Bergische Morgenpost Wermelskirchen/Hückeswagen/Radevormwald
Ein wortgewordener Wutausbruch
„Gegenangriff“ist die bitterböse Streitschrift einer Autorin mit dem Pseudonym Nadja Niemeyer.
Es gibt erste Sätze, die möchte man in Stein meißeln. Der aus „Gegenangriff“gehört dazu: „Der Untergang der Menschheit begann mit einem Katzenvideo.“So lapidar diese Apokalypse daher kommt – mit dem Bild von niedlichen Miezen vor Augen, millionenfach in den sozialen Medien geteilt, so zynisch, so abgründig und so radikal ist diese Zukunftsvision, der die Urheberin – oder vielleicht auch der Urheber – den Titel „Gegenangriff. Ein Pamphlet“gegeben hat.
Nadja Niemeyer steht als Autorin auf dem Cover der Streitschrift. Es ist ein Pseudonym für jemanden, der – oder vermutlich die – nicht über Naturschutz und Artenvielfalt mitdiskutieren will, und die ihrem „wortgewordenen Wutausbruch“nichts hinzuzufügen hat, heißt es im
Klappentext. Gemutmaßt wurde: Es könnte sich um Elfriede Jelinek oder Sybille Berg handeln. Aber man weiß es nicht. Fest steht: Es ist jemand, der die Sprache wie ein Skalpell zu handhaben versteht: klar, scharf, kühl. Verlogenheiten werden seziert, wohlfeile Phrasen über den Naturschutz dekonstruiert, das Ende der Menschen protokolliert, ohne mit der Moralkeule zu fuchteln.
Der Untergang jedenfalls beginnt am 10. Januar 2034 in einem Biotech-Forschungsunternehmen, in dem zwei Katzen – Professor Einstein und Madame Curie – einen bemerkenswert cleveren Raub begehen. Die Tiere agieren außergewöhnlich koordiniert und zielorientiert, was die Menschen, die gut unterhalten ihrem Ende entgegen tapsen, nicht ernsthaft beunruhigt.
Vom niedlichen Katzenvideo bis zum Untergang ist es nicht weit.
Rinder rebellieren. Sie töten ihren ach so tierliebenden Ökobauern und marschieren gen Schlachthaus. Wildschweine zerstören Weizenfelder; Ratten zerbeißen Stromkabel; Fledermäuse terrorisieren eine Stadt. Ein bisschen wie George Orwells „Animal Farm“und Frank Schätzings „Der Schwarm“, aber böser, härter, kälter.
Die Tierwelt hat radikal an Intelligenz gewonnen und rottet sich konspirativ zusammen. Ironie des Schicksals: Ein von Menschenhand hergestelltes und fehlgeleitetes Virus hat den fatalen Intelligenzanstieg der Tiere verursacht. Nutz- und Wildtiere setzen ihr Leben aufs Spiel, um Homo sapiens zur eigenen Auslöschung zu treiben. Mit beachtlichem Erfolg.
Das Desaster nimmt Fahrt auf: Globale Lieferketten brechen zusammen, Nahrungsknappheit,
Hungersnöte, Pflegeheime und Krankenhäuser gehen bankrott mit den letalen Folgen für Arme, Kranke und Schwache. Der Mensch erweist sich dem Menschen als Wolf. In Deutschland werden Flüchtlinge in den Wald getrieben und gejagt. Indien führt die Witwenverbrennung wieder ein. In China lässt man analog zur Ein-Kind-Kampagne alte Menschen verhungern. Es ist eine Kakophonie der Katastrophen bis zum ganz großen Knall.
Erzählt wird diese Vision von einem gesichtslosen, gefühlskalten Erzähler, der das Geschehen mit zurückhaltendem Spott protokolliert, bis hin zu der Bilanz: „Der Verlust an Menschenleben betrug erfreuliche 98 Prozent.“
Info Nadja Niemeyer: „Gegenangriff. Ein Pamphlet“. Diogenes, 176 Seiten, 18,50 Euro.