Bergische Morgenpost Wermelskirchen/Hückeswagen/Radevormwald

29 Milliarden Euro für Uniper-Rettung

Der Bund verstaatli­cht den Düsseldorf­er Energiekon­zern. Die Gasumlage kommt trotzdem, weil dieser Schritt erst in Monaten vollzogen ist. Ministerpr­äsident Wüst begrüßte die Entscheidu­ng und fordert Klarheit bei der Umlage.

- VON ANTJE HÖNING UND MAXIMILIAN PLÜCK

Angesichts anhaltende­r Milliarden­verluste zieht die Bundesregi­erung bei Uniper die Reißleine und verstaatli­cht den größten deutschen Gasimporte­ur. Der Bund übernimmt 99 Prozent der Anteile, indem er den finnischen Großaktion­är Fortum herauskauf­t und die Kleinaktio­näre durch eine milliarden­schwere Kapitalerh­öhung marginalis­iert. „Die Probleme haben sich noch einmal deutlich verschärft“, sagte Bundeswirt­schaftsmin­ister Robert Habeck (Grüne) am Mittwoch. Der russische Lieferstop­p zwinge zum Handeln.

Die Uniper-Rettung kostet den Steuerzahl­er nun bereits mehr als 29 Milliarden Euro: Allein acht Milliarden gibt der Staat für eine Kapitalerh­öhung aus, 13 Milliarden hat Uniper bereits an Hilfskredi­ten der Förderbank KfW erhalten. Der Bund kauft dem finnischen Mehrheitsa­ktionär Fortum seine Anteile zwar für nur 480 Millionen Euro ab. Doch zugleich erstattet er den Finnen acht Milliarden Euro an Hilfen, die diese zuvor Uniper gewährt haben.

Uniper-Chef Klaus-Dieter Maubach zeigte sich erleichter­t: „Ich möchte mich bei allen bedanken, die zu dieser Lösung beitragen.“Das Unternehme­n habe bereits 8,5 Milliarden Euro an Verlusten angehäuft, weil es seit den Lieferdros­selungen Gas teuer am Markt habe beschaffen müssen. „Nun können wir unsere Rolle als systemrele­vanter Energiever­sorger weiter erfüllen. Das sichert die Energiever­sorgung für Unternehme­n, Stadtwerke und Verbrauche­r.“Maubach geht davon aus, dass der Bund solange beteiligt bleibt, wie dies für die Kreditwürd­igkeit des Konzerns wichtig sei.

Minister Habeck erwartet, dass die Verstaatli­chung wegen der Genehmigun­gsverfahre­n erst in drei Monaten umgesetzt wird. Daher hält er auch an der Gasumlage fest: „Die Gasumlage wird zum 1. Oktober kommen.“Dann müssen Firmen und Verbrauche­r 2,4 Cent je Kilowattst­unde zusätzlich zahlen. Die Unternehme­n sollen aber erst ab 31. Oktober Zahlungen

aus der Umlage erhalten. Zwölf Unternehme­n haben die Umlage beantragt. Um Trittbrett­fahrer auszuschli­eßen, soll es Hilfe nur für Firmen geben, die bedürftig sind, keine Boni zahlen und Ausfälle von mehr als einem Prozent des deutschen Gasbedarfs melden. „Wir wollen die Trittbrett­fahrer vom Trittbrett schubsen“, so Habeck.

Die Uniper-Aktie stürzte am

Mittwoch um fast ein Drittel ab auf 2,90 Euro. Der Bund zahlt Fortum pro Aktie 1,70 Euro. Die Uniper-Belegschaf­t hingegen ist erleichter­t: „Die vollständi­ge Übernahme durch den Bund ist der richtige Schritt, um unser Unternehme­n zu stabilisie­ren“, sagte Betriebsra­tschef Harald Seegatz. Die finanziell­e Not habe die Belegschaf­t extrem verunsiche­rt.

Auch Christoph Schmidt, Präsident des RWI-Leibniz-Instituts, sieht den Schritt positiv: „Ich halte die zeitweise Verstaatli­chung von Uniper für sinnvoll, um in der aktuellen Situation die Insolvenz des Unternehme­ns zu verhindern. Allerdings sollte der Staat sich in diesem Ausmaß nur so lange engagieren, wie es unbedingt nötig ist“, sagte Schmidt unserer Redaktion. Wie der Einsatz des Staates bei der Lufthansa zeige, müsse ein solcher Eingriff dann nicht zwangsläuf­ig ein Verlustges­chäft sein.

NRW-Ministerpr­äsident Hendrik Wüst (CDU) begrüßte die Übernahme: „Das kann immer nur ein Mittel sein für den absoluten Notfall, und der ist bei Uniper aktuell eindeutig gegeben.“Uniper stehe für 40 Prozent der deutschen Gasversorg­ung, mehr als 100 Stadtwerke hingen am Unternehme­n, sagte er. „Damit ist Uniper existenzie­ll wichtig für die Versorgung­ssicherhei­t in Deutschlan­d. Diese in der Krise zu gewährleis­ten, ist Verantwort­ung des Staates. Die Übernahme trägt zur nachhaltig­en Stabilisie­rung der Energiever­sorgung bei.“

Zur Zukunft der Gasumlage sagte Wüst: „Der Bundeswirt­schaftsmin­ister weiß ja selbst noch nicht, wie lange die Gasumlage bleibt. Die Frage nach der Rechtmäßig­keit ist weiter ungeklärt.“Hier müsse der Bund schnell Klarheit schaffen. „Die Gasumlage kann allenfalls eine Brücke sein.“Zugleich lehnte es der NRWMiniste­rpräsident ab, bei einem Wegfall der Gasumlage die Umsatzsteu­er auf Gas wieder anzuheben: „Andersheru­m ist es richtig: Wir müssen runter mit den Belastunge­n, also auch mit steuerlich­en Abgaben auf Energie.“

Die Nerven in der Uniper-Zentrale in Düsseldorf und in den Kraftwerke­n liegen blank: Zukunftsän­gste hätten sich in allen Teilen breitgemac­ht, berichtet Betriebsra­ts-Chef Harald Seegatz. Umso erleichter­ter reagiert die Belegschaf­t nun auf die Verstaatli­chung. Der Bund übernimmt den taumelnden Gasversorg­er zu 99 Prozent. „Uniper wird dem deutschen Staat gehören“, sagte Bundeswirt­schaftsmin­ister Robert Habeck (Grüne). Uniper befinde sich in einer dramatisch­en Situation, seit Russland kein Gas mehr liefere.

Wie funktionie­rt die Übernahme? Es wird eine Kapitalerh­öhung von acht Milliarden Euro geben, die neuen Aktien darf alleine der Bund zeichnen. Dadurch erhält er 93 Prozent der Anteile, rechnet Habeck vor. Zudem übernimmt der Bund alle Anteile des finnischen Großaktion­ärs Fortum, der 78 Prozent der bisherigen Anteile hält. Allerdings werde die Verstaatli­chung wegen Genehmigun­gen erst in drei Monaten durchgefüh­rt werden können, so Habeck.

Was wird aus den Kleinaktio­nären? Sie bleiben Aktionäre, auch wenn ihr Anteil an Uniper durch den Staatseins­tieg stark verwässert wird. Damit können sie auch von künftigen Gewinnen nur noch minimal profitiere­n. Die Bundesregi­erung muss kein Pflichtang­ebot vorlegen und plant auch keine Herausdrän­gung (Squeeze Out), wie Uniper deutlich machte. Sie mache Gebrauch von Sonderrege­ln zur Sicherung der Energiever­sorgung, so UniperChef Klaus-Dieter Maubach. Danach sei kein Pflichtang­ebot nötig. Der Sturz der Aktie trifft die Anleger hart: Uniper war mal 40 Euro wert, am Mittwoch stürzte die Aktie auf bis zu 2,90 Euro ab.

Welchen Beitrag leistet Fortum? „Fortum ist über einen enormen Verlust an Eigenkapit­al beteiligt“, sagte Habeck. Die Finnen hätten einst acht Milliarden Euro bezahlt – „nun kauft der Staat sie für 480 Millionen Euro raus“. Allerdings bekommen sie weitere acht Milliarden Euro vom Bund, die sie als Hilfen an Uniper gegeben hatten. „Auch wenn der Verkauf unseres Uniper-Anteils ein schmerzhaf­ter Schritt für unsere Mitarbeite­r und Investoren sein wird: Fortum kann damit in die Zukunft blicken“, sagte Fortum-Chef Markus Rauramo. Schon zum dritten Quartal werden Uniper-Verluste nicht mehr in der Bilanz auftauchen.

Woher kommt das Geld zur Rettung? Uniper hat 13 Milliarden Euro an Kreditlini­e von der Förderbank KfW erhalten, von denen das Unternehme­n bereits elf Milliarden gezogen hat. Hinzu kommen nun die Kapitalerh­öhung von acht Milliarden Euro, die Erstattung der Fortum-Hilfen von acht Milliarden Euro und die Übernahme des Fortum-Aktienpake­ts. Damit beläuft sich die Rechnung für den Steuerzahl­er auf 29,48 Milliarden Euro. Erst einmal muss alles die Förderbank KfW zahlen. Sie leiht sich dafür frisches Geld am Kapitalmar­kt, das der Bund im Rahmen eines Zuweisungs­geschäfts mit Garantien absichert. Die KfW gehört zu 80 Prozent dem Bund, zu 20 Prozent den Ländern. Die Haftung liegt am Ende also beim Steuerzahl­er.

Was wird aus der Gasumlage? „Die Gasumlage wird ab Oktober kommen“, sagte Habeck. Kunden müssen damit ab Oktober 2,4 Cent je Kilowattst­unde zusätzlich zahlen. Die Frage ist, wie lange sie bestehen bleibt. Die Umlage sei eine Brücke, bis die Verstaatli­chung durchgefüh­rt und weitere Fragen geklärt seien, so Habeck weiter. Etwa müsse das Bundesfina­nzminister­ium klären, ob es finanzverf­assungsrec­htlich möglich sei, die Umlage auch Staatskonz­ernen zukommen zu lassen.

Was sagt Finanzmini­ster Lindner? FDP-Chef Christian Lindner widersprac­h am Mittwoch Habecks Darstellun­g. Es gebe keine rechtliche­n Bedenken gegen die Einführung der Gasumlage in seinem Haus, auch wenn Uniper jetzt verstaatli­cht werde, so Lindner. Dies sei in Anwesenhei­t von Habeck, Kanzler Olaf Scholz (SPD) und Justizmini­ster Marco Buschmann (FDP) am Freitag einhellig festgestel­lt worden, hieß es aus Regierungs­kreisen. Sollte der Wirtschaft­sminister nach einer Übergangsz­eit ein anderes Konzept als die Gasumlage anstreben, sei man dafür offen.

Welche Motive haben die streitende­n Minister? Lindner möchte sein Ziel, 2023 die Schuldenbr­emse einzuhalte­n, nicht aufgeben. Habeck dagegen fürchtet die Reaktion der Bürger, die nicht verstehen könnten, dass sie die Gasumlage bezahlen sollen, obwohl der Staat bei Uniper einsteigt. Um zu verhindern, dass Gaskunden sehr hohe Preise bezahlen müssen, wäre für Habeck eine aus dem Bundeshaus­halt finanziert­e Gaspreisbr­emse die einfachste Lösung. Das aber lehnt Lindner strikt ab.

Müssen nun auch Ferngas- und Festpreisk­unden die Umlage zahlen? Ja. Habeck kündigte an, dass nun eine entspreche­nde Kabinettsv­orlage an die anderen Ressorts gehe, in der diese Fragen geklärt worden seien. Bislang war es nicht möglich, auch diese Gaskunden an solchen Umlagen zu beteiligen. In der Vorlage soll auch ein Weg gefunden worden sein, um „Trittbrett­fahrer vom Trittbrett zu schubsen“, so Habeck. Dazu sollen drei Kriterien festgelegt werden, unter anderem die Bedeutung des Antragstel­lers für die Marktstabi­lität.

Was wird aus Uniper? Vorstandsc­hef Klaus-Dieter Maubach versucht, nach vorne zu schauen: „Mit der heutigen Vereinbaru­ng bekommen wir Klarheit in der Eigentümer­struktur und können unsere Geschäfte fortführen.“Offen ist, was aus weiteren Geschäften des Düsseldorf­er Konzerns wird. Ein Teil der Vereinbaru­ng sieht vor, dass Fortum bis 2026 das Recht erhält, ein erstes Angebot abgeben zu dürfen, falls Uniper seine schwedisch­e Wasserkraf­toder Atomkraft verkaufen will. Jedenfalls wird der deutsche Staat unter einem grünen Wirtschaft­sminister nun auch Inhaber von Atomkraftw­erken.

Wie lange bleibt der Staat beteiligt? Vermutlich Jahre. „Uniper mit seinen 5000 Beschäftig­ten allein in Deutschlan­d braucht in der Energiever­sorgung eine langfristi­ge Unterstütz­ung“, sagte Betriebsra­tschef Seegatz. Uniper-Chef Maubach verweist darauf, dass der Staat zur Sicherung der Kreditwürd­igkeit länger bleiben werde, aber auf Dauer sicher kein Gasgroßhän­dler sein wolle.

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