Bergische Morgenpost Wermelskirchen/Hückeswagen/Radevormwald
„Jede Angst baut sich irgendwann ab“
Der Direktor der Psychiatrie der Kliniken Essen-Mitte über den Umgang mit Phobien und mögliche Wege der Therapie.
Eine der am meisten verbreiteten Phobien ist die vor Spinnen. Gerade größere Tiere wie die aus dem Mittelmeerraum nach Deutschland eingewanderte Nosferatu-Spinne schüren bei den Betroffenen enorme Ängste. Wenn derartige Ängste pathologisch werden, ist zum Beispiel die Klinik für Psychiatrie, Psychotherapie, Psychosomatik und Suchtmedizin der Evangelischen Kliniken Essen-Mitte eine Anlaufstelle. Der Direktor der Klinik, Professor Martin Schäfer, weiß, wann solche Angststörungen behandelt werden müssen und was man selbst tun kann, um die Phobie im Griff zu halten.
Herr Professor Schäfer, wie verbreitet ist die Angst vor Spinnen?
Die sogenannte Arachnophobie ist eine der häufigen Phobien, also Objekt- oder situationsbezogenen Ängste, zusammen mit der Angst vor Schlangen, der Höhe und dem Fliegen. Wie hoch der Anteil an der Gesamtbevölkerung ist, ist nicht sicher. Es werden Zahlen um fünf Prozent genannt.
Wie wirkt sich so eine Phobie aus, und wie problematisch ist sie?
Wenn man sie von den anderen Angststörungen trennt und bei den Phobien sagt, es geht nur um die Angst vor einem Tier oder einer bestimmten Situation, ist das im Allgemeinen noch nichts Krankhaftes, Schlimmes oder Dramatisches. Angst vor Spinnen, Schlangen, dem Fliegen oder Höhe an sich ist nichts, was jemanden im Alltag beeinträchtigen muss. Ängste an sich sind sinnvoll und wichtig im Alltag, weil hinter bestimmten Dingen tatsächlich eine potenzielle Gefahr steckt, beispielsweise von etwas Giftigem gebissen zu werden. Die Frage ist, ab wann das einen Krankheitswert erhält. Wenn ich zum Beispiel beruflich ständig fliegen muss, aber unter Flugangst leide, dann ist das problematisch. Wenn ich Angst vor Spinnen habe, ist das erst mal kein Problem, weil ich mich den Tieren nicht aussetzen muss. Wenn ich aber deswegen nicht mehr vor die Tür gehe aus Angst, ich könnte einer Spinne begegnen und somit auch ständig angespannt bin, obwohl das Ganze irrational ist, dann hat das einen Krankheitswert, weil es mich massiv im Alltag einschränkt.
Wie sehen denn die körperlichen Reaktionen aus?
Die meisten Menschen merken bei Ängsten nur die körperlichen Reaktionen. Sie bekommen Luftnot, Druck auf der Brust, Herzklopfen, Schweißausbrüche. Wenn man nicht weiß, dass die Ursache dafür eine übertriebene Angst bis Panikreaktion ist, kann man das auch als eigenständige körperliche Erkrankung wahrnehmen und fehldeuten. Das ist dann eine zusätzliche Komplikation. Grundsätzlich ist eine Anspannung bei potenziell gefährlichen Situationen eine gesunde und von der Natur so gewollte Reaktion, die helfen soll, bei wirklicher Gefahr schneller reagieren zu können. Der menschliche Organismus ist darauf ausgerichtet, in einer Gefahrensituation schnell aus dieser zu entkommen. Ohne reale Gefahr
aber steht man ständig unter Anspannung, was zu Panikattacken führen kann, die sich mit Luftnot bemerkbar machen oder dem Gefühl, einen Herzinfarkt zu bekommen und zusammenzubrechen.
Dann hat man einen behandlungsbedürftigen Bereich erreicht.
Wenn man vollkommen irrational mit Situationen umgeht, etwa auch den Partner oder die Familie davon abhalten will, aus der Wohnung zu gehen, weil draußen Spinnen lauern könnten, dann ist das behandlungsbedürftig. Wenn man Panikattacken bekommt, sowieso. Auch wenn sich ständig sonstige körperliche Symptome wegen der Ängste einstellen.
Vermeidungsverhalten wäre sicher ein solches Signal.
Genau. Wenn man es partout vermeidet rauszugehen, jede noch so kleine Gefahrensituation umgeht, seinen Beruf nicht mehr richtig ausüben kann oder sich sogar sozial von Freunden zurückzieht, dominiert plötzlich das Vermeidungsverhalten als einfachste Lösung für die Probleme das Leben. Wenn aber jemand mit Höhenangst darauf verzichtet, auf einen Turm zu steigen oder auf eine Leiter zu klettern, ist das erst mal kein Problem.
Landen solche schwereren Fälle dann bei Ihnen in der Klinik?
Leichtere Angststörungen oder Phobien lassen sich sehr gut beim niedergelassenen Psychotherapeuten behandeln. Deshalb würde man nicht in die Klinik gehen. Wenn die Patienten aber in ein komplettes Vermeidungsverhalten geraten, wenn sie Panikattacken im Alltag bekommen auch in Situationen, wo zum Beispiel keine Spinne zu sehen ist, dann sollte man versuchen, die entgleiste akute Situation erst mal durch intensive Therapiemaßnahmen in der Klinik zu stabilisieren.
Wie gehen Sie in der Klinik vor? Landläufig bekannt ist ja die Konfrontationstherapie, bei der der Patient mit seiner Angst, in diesem Fall also Spinnen, konfrontiert wird.
Das wäre das klassische Setting beim niedergelassenen Psychiater beziehungsweise Psychotherapeuten, dass der Patient erst mal vorsichtig versucht, sich Situationen wie mit Spinnen oder Flügen in einem „sicheren Umfeld“vorzustellen. Das ist auch ein bisschen vergleichbar mit einer Desensibilisierung, wenn man Allergien hat. Man versucht, die Angst zu spüren und zu konkretisieren sowie die damit verbundenen körperlichen Reaktionen.
Die meisten Menschen denken, Ängste und Anspannungen hören nie auf. Das Gegenteil ist der Fall, jede Angstreaktion und Anspannung baut sich irgendwann ab. Selbst wenn man in einen Käfig voller Spinnen geworfen würde, man bleibt nicht in der Angst. In der Konfrontationstherapie wird also versucht, die Ängste langsam runterzuregulieren und damit umzugehen. In der Klinik macht man dagegen sehr viele Dinge parallel. Dazu gehört es, Entspannungsmethoden zu lernen, irrationale Gedanken zu analysieren, im Extremfall bei Panikattacken auch Psychotherapie mit Medikamenten zu kombinieren. Das hat bei massiven Angst- und Panikstörungen auch die höchsten Erfolgsraten. Unter ständiger Anspannung ohne adäquate Therapie können später auch depressive Reaktionen entstehen, die man dann mitbehandeln muss.
Sind solche Angststörungen gut heilbar?
Wenn man rechtzeitig in die ambulante Therapie geht, sind Phobien in 60 bis 90 Prozent der Fälle gut behandelbar. Auch in der Klinik ist die Prognose sehr gut, wenn die Patienten früh kommen und alles umsetzen. Was wir aber sehen, ist, dass Menschen mit übertriebenen Ängsten diese oft nicht ernst nehmen und eher zum Vermeiden neigen als dazu, sich therapieren zu lassen. Dann wird das chronisch und die Behandlung umso schwieriger. Bei der Spinnenphobie ist das zwar eher selten der Fall. Doch es gibt Familien, die das Vermeidungsverhalten ausnahmslos fördern, wenn zum Beispiel die Mutter an einer Phobie leidet. Richtig wäre es aber, das Familienmitglied zu motivieren, etwas dagegen zu tun. Wenn alle nur unterstützen, gibt es keinen Grund gegen die Angst anzukämpfen.
Manche Betroffene verweigern sich auch einer Therapie.
Viele Menschen mit einer Angststörung haben Angst vor Veränderung und deshalb Angst vor einer Therapie. Sie denken, dass sie das nur unter Kontrolle halten, wenn sich niemand einmischt.
Wie hoch ist die Rückfallquote?
Die Frage ist, wieviel Belastungsfaktoren im Hintergrund dazukommen und wie gut man die Angst überwunden hat. Je häufiger man sich einer Situation aussetzt, und je weniger man in die Vermeidung geht, desto weiter stabilisiert man sich und desto geringer ist die Rückfallwahrscheinlichkeit. Wenn man in der Therapie weit gekommen ist, etwa was die Ursprünge der Angst angeht, gibt es keinen Grund mehr für einen Rückfall. Die Therapiemöglichkeiten entwickeln sich auch weiter mit Virtual-Reality-Brillen, mit denen man irgendwann mal auf kontrollierte Weise Patienten sehr vorsichtig mit ihrem Angstobjekt konfrontieren kann. Da könnte man zum Beispiel sehr langsam eine Spinne aus der Entfernung näher herankommen und diese auch entsprechend harmlos aussehen lassen.
Kann man auch selbst etwas tun, um Ängste abzubauen?
Man muss lernen, mehr zu rationalisieren und die eigene Angst infrage zu stellen. Und man darf nicht in eine Vermeidungshaltung hineingeraten und sein Leben nach den Ängsten ausrichten. Außerdem muss man aufpassen, dass man nicht durch andere Stressfaktoren irgendwann die Kontrolle verliert. Je stabiler man sonst ist und sein Gleichgewicht findet, desto weniger nehmen Ängste überhand. Ein Teil der Therapie ist auch die Wissensvermittlung. Nichts wissen zu wollen, zum Beispiel was die körperlichen Angstsymptome angeht, kann die Angst verstärken. Dagegen beruhigt alleine das Wissen um die Umstände und kann schon viel bewirken.