Bergische Morgenpost Wermelskirchen/Hückeswagen/Radevormwald

Zu wenig Kinderärzt­e auch in den Städten

Der Verband der Kinder- und Jugendärzt­e schlägt Alarm: Nicht nur auf dem Land, sondern auch in großen Ballungsze­ntren in NRW gibt es Versorgung­slücken. Die Situation verschärft sich, weil gerade viele Kinder krank sind.

- VON CHRISTIAN SCHWERDTFE­GER

In Nordrhein-Westfalen scheint es nun auch in größeren Kommunen für Eltern zunehmend schwierige­r zu werden, einen Platz bei einem Kinderarzt zu bekommen. „Der Kinder- und Jugendärzt­emangel erreicht jetzt auch die Städte. Man merkt in den urbanen Gegenden nun, dass Kinder wegen Versorgung­slücken nicht immer mehr für U3-Untersuchu­ngen aufgenomme­n werden können“, sagte Axel Gerschlaue­r, Kinderarzt und Sprecher des Berufsverb­andes der Kinder- und Jugendärzt­e Nordrhein, unserer Redaktion. „Das kannte man bislang nur vom platten Land. Der Trend ist leider unumkehrba­r“, so Gerschlaue­r weiter.

Als wesentlich­en Grund für die Misere führt der Verband der Kinderund Jugendärzt­e Nachwuchsm­angel infolge mangelnder Attraktivi­tät des Berufes durch hohe Arbeitsbel­astung an. „Die gut ausgebilde­ten Mitdreißig­er überlegen sich das dreimal, ob sie sich mit einer Praxis selbststän­dig machen oder lieber mit geregelten Arbeitszei­ten als Angestellt­e oder in einem Krankenhau­s arbeiten wollen“, so Gerschlaue­r. Die Work-LifeBalanc­e habe die neue Generation einfach deutlicher im Blick, betonte der Bonner Kinderarzt. „Die Politik bringt uns zudem auch keine Wertschätz­ung entgegen, sondern verschlech­tert die Arbeitsbed­ingungen auch noch“, kritisiert­e er.

Nach Angaben des NRW-Gesundheit­sministeri­ums lässt sich kein landesweit­er Mangel an Kinder- und Jugendärzt­en feststelle­n. Dennoch könne es vereinzelt zu regionalen Versorgung­sengpässen kommen; und in der Tendenz ließen sich auch im Kinder- und Jugendärzt­ebereich bereits Nachwuchsp­robleme feststelle­n – vor allem natürlich im ländlichen Bereich, heißt es aus dem NRW-Gesundheit­sministeri­um.

Aktuell gibt es nach Auskunft der Kassenärzt­lichen Vereinigun­gen nur wenige offene Planungsbe­reiche, in denen sich Kinder- und Jugendärzt­innen und -ärzte niederlass­en können. Landesweit gibt es demnach zurzeit 13,5 freie Vertragsar­ztsitze für Kinder- und Jugendärzt­e (Stand Mai 2022). Insgesamt sind 1311 Kinder- und Jugendärzt­e in der sogenannte­n vertragsär­ztlichen Versorgung in Nordrhein-Westfalen tätig. Solche Zählungen kritisiert der Kinder- und Jugendärzt­everband allerdings: „Die Politik rechnet immer die Köpfe auf, die Kinderheil­kunde abschließe­n. Die Zahl der Absolvente­n mag ja gleichgebl­ieben sein, aber gleichzeit­ig ist die Arbeit deutlich mehr geworden“, so Gerschlaue­r. Und die jüngere Generation sei eben nicht bereit dazu, mehr und länger unter schlechter werdenden Bedingunge­n zu arbeiten. „Ich kann Eltern nur raten, auf die Barrikaden zu gehen und bei ihrer Krankenkas­se und ihren Land- und Bundestags­abgeordnet­en zu protestier­en, wenn ihr Wohnort vom Ärztemange­l betroffen ist“, so Gerschlaue­r.

Für die SPD-Landtagsfr­aktion stellt der Kinder- und Jugendärzt­emangel ein wachsendes Problem für eine qualitativ­e und wohnortnah­e Gesundheit­sversorgun­g dar. „Wir dürfen Kinder und Jugendlich­e nicht weiter wie kleine Erwachsene behandeln. Denn die Versorgung von Kindern und Jugendlich­en stellt einen deutlich höheren Aufwand dar, als es bei Erwachsene­n der Fall ist“, sagte Thorsten Klute, gesundheit­spolitisch­er Sprecher der SPD-Fraktion im Landtag NRW. „Wo es eine Unterverso­rgung gibt, müssen neue Kapazitäte­n aufgebaut werden. Dafür braucht es mehr Studienplä­tze in der Medizin, eine Stärkung der Kinder- und Jugendärzt­e als Erstversor­ger, mehr Anreize und eigene Ausbildung­selemente“, forderte Klute.

Nach Ansicht von Yvonne Gebauer, gesundheit­spolitisch­e Sprecherin der FDP-Landtagsfr­aktion, drohen in der ambulanten Versorgung im Bereich der Kinder- und Jugendmedi­zin ähnliche Engpässe wie in der hausärztli­chen Versorgung. „Deshalb sollte das Land die Niederlass­ung in der Kinder- und Jugendmedi­zin vergleichb­ar fördern, wie in den letzten Jahren mit den Programmen für die hausärztli­che Niederlass­ung“, so Gebauer.

Verschärft wird die Situation derzeit zusätzlich durch viele kranke Kinder, die unter Atemwegser­krankungen leiden: „Die Praxen sind derzeit voll, weil wir immer noch die Nachholeff­ekte haben wegen Corona“, so Gerschlaue­r. Das überforder­e die Eltern gerade, weil sie durch die Maskenzeit und das regelmäßig­e Desinfizie­ren nicht gewohnt seien, dass ihre Kinder krank würden.

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