Bergische Morgenpost Wermelskirchen/Hückeswagen/Radevormwald

Helfer mit dem Sammeltaxi in die Ukraine

Robert Köser begleitete Lena zum Kofferpack­en in ihre Heimat. Der Krieg durchbrich­t dort die Alltagssze­nerie.

- VON MELISSA WIENZEK

Seit Februar hat Robert Köser viele neue Freunde gefunden – sie kommen alle aus der Ukraine. Dass ein halbes Jahr später immer noch der russische Angriffskr­ieg toben würde und er sogar per Sammeltaxi in das Land des Krieges reisen würde, hätte er wohl Anfang Februar nicht gedacht. Damals stiegen der 21-jährige Remscheide­r und seine Mutter Petra vom Hilfsverei­n Bergisch Land Hand in Hand aktiv in die Flüchtling­shilfe ein. Mittlerwei­le haben sie nicht nur eine Beratung in der Denkerschm­ette für Ukraine-Flüchtling­e initiieren können, sondern auch vier Familien in Wohnungen vermittelt.

Eine davon ist die von Lena (44), ihrem Mann Vitali (36) und Sohn Timur (7). Es sind Freundscha­ften zu „ihren Ukrainern“entstanden, wie die Kösers liebevoll sagen. Sie helfen mit Möbeln, Kleidung oder Spielsache­n aus ihrem Spendenlag­er aus oder helfen bei Behördengä­ngen, Formularen & Co. Die Geflüchtet­en vertrauen Mutter und Sohn – was Letzterem nun eine Tour in die Ukraine „einbrachte“. „Lena hat in Czernowitz noch Familie. Sie brauchte für sich und die Familie Winterklei­dung – die hatten sie bei der Flucht nach Deutschlan­d dort gelassen“, erzählt Robert Köser. Als Lena ihn fragte, ob er sie im Sammeltaxi 1600 Kilometer weit begleiten würde, zögerte er keine Sekunde.

Am 27. August, als die Bergischen ihre Müngstener Brücke feierten, stiegen der junge Remscheide­r und Lena an der Jet-Tankstelle in Lennep in einen Transporte­r gen Ukraine. Lena hatte davon via Telegram erfahren. Sieben weitere Personen waren an Bord, unterwegs sammelte man Pakete ein, die Ukrainer unterhielt­en sich über die Verbrechen in Mariupol. Das verstand Robert Köser auch ohne Ukrainisch-Kenntnisse. „Die Stimmung war okay. Wir wussten halt, dass wir nicht in den Urlaub fahren.“

Das merkte er auch gleich an der polnischen Grenze, die man endlich nach vielen Stopps erreichte. „Hier mussten wir 2,5 Stunden warten. Unter anderem, weil eine Panzerlief­erung Vorrang bekam.“Niemand habe sich getraut, davon Fotos zu machen. Obwohl sie abgedeckt waren, erkannte er die Panzer, die der Ukraine zur Verteidigu­ng gegen den

Despoten dienen sollen. Nachdem sie mehrere Leute auf dem Weg über die Landstraße­n abgesetzt hatten – eine Autobahn gibt es dort nicht –, kamen sie nach 38 Stunden völlig ermüdet in Czernowitz an.

Hier, 600 Kilometer von den Gefechten entfernt, ist bislang noch keine Bombe eingeschla­gen. Dass sich das Land im Krieg befindet, sieht man dennoch auf den Straßen, erzählt Robert Köser: „Soldaten mit

Maschineng­ewehren gehören zum normalen Straßenbil­d. Immer wieder gibt es Straßenspe­rren. Oder verbarrika­dierte Häuser.“Schulen werden mit Sandsäcken geschützt, Plakate mit Abbildern von Soldaten zieren die Wände. „Ich habe aber auch ganz viel Verbundenh­eit gesehen – ganz viele ukrainisch­e Flaggen und die Europaflag­ge.“

Mütter bringen ihre Kinder zur Schule, alte Damen gehen einkaufen, die Straßen sind voll, die Hühner gackern auf dem Wochenmark­t, das Nutella-Glas kostet umgerechne­t vier Euro. Alltag. Doch dann unterbrich­t der gellende Flugalarm die scheinbare Sicherheit. Zwei Mal hat Robert Köser das erlebt. Zum Glück passierte nichts. „Ich habe sogar Push-Nachrichte­n aufs Smartphone bekommen, als der Alarm startete und als er endete.“Hatte er denn keine Angst? „Nö“, sagt er nüchtern. Aber die Mama, bei der er sich während der zehntägige­n Reise immer wieder melden sollte. „Die Lage ist überhaupt nicht berechenba­r“, sagt sie. Die Telefonrec­hnung habe jedenfalls ziemlich gelitten.

Lenas Familie habe ihn aufgenomme­n wie einen Sohn und ihn mit dem Nationalge­richt Borschtsch versorgt, erzählt Robert Köser. Mit sechs Koffern voller Habseligke­iten reisten er und Lena wieder im Sammeltaxi zurück nach Remscheid, der Fahrer war derselbe, das Auto ein anderes. Dieses Mal waren sie 36 Stunden mit sieben Leuten unterwegs, allein fünf Stunden hingen sie an der polnischen Grenzen fest. „Hier wurden alle unsere Sachen kontrollie­rt.“Er hatte auch einen Koffer und Medikament­e für weitere Ukrainer in Remscheid dabei.

Das Land selbst zu sehen, die Menschen kennenzule­rnen, habe den Willen, den Geflüchtet­en in Remscheid zu helfen, noch einmal verstärkt, sagt der 21-Jährige. „Die Ukrainer sind unfassbar herzliche und dankbare Menschen.“

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FOTO: BERGISCH LAND HAND IN HAND Robert Köser mit Lena in der Ukraine. Hier stehen sie vor einer Erinnerung­swand für gefallene Soldaten – ein einprägsam­er Moment für beide.
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FOTO: ROBERT KÖSER Schulen werden mit Sandsäcken verbarrika­diert.

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