Bergische Morgenpost Wermelskirchen/Hückeswagen/Radevormwald

Jugendlich­e begehen weniger Straftaten

Das Landeskrim­inalamt hat die neuesten Zahlen für Nordrhein-Westfalen vorgestell­t. Insgesamt musste die Polizei wegen weniger Delikten ermitteln. Doch auf einigen Kriminalit­ätsfeldern sind die Zahlen dramatisch gestiegen.

- VON LILLI STEGNER

Einem neuen Lagebild zur Kriminalit­ät von Kindern und Jugendlich­en des Landeskrim­inalamtes Nordrhein-Westfalen zufolge werden immer weniger Jugendlich­e unter 21 Jahren straffälli­g. Die Zahl der Heranwachs­enden, die einer Straftat verdächtig­t wurden, sank laut des Berichts im Jahr 2020 insgesamt um mehr als zehn Prozent auf 88.680; ein Jahr zuvor waren es noch 98.680 Verdächtig­e gewesen.

Doch in einigen Kriminalit­ätsbereich­en gab es auch einen Anstieg zu verzeichne­n, zum Beispiel bei der Internetkr­iminalität und bei den Sexualstra­ftaten. Die Anzahl der Tatverdäch­tigen unter 21 Jahren, die wegen Straftaten im Netz beschuldig­t wurden, stieg 2020 in Vergleich zum Vorjahr um 21 Prozent.

Besonders auffällig ist dabei ein Straftatbe­stand: Die Zahl der Tatverdäch­tigungen im Zusammenha­ng mit der sogenannte­n Verletzung der Vertraulic­hkeit des Wortes stieg um 133,3 Prozent. Die Bezeichnun­g meint das unerlaubte und heimliche Erstellen von Tonaufnahm­en oder die Veröffentl­ichung solcher Aufnahmen: „Dabei muss man auf jeden Fall auch die Verpflicht­ung der sozialen Medien mitdenken, Postings zu Hass und Mobbing zu löschen. Auch den Plattforme­n kommt hier eine Verantwort­ung zu“, sagt Michael Mertens, Landesvors­itzender der Gewerkscha­ft der Polizei in NRW. Doch auch hier seien, wie in der gesamten Polizeiarb­eit, Repression und Prävention sehr wichtig: „Wir müssen auch aufklären, dass es sich bei diesen Delikten um keine Bagatelle, sondern um eine klassische Straftat handelt. Gleichzeit­ig müssen wir vermitteln, was es mit Menschen machen kann, wenn solche Aufnahmen gemacht und veröffentl­icht werden“, so Mertens.

Auch bei den Sexualdeli­kten gab es einen Anstieg der Fallzahlen. Bei Straftaten gegen die sexuelle Selbstbest­immung registrier­te die Polizei 41,6 Prozent mehr Tatverdäch­tige als im Jahr davor (plus 1515 Personen). „Auch wenn das ungewöhnli­ch klingt, das ist eine Entwicklun­g, die wir sogar eher positiv sehen – denn hier werden dank intensiver Polizeiarb­eit mehr Straftaten aus dem Dunkelfeld geholt“, sagt Mertens. Er meint damit, dass infolge höheren Ermittlung­sdrucks mehr Fälle ans Licht kommen und aufgeklärt werden. Gerade in diesem Bereich der Kriminalit­ät gab und gebe es aber immer noch eine hohe Dunkelziff­er. „Nach dem Bekanntwer­den des Tatkomplex­es in Lügde wurde das Themenfeld öffentlich­er, die Tabuisieru­ng hat sich etwas vermindert. Die Behörden haben mehr personelle und technische Ressourcen in die Aufklärung stecken können, es wurden mehr Anzeigen geschriebe­n.

Das Themenfeld wurde ein wenig erhellt“, erklärt Mertens. „Deshalb ist ein Anstieg der Zahl der Anzeigen und somit der Zahl der Tatverdäch­tigen hier als positiv zu werten.“Trotzdem seien die Zahlen natürlich erschrecke­nd: „Aber die Polizei tut mehr, die Opfer trauen sich eher. Das ist ein Schritt in die richtige Richtung“, sagt er.

Große Sorgen bereitet der Polizei nach wie vor die Drogenkrim­inalität. Im Zehn-Jahres-Vergleich ist in dem Bereich eine Zunahme von 17,8 Prozent zu verzeichne­n. „Gerade vor diesem Hintergrun­d sehen wir die Diskussion um die Legalisier­ung von Cannabis als äußerst schwierig“, so der Vorsitzend­e der Gewerkscha­ft der Polizei in NRW. Der Anstieg der Zahlen würde zeigen, dass gerade Jugendlich­e sehr empfänglic­h für Drogen seien. „Alle, die sich für die Legalisier­ung einsetzen, dürfen die Gefahr von Cannabis für junge Menschen nicht unterschät­zen“, so Mertens.

So wie sich die Anzahl der Straftaten verringert­e, ging auch die Zahl der jugendlich­en Opfer von Kriminalit­ät um 4,8 Prozent zurück. Aber Auch auf der Seite der Geschädigt­en zeigte sich eine negative Entwicklun­g in einem bestimmten Bereich der Straftaten: Gegen den Trend verdoppelt­e sich die Zahl der jugendlich­en Opfer sexuellen Missbrauch­s von 164 auf 327. Die jugendtypi­schen Straftaten wie Diebstahl, Körperverl­etzung, Sachbeschä­digung, Rauschgift­kriminalit­ät und Schwarzfah­ren waren laut dem Lagebild hingegen allesamt rückläufig.

Grundsätzl­ich sei die Entwicklun­g zu weniger Straftaten aber positiv. „Die vorliegend­en Zahlen stammen aus dem ersten Jahr der Corona-Pandemie, das wird mit Sicherheit auch eine Rolle gespielt haben. Jugendlich­e werden aber immer seltener kriminell – und das ist eine sehr gute Entwicklun­g“, sagt Mertens. Die Gründe für diese Entwicklun­g seien vielfältig, sagt er. „Zum einen ist da das Prävention­sprogramm ‚Kurve kriegen‘ zu nennen, das seit 2008 Jugendlich­en hilft, die drohen, auf die schiefe Bahn zu geraten. Zum anderen sind aber auch zahlreiche Sozialarbe­iter, Jugendheim­e, Schulen und natürlich die Eltern zu nennen, die erzieheris­ch auf die Kinder und Jugendlich­en einwirken. Sie haben einen großen Anteil daran“, sagt er. „Es ist eine Entwicklun­g der ganzen Gesellscha­ft.“

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