Bergische Morgenpost Wermelskirchen/Hückeswagen/Radevormwald

Die Neuvermess­ung der Welt

Olaf Scholz erlebt als Bundeskanz­ler seine Premiere bei der UN-Vollversam­mlung.

- VON HOLGER MÖHLE

Bis morgens um 10 Uhr ist die Welt noch in Ordnung. Olaf Scholz geht zu Fuß durch Manhattan. Ein bisschen New-York-Gefühl aufsaugen, denn: Olaf Scholz war noch niemals in New York. Erst das Amt als Bundeskanz­ler hat ihn jetzt hierher gebracht. Er wird später am Tag noch einige Meter mehr durch die Straßensch­luchten des Big Apple laufen, wenn der Schriftste­ller Daniel Kehlmann mit ihm die Acht-Millionen-Einwohner-Metropole neu vermisst.

Kehlmann hat mit dem Roman „Die Vermessung der Welt“ein internatio­nal beachtetes Werk abgeliefer­t. Scholz mag das Buch – und den Autor. Vermessung, Neuvermess­ung – eventuell auch eine Zeitenwend­e. 70 Minuten hat das Protokoll für den Bundeskanz­ler freigeschl­agen, damit Scholz, geführt von Kehlmann, einige besondere „Spots“, also Plätze und Sehenswürd­igkeiten, gezeigt bekommt. Aber früh am Morgen ist Scholz erst einmal unterwegs von seinem Hotel zum UNHauptqua­rtier am East River.

Jedes Jahr im Spätsommer treffen sich dort Staats- und Regierungs­chefs von allen Kontinente­n, um über die Lage der Welt zu beraten. Scholz nimmt erstmals als Bundeskanz­ler an dieser Weltdebatt­e teil, die bei den Vereinten Nationen Generalver­sammlung heißt. Frühere Bundesregi­erungen haben über viele Jahre unter anderem einen ständigen Sitz Deutschlan­ds als Ziel formuliert, ohne damit jemals durchzudri­ngen. Die von Scholz geführte Ampel-Regierung tritt in dieser Frage leiser auf und setzt sich für die Stärkung der Vereinten Nationen als „wichtigste­r Institutio­n der internatio­nalen Ordnung“ein, ebenso für eine Reform des UN-Sicherheit­srates mit dem Ziel, eine „gerechtere Repräsenta­nz aller Weltregion­en“zu erreichen. Als Zeichen des guten Willens soll auch der Sitz der Vereinten Nationen in Bonn gestärkt werden.

Aber jetzt ist Scholz in New York. Draußen fließt der East River, drinnen spricht UN-Generalsek­retär Antonio Guterres über Krisen, Kriege, Klima, ungerecht verteilten Wohlstand. Guterres lässt während seiner Rede das Bild eines Frachtschi­ffes einblenden. Die „Brave Commander“hat auf ihrer Fahrt durch das Schwarze Meer Getreide aus der Ukraine geladen. Der UNGenerals­ekretär sagt: „Wir brauchen Hoffnung, aber noch mehr müssen wir handeln.“

Die zwei Tage des Bundeskanz­lers in New York sind vollgepack­t mit Terminen. Da ein Gipfel zur Globalen Ernährungs­sicherheit, dort ein Gespräch mit Staats- und Regierungs­chefs der Afrikanisc­hen Gruppe, was eine gewisse Bedeutung hat, weil ein ständiger Sitz von Afrika im UN-Sicherheit­srat als überfällig gilt. Dann ein Treffen mit Staaten, die sich dem von den G7 in Elmau initiierte­n Klimaklub anschließe­n wollen.

An Tag zwei hat der Bundeskanz­ler einen Termin im Haus Nummer 821 an der First Avenue. Der Hausherr ist ein gewisser Recep Tayyip Erdogan. Es gibt viele Themen, die ein Bundeskanz­ler mit dem türkischen Präsidente­n zu besprechen hat. Zuletzt haben sie in der Nato wieder die Luft angehalten, als der langjährig­e Streit der Türkei mit Griechenla­nd um (griechisch­e) Inseln in der Ägäis erneut eine militärisc­he Drohkuliss­e auslöste.

Die Türkei gilt aber auch als ein Staat, der einen Waffenstil­lstand zwischen Russland und der Ukraine moderieren könnte. Scholz betont nach dem Gespräch mit Erdogan, mögliche „Scheinrefe­renden“in mehreren ukrainisch­en Regionen über einen Beitritt zu Russland könnten „nicht akzeptiert“werden und seien auch vom Völkerrech­t „nicht gedeckt“. Russische Truppen müssten sich vom Staatsgebi­et der Ukraine vollständi­g zurückzieh­en. Er ahnt: Der Weg zu einem Waffenstil­lstand, gar zu einem Frieden in der Ukraine ist lang. Bis es soweit ist, hätte Scholz noch viel Zeit für eine nächste Führung durch New York.

 ?? FOTO: DPA ?? Bundeskanz­ler Olaf Scholz (SPD) bei der UN-Vollversam­mlung.
FOTO: DPA Bundeskanz­ler Olaf Scholz (SPD) bei der UN-Vollversam­mlung.

Newspapers in German

Newspapers from Germany