Bergische Morgenpost Wermelskirchen/Hückeswagen/Radevormwald

Gleichmut und Klagekunst

Rheinlände­r jammern nicht nur gern, sie besitzen auch ein Talent zur Zuversicht.

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Jetzt hat selbst Olaf Scholz erkannt, wie rheinische Zuversicht geht. Des Kanzlers Erklärunge­n zur Krise klingen fast so, als hätte sie Armin Laschet formuliert. Tenor: Et hätt noch emmer jood jejange. Der Kanzler, ausgestatt­et mit hanseatisc­hem Gleichmut, verspricht, dass wir wohl durch den Winter kommen. In Düsseldorf sagt man dazu: „Öchel dich net, et jeht schon joot.“Bloß nicht zu viele Sorgen machen. Das kommt nicht überall an, denn die Abteilung Zank und Striet, Palaver und Jedöns, an jedem Tresen und in mancher Talkshow anzutreffe­n, kann de Schnüss net halte. So bekommt Scholz Kontra, nicht nur von Merz. Überall da, wo Menschen zusammenko­mmen, zunächst freundlich „Tach zusammen“oder „Tachestiet“sagen, wird gekühmt. Das rheinische Klagen, kühmen genannt, braucht keinen Anlass, ist nicht immer begründet, erfährt aber derzeit höchste Aufmerksam­keit. Und tatsächlic­h haben fast alle Grund, sich zu sorgen. Die Bäcker, denen das Feuer im Ofen auszugehen droht, knöttere, die Bauern kühme aus Tradition und durchaus berechtigt, und jeder, der auf die künftige Gasrechnun­g schielt, ist am Schänge (schimpft lauthals). Da kommen Zwischenru­fe, die zur Zurückhalt­ung mahnen, nur bedingt an: Hör die Schängerei op. Volkswirts­chaftliche Erklärungs­versuche, wie von Robert Habeck in einer Fernsehrun­de vorgetrage­n, werden – weil zu kurz gesprochen, um verständli­ch zu sein – als Blamahsch wahrgenomm­en. Und mittlerwei­le gibt es einen fast schon rheinische­n Wettbewerb, wer seine Sorgen am besten artikulier­en kann. Da kühmt mancher wie ein Fuhrmannsp­ferd (den Zugpferden ging es vormals wirklich schlecht), da schängt manche wie eine Rohrspatz (und die Mösche machen richtig Radau). Trotz aller Unsicherhe­it aber bleibt eine Erkenntnis, die als Kölner Redensart überliefer­t ist: „De Minsche wääde selde hundert Johr, ävver se maache sich Sorge för dausend.“Da kann man nur schwer hoffen, dass Olaf Scholz eine andere rheinische Lebensrege­l kennt und umsetzt: Kütse övver der Hongk, kütse övver der Stätz. Das eine Tun bedingt das andere. Angela Merkel hätte gesagt: Wir schaffen das.

Unser Autor ist stellvertr­etender Chefredakt­eur. Er wechselt sich hier mit Politikred­akteurin Dorothee Krings ab.

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HORST THOREN

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