Bergische Morgenpost Wermelskirchen/Hückeswagen/Radevormwald
Zu wenig Kinderärzte auch in den Städten
Der Verband der Kinder- und Jugendärzte schlägt Alarm: Nicht nur auf dem Land, sondern auch in großen Ballungszentren in NRW gibt es Versorgungslücken. Die Situation verschärft sich, weil gerade viele Kinder krank sind.
In Nordrhein-Westfalen scheint es nun auch in größeren Kommunen für Eltern zunehmend schwieriger zu werden, einen Platz bei einem Kinderarzt zu bekommen. „Der Kinder- und Jugendärztemangel erreicht jetzt auch die Städte. Man merkt in den urbanen Gegenden nun, dass Kinder wegen Versorgungslücken nicht immer mehr für U3-Untersuchungen aufgenommen werden können“, sagte Axel Gerschlauer, Kinderarzt und Sprecher des Berufsverbandes der Kinder- und Jugendärzte Nordrhein, unserer Redaktion. „Das kannte man bislang nur vom platten Land. Der Trend ist leider unumkehrbar“, so Gerschlauer weiter.
Als wesentlichen Grund für die Misere führt der Verband der Kinderund Jugendärzte Nachwuchsmangel infolge mangelnder Attraktivität des Berufes durch hohe Arbeitsbelastung an. „Die gut ausgebildeten Mitdreißiger überlegen sich das dreimal, ob sie sich mit einer Praxis selbstständig machen oder lieber mit geregelten Arbeitszeiten als Angestellte oder in einem Krankenhaus arbeiten wollen“, so Gerschlauer. Die Work-LifeBalance habe die neue Generation einfach deutlicher im Blick, betonte der Bonner Kinderarzt. „Die Politik bringt uns zudem auch keine Wertschätzung entgegen, sondern verschlechtert die Arbeitsbedingungen auch noch“, kritisierte er.
Nach Angaben des NRW-Gesundheitsministeriums lässt sich kein landesweiter Mangel an Kinder- und Jugendärzten feststellen. Dennoch könne es vereinzelt zu regionalen Versorgungsengpässen kommen; und in der Tendenz ließen sich auch im Kinder- und Jugendärztebereich bereits Nachwuchsprobleme feststellen – vor allem natürlich im ländlichen Bereich, heißt es aus dem NRW-Gesundheitsministerium.
Aktuell gibt es nach Auskunft der Kassenärztlichen Vereinigungen nur wenige offene Planungsbereiche, in denen sich Kinder- und Jugendärztinnen und -ärzte niederlassen können. Landesweit gibt es demnach zurzeit 13,5 freie Vertragsarztsitze für Kinder- und Jugendärzte (Stand Mai 2022). Insgesamt sind 1311 Kinder- und Jugendärzte in der sogenannten vertragsärztlichen Versorgung in Nordrhein-Westfalen tätig. Solche Zählungen kritisiert der Kinder- und Jugendärzteverband allerdings: „Die Politik rechnet immer die Köpfe auf, die Kinderheilkunde abschließen. Die Zahl der Absolventen mag ja gleichgeblieben sein, aber gleichzeitig ist die Arbeit deutlich mehr geworden“, so Gerschlauer. Und die jüngere Generation sei eben nicht bereit dazu, mehr und länger unter schlechter werdenden Bedingungen zu arbeiten. „Ich kann Eltern nur raten, auf die Barrikaden zu gehen und bei ihrer Krankenkasse und ihren Land- und Bundestagsabgeordneten zu protestieren, wenn ihr Wohnort vom Ärztemangel betroffen ist“, so Gerschlauer.
Für die SPD-Landtagsfraktion stellt der Kinder- und Jugendärztemangel ein wachsendes Problem für eine qualitative und wohnortnahe Gesundheitsversorgung dar. „Wir dürfen Kinder und Jugendliche nicht weiter wie kleine Erwachsene behandeln. Denn die Versorgung von Kindern und Jugendlichen stellt einen deutlich höheren Aufwand dar, als es bei Erwachsenen der Fall ist“, sagte Thorsten Klute, gesundheitspolitischer Sprecher der SPD-Fraktion im Landtag NRW. „Wo es eine Unterversorgung gibt, müssen neue Kapazitäten aufgebaut werden. Dafür braucht es mehr Studienplätze in der Medizin, eine Stärkung der Kinder- und Jugendärzte als Erstversorger, mehr Anreize und eigene Ausbildungselemente“, forderte Klute.
Nach Ansicht von Yvonne Gebauer, gesundheitspolitische Sprecherin der FDP-Landtagsfraktion, drohen in der ambulanten Versorgung im Bereich der Kinder- und Jugendmedizin ähnliche Engpässe wie in der hausärztlichen Versorgung. „Deshalb sollte das Land die Niederlassung in der Kinder- und Jugendmedizin vergleichbar fördern, wie in den letzten Jahren mit den Programmen für die hausärztliche Niederlassung“, so Gebauer.
Verschärft wird die Situation derzeit zusätzlich durch viele kranke Kinder, die unter Atemwegserkrankungen leiden: „Die Praxen sind derzeit voll, weil wir immer noch die Nachholeffekte haben wegen Corona“, so Gerschlauer. Das überfordere die Eltern gerade, weil sie durch die Maskenzeit und das regelmäßige Desinfizieren nicht gewohnt seien, dass ihre Kinder krank würden.