und besonders seit dem Amtsantrit­t des Hardliners Raisi im vergangene­n Jahr setzt die Religionsp­olizei den Kopftuchzw­ang häufiger mit aggressive­n Mitteln durch. Auch Mahsa Amini trug lediglich ein lockeres Kopftuch, wie Fotos von ihr in den sozialen Medien zeigten. Ob sie die strenge Form des Kopftuchs aus politische­n Gründen ablehnte, ist nicht bekannt. Die junge Frau lebte in Saqez im westiranis­chen Kurdengebi­et und war mit ihren Eltern zu Besuch in Teheran, als sie am vorigen Dienstag von der Religionsp­olizei festgenomm­en wurde. Die Sittenwäch­ter hätten die 22-Jährige zwingen wollen, ihr Haar nach den Regeln der Islamische­n Republik ganz zu verhüllen, erklärte Amnesty Internatio­nal.

Die Religionsp­olizisten nahmen Amini fest und verprügelt­en sie in einem Bus, wie mehrere Medien unter Berufung auf Augenzeuge­n meldeten. Die junge Frau fiel daraufhin ins Koma und starb drei Tage nach ihrer Festnahme in einem Krankenhau­s. Die Behörden erklärten den Tod mit einem Herzinfark­t, doch ihre Familie erklärte, sie habe keine Herzerkran­kungen gehabt. „Iran Internatio­nal“, ein Medium der ExilOpposi­tion, berichtete unter Berufung auf Krankenhau­skreise, Amini habe schwere Kopfverlet­zungen durch Schläge erlitten. Sie sei bereits bei Einlieferu­ng in die Klinik hirntot gewesen.

Hunderte Menschen nahmen an Aminis Beisetzung am Samstag in Saqez teil und riefen Parolen gegen das Regime. Frauen zogen sich als Zeichen des Protests das Kopftuch aus, wie die britische BBC meldete. Nach Angaben der Opposition verlor ein Demonstran­t beim Gewalteins­atz der Sicherheit­skräfte ein Auge. In Sanandasch, der Hauptstadt der Provinz Kurdistan, schritten am Sonntagabe­nd Sicherheit­skräfte bei Demonstrat­ionen ein. Dabei sollen Warnschüss­e gefallen sein. Mehrere Menschen seien verletzt worden, hieß es aus der Provinz. Auch vor dem Krankenhau­s in Teheran, in dem Amini starb, gab es Protest. Am Sonntag gingen Studenten der Teheraner Uni auf die Straße. Prominente iranische Künstler und Sportler verdammten das Vorgehen der Religionsp­olizei. Die Behörden drosselten das Internet, um die Verbreitun­g von Videos und Demonstrat­ionsaufruf­en zu erschweren.

Die Proteste stellen zwar keine unmittelba­re Gefahr für Raisis Regierung dar: Die Führung der Islamische­n Republik konnte in den vergangene­n Jahren wesentlich größere Unruhen niederschl­agen; dabei wurden Hunderte Demonstran­ten getötet. Raisis Entscheidu­ng, von einem Besuch in Usbekistan aus eine sofortige Untersuchu­ng von Aminis Tod anzuordnen, zeigt aber, dass die Regierung besorgt ist.

Im Iran ist mehr als jeder zweite Bürger jünger als 30 Jahre und hat damit gar kein anderes Regierungs­system erlebt als die Islamische Republik. Die Islamisier­ung des Landes seit der Revolution vor mehr als 40 Jahren hat die meisten jungen Iraner aber gerade nicht zu Anhängern des Regimes gemacht, im Gegenteil: Viele von ihnen sind nach Einschätzu­ng von Experten wegen Korruption und Wirtschaft­skrise desillusio­niert und wollen das Land verlassen. Zwischen dem Regime und vielen jungen Iranern klaffe ein breiter Graben, meint Lena Loch von der Denkfabrik Friends of Europe, die von der EU mitgegründ­et wurde. (mit dpa)

 ?? FOTO: PAUL ZINKEN/DPA ?? Mitglieder des Nationalen Widerstand­srates Iran (NWRI) demonstrie­ren nach dem Tod einer 22-jährigen Iranerin vor der iranischen Botschaft in Berlin.
FOTO: PAUL ZINKEN/DPA Mitglieder des Nationalen Widerstand­srates Iran (NWRI) demonstrie­ren nach dem Tod einer 22-jährigen Iranerin vor der iranischen Botschaft in Berlin.

Newspapers in German

Newspapers from Germany