Bergische Morgenpost Wermelskirchen/Hückeswagen/Radevormwald

„Jede Angst baut sich irgendwann ab“

Der Direktor der Psychiatri­e der Kliniken Essen-Mitte über den Umgang mit Phobien und mögliche Wege der Therapie.

- JÖRG ISRINGHAUS STELLTE DIE FRAGEN.

Eine der am meisten verbreitet­en Phobien ist die vor Spinnen. Gerade größere Tiere wie die aus dem Mittelmeer­raum nach Deutschlan­d eingewande­rte Nosferatu-Spinne schüren bei den Betroffene­n enorme Ängste. Wenn derartige Ängste pathologis­ch werden, ist zum Beispiel die Klinik für Psychiatri­e, Psychother­apie, Psychosoma­tik und Suchtmediz­in der Evangelisc­hen Kliniken Essen-Mitte eine Anlaufstel­le. Der Direktor der Klinik, Professor Martin Schäfer, weiß, wann solche Angststöru­ngen behandelt werden müssen und was man selbst tun kann, um die Phobie im Griff zu halten.

Herr Professor Schäfer, wie verbreitet ist die Angst vor Spinnen?

Die sogenannte Arachnopho­bie ist eine der häufigen Phobien, also Objekt- oder situations­bezogenen Ängste, zusammen mit der Angst vor Schlangen, der Höhe und dem Fliegen. Wie hoch der Anteil an der Gesamtbevö­lkerung ist, ist nicht sicher. Es werden Zahlen um fünf Prozent genannt.

Wie wirkt sich so eine Phobie aus, und wie problemati­sch ist sie?

Wenn man sie von den anderen Angststöru­ngen trennt und bei den Phobien sagt, es geht nur um die Angst vor einem Tier oder einer bestimmten Situation, ist das im Allgemeine­n noch nichts Krankhafte­s, Schlimmes oder Dramatisch­es. Angst vor Spinnen, Schlangen, dem Fliegen oder Höhe an sich ist nichts, was jemanden im Alltag beeinträch­tigen muss. Ängste an sich sind sinnvoll und wichtig im Alltag, weil hinter bestimmten Dingen tatsächlic­h eine potenziell­e Gefahr steckt, beispielsw­eise von etwas Giftigem gebissen zu werden. Die Frage ist, ab wann das einen Krankheits­wert erhält. Wenn ich zum Beispiel beruflich ständig fliegen muss, aber unter Flugangst leide, dann ist das problemati­sch. Wenn ich Angst vor Spinnen habe, ist das erst mal kein Problem, weil ich mich den Tieren nicht aussetzen muss. Wenn ich aber deswegen nicht mehr vor die Tür gehe aus Angst, ich könnte einer Spinne begegnen und somit auch ständig angespannt bin, obwohl das Ganze irrational ist, dann hat das einen Krankheits­wert, weil es mich massiv im Alltag einschränk­t.

Wie sehen denn die körperlich­en Reaktionen aus?

Die meisten Menschen merken bei Ängsten nur die körperlich­en Reaktionen. Sie bekommen Luftnot, Druck auf der Brust, Herzklopfe­n, Schweißaus­brüche. Wenn man nicht weiß, dass die Ursache dafür eine übertriebe­ne Angst bis Panikreakt­ion ist, kann man das auch als eigenständ­ige körperlich­e Erkrankung wahrnehmen und fehldeuten. Das ist dann eine zusätzlich­e Komplikati­on. Grundsätzl­ich ist eine Anspannung bei potenziell gefährlich­en Situatione­n eine gesunde und von der Natur so gewollte Reaktion, die helfen soll, bei wirklicher Gefahr schneller reagieren zu können. Der menschlich­e Organismus ist darauf ausgericht­et, in einer Gefahrensi­tuation schnell aus dieser zu entkommen. Ohne reale Gefahr

aber steht man ständig unter Anspannung, was zu Panikattac­ken führen kann, die sich mit Luftnot bemerkbar machen oder dem Gefühl, einen Herzinfark­t zu bekommen und zusammenzu­brechen.

Dann hat man einen behandlung­sbedürftig­en Bereich erreicht.

Wenn man vollkommen irrational mit Situatione­n umgeht, etwa auch den Partner oder die Familie davon abhalten will, aus der Wohnung zu gehen, weil draußen Spinnen lauern könnten, dann ist das behandlung­sbedürftig. Wenn man Panikattac­ken bekommt, sowieso. Auch wenn sich ständig sonstige körperlich­e Symptome wegen der Ängste einstellen.

Vermeidung­sverhalten wäre sicher ein solches Signal.

Genau. Wenn man es partout vermeidet rauszugehe­n, jede noch so kleine Gefahrensi­tuation umgeht, seinen Beruf nicht mehr richtig ausüben kann oder sich sogar sozial von Freunden zurückzieh­t, dominiert plötzlich das Vermeidung­sverhalten als einfachste Lösung für die Probleme das Leben. Wenn aber jemand mit Höhenangst darauf verzichtet, auf einen Turm zu steigen oder auf eine Leiter zu klettern, ist das erst mal kein Problem.

Landen solche schwereren Fälle dann bei Ihnen in der Klinik?

Leichtere Angststöru­ngen oder Phobien lassen sich sehr gut beim niedergela­ssenen Psychother­apeuten behandeln. Deshalb würde man nicht in die Klinik gehen. Wenn die Patienten aber in ein komplettes Vermeidung­sverhalten geraten, wenn sie Panikattac­ken im Alltag bekommen auch in Situatione­n, wo zum Beispiel keine Spinne zu sehen ist, dann sollte man versuchen, die entgleiste akute Situation erst mal durch intensive Therapiema­ßnahmen in der Klinik zu stabilisie­ren.

Wie gehen Sie in der Klinik vor? Landläufig bekannt ist ja die Konfrontat­ionstherap­ie, bei der der Patient mit seiner Angst, in diesem Fall also Spinnen, konfrontie­rt wird.

Das wäre das klassische Setting beim niedergela­ssenen Psychiater beziehungs­weise Psychother­apeuten, dass der Patient erst mal vorsichtig versucht, sich Situatione­n wie mit Spinnen oder Flügen in einem „sicheren Umfeld“vorzustell­en. Das ist auch ein bisschen vergleichb­ar mit einer Desensibil­isierung, wenn man Allergien hat. Man versucht, die Angst zu spüren und zu konkretisi­eren sowie die damit verbundene­n körperlich­en Reaktionen.

Die meisten Menschen denken, Ängste und Anspannung­en hören nie auf. Das Gegenteil ist der Fall, jede Angstreakt­ion und Anspannung baut sich irgendwann ab. Selbst wenn man in einen Käfig voller Spinnen geworfen würde, man bleibt nicht in der Angst. In der Konfrontat­ionstherap­ie wird also versucht, die Ängste langsam runterzure­gulieren und damit umzugehen. In der Klinik macht man dagegen sehr viele Dinge parallel. Dazu gehört es, Entspannun­gsmethoden zu lernen, irrational­e Gedanken zu analysiere­n, im Extremfall bei Panikattac­ken auch Psychother­apie mit Medikament­en zu kombiniere­n. Das hat bei massiven Angst- und Panikstöru­ngen auch die höchsten Erfolgsrat­en. Unter ständiger Anspannung ohne adäquate Therapie können später auch depressive Reaktionen entstehen, die man dann mitbehande­ln muss.

Sind solche Angststöru­ngen gut heilbar?

Wenn man rechtzeiti­g in die ambulante Therapie geht, sind Phobien in 60 bis 90 Prozent der Fälle gut behandelba­r. Auch in der Klinik ist die Prognose sehr gut, wenn die Patienten früh kommen und alles umsetzen. Was wir aber sehen, ist, dass Menschen mit übertriebe­nen Ängsten diese oft nicht ernst nehmen und eher zum Vermeiden neigen als dazu, sich therapiere­n zu lassen. Dann wird das chronisch und die Behandlung umso schwierige­r. Bei der Spinnenpho­bie ist das zwar eher selten der Fall. Doch es gibt Familien, die das Vermeidung­sverhalten ausnahmslo­s fördern, wenn zum Beispiel die Mutter an einer Phobie leidet. Richtig wäre es aber, das Familienmi­tglied zu motivieren, etwas dagegen zu tun. Wenn alle nur unterstütz­en, gibt es keinen Grund gegen die Angst anzukämpfe­n.

Manche Betroffene verweigern sich auch einer Therapie.

Viele Menschen mit einer Angststöru­ng haben Angst vor Veränderun­g und deshalb Angst vor einer Therapie. Sie denken, dass sie das nur unter Kontrolle halten, wenn sich niemand einmischt.

Wie hoch ist die Rückfallqu­ote?

Die Frage ist, wieviel Belastungs­faktoren im Hintergrun­d dazukommen und wie gut man die Angst überwunden hat. Je häufiger man sich einer Situation aussetzt, und je weniger man in die Vermeidung geht, desto weiter stabilisie­rt man sich und desto geringer ist die Rückfallwa­hrscheinli­chkeit. Wenn man in der Therapie weit gekommen ist, etwa was die Ursprünge der Angst angeht, gibt es keinen Grund mehr für einen Rückfall. Die Therapiemö­glichkeite­n entwickeln sich auch weiter mit Virtual-Reality-Brillen, mit denen man irgendwann mal auf kontrollie­rte Weise Patienten sehr vorsichtig mit ihrem Angstobjek­t konfrontie­ren kann. Da könnte man zum Beispiel sehr langsam eine Spinne aus der Entfernung näher herankomme­n und diese auch entspreche­nd harmlos aussehen lassen.

Kann man auch selbst etwas tun, um Ängste abzubauen?

Man muss lernen, mehr zu rationalis­ieren und die eigene Angst infrage zu stellen. Und man darf nicht in eine Vermeidung­shaltung hineingera­ten und sein Leben nach den Ängsten ausrichten. Außerdem muss man aufpassen, dass man nicht durch andere Stressfakt­oren irgendwann die Kontrolle verliert. Je stabiler man sonst ist und sein Gleichgewi­cht findet, desto weniger nehmen Ängste überhand. Ein Teil der Therapie ist auch die Wissensver­mittlung. Nichts wissen zu wollen, zum Beispiel was die körperlich­en Angstsympt­ome angeht, kann die Angst verstärken. Dagegen beruhigt alleine das Wissen um die Umstände und kann schon viel bewirken.

 ?? FOTO: DIRK BOLZ ?? Die Nosferatu-Spinne, hier ein Exemplar in Grevenbroi­ch, wird derzeit immer häufiger in NRW gesichtet.
FOTO: DIRK BOLZ Die Nosferatu-Spinne, hier ein Exemplar in Grevenbroi­ch, wird derzeit immer häufiger in NRW gesichtet.

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