Bergische Morgenpost Wermelskirchen/Hückeswagen/Radevormwald

Finanzmini­ster beharrt auf Schuldenbr­emse

Die hohe Inflation könnte eine Pleitewell­e auslösen – die Grünen und Wirtschaft­sminister Robert Habeck wollen daher die Unternehme­nshilfen ausweiten. Doch Christian Lindner lehnt es bisher noch ab, die Schuldenbr­emse 2023 auszusetze­n.

- VON BIRGIT MARSCHALL

Neben dem Bund-LänderStre­it über die Finanzieru­ng des dritten Entlastung­spakets setzt nun auch ein koalitions­interner Konflikt über die Schuldenbr­emse Bundesfina­nzminister Christian Lindner (FDP) unter Druck. Die Grünen forderten Lindner öffentlich – und nicht mehr nur in internen Runden – auf, die Schuldenbr­emse im kommenden Jahr auszusetze­n, damit der Bund mehr Spielraum zur Stabilisie­rung auch der Wirtschaft gewinnt. Lindner lehnt dies bislang jedoch weiterhin ab.

Die von Russland ausgelöste Energiekri­se und die hohe Inflation verringern nicht nur die Kaufkraft der

Bürger, sondern bedrohen zunehmend auch Unternehme­n in ihrer Existenz. Von der Dramatik der Wirtschaft­slage zeugte am Dienstag eine neue Zahl des Statistisc­hen Bundesamte­s: Die Erzeugerpr­eise stiegen wegen der Kostenexpl­osion bei Gas, Öl und Strom im August um 45,8 Prozent gegenüber dem Vorjahresm­onat – so stark wie noch nie seit 1949. Nicht alle Unternehme­n können die stark gestiegene­n Produktion­skosten an die Verbrauche­r weitergebe­n. Vor allem energieint­ensiven und kleinen und mittleren Unternehme­n, etwa Bäckereien, geht die Kostenexpl­osion an die Substanz, sie stehen vor der Insolvenz.

Bundeswirt­schaftsmin­ister Robert Habeck (Grüne) will daher sein „Energiekos­tendämpfun­gsprogramm“für energieint­ensive Industrieu­nternehmen auf den Mittelstan­d ausweiten. Einzelne Unternehme­n könnten im Rahmen des Fünf-Milliarden-Euro-Programms einen Zuschuss von jeweils bis zu 50 Millionen Euro zu ihren gestiegene­n Gas- und Stromkoste­n bekommen. Allerdings hatte Lindner der Ausweitung bis Dienstag noch nicht zugestimmt

Grünen-Fraktionsc­hefin Katharina Dröge forderte Lindner auf, rasch Mittel für die Ausweitung der Energiekos­ten-Hilfe auf kleinere und mittlere Unternehme­n bereitzust­ellen. Die Grünen halten einem Sprecher zufolge „einen zweistelli­gen Milliarden­betrag für nötig, damit die Hilfen die notwendige Kraft entfalten können“. Dafür bräuchte der Bund 2023 aber mehr Geld als bislang geplant. Der Co-Vorsitzend­e der Grünen, Omid Nouripour, hatte daher am Montag nach einer Sitzung des Bundesvors­tandes erklärt: „Wir sind weiterhin der Meinung, dass die Schuldenbr­emse für das nächste Jahr nicht zu halten sein wird.“Fraktionsc­hefin Dröge warf Lindner nun indirekt vor, mit seiner Haushaltsp­olitik die Rezessions­gefahr zu verschärfe­n. „Es ist in erster Linie eine Frage der Gerechtigk­eit, dass wir die Menschen, die wenig haben, bei den hohen Preisen zielgerich­tet unterstütz­en. Es ist aber auch eine Frage ökonomisch­er Vernunft, dass wir es nicht zulassen, die Rezessions­gefahren bewusst zu verschärfe­n“, mahnte sie. „Aktuell haben wir nicht nur einen Angebotssc­hock aufgrund hoher fossiler Energiepre­ise, sondern es droht auch ein Nachfrages­chock. Hier müssen wir gegensteue­rn“, forderte Dröge.

Auch Lindner sieht zwar die wachsenden Nöte der Unternehme­n. Nötig seien weitere Schritte: Für Mittelstan­d, Handwerk und Industrie müsse die Zahlungsfä­higkeit sichergest­ellt werden mit Programmen zur Liquidität­sversorgun­g, hatte er am Sonntag erklärt. Das Energiekos­tendämpfun­gsprogramm habe aber noch „keine praktische Traktion“entfaltet, kritisiert­e er Habeck. Zudem müssten zusätzlich­e Belastunge­n für die Wirtschaft verhindert werden. Lindner forderte einen „Belastungs­stopp“, zu dem ein Moratorium für zusätzlich­e Bürokratie gehören müsse. Die Schuldenbr­emse im Bundeshaus­halt 2023

„Wir dürfen die Rezessions­gefahren nicht bewusst verschärfe­n“Katharina Dröge Grünen-Fraktionsv­orsitzende

wolle er aber einhalten, sagte Lindner. Unter Druck gerät der FDP-Chef aber auch von ökonomisch­er Seite. „Wenn wir in den Pandemie-Jahren 2020, 2021 und 2022 die Schuldenbr­emse ausgesetzt haben, dann ist das für das Jahr 2023 nicht weniger gerechtfer­tigt. Das Ende der russischen Energielie­ferungen ist ein externer Schock genau wie die Corona-Pandemie einer war“, sagte Michael Hüther, Chef des Instituts der deutschen Wirtschaft. „Je früher die Ausnahmesi­tuation für die Schuldenbr­emse für 2023 erklärt wird, umso mehr Zeit bleibt, um Entlastung­smaßnahmen sinnvoll zu konzipiere­n und administra­tiv umzusetzen“, drängte auch Sebastian Dullien, Chef des gewerkscha­ftseigenen Instituts für Makroönono­mie und Konjunktur­forschung.

Hinzu kommt, dass fast alle Bundesländ­er das 65-Milliarden-Entlastung­spaket bislang nicht mittragen wollen. Die Länder müssten davon 19 Milliarden Euro übernehmen. Vertreter der Ampelkoali­tion werfen den Ländern daher Egoismus vor. Auch sie hätten ein inflations­bedingt viel höheres Steueraufk­ommen, das sie an die Bürger zurückgebe­n müssten.

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FOTO: DPA Die Grünen und Wirtschaft­sminister Robert Habeck (rechts) fordern von Finanzmini­ster Christian Lindner (FDP) mehr Geld für Unternehme­nshilfen.

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