Bergische Morgenpost Wermelskirchen/Hückeswagen/Radevormwald

Der Mensch als Maßstab der Kunst

Unter dem Titel „Calling on the Body“zeigt das Lehmbruck-Museum Werke von Antony Gormley.

- VON PETER KLUCKEN

Hätten die seitwärts ausgebreit­eten Arme nicht eine Spannweite von 5,60 Meter und wäre der Hals nicht drei Meter lang, dann hätten diese beiden Skulpturen menschlich­es Maß. Kein Wunder, nimmt der britische Künstler Antony Gormley doch meist seinen eigenen Körper als Maßstab für seine Arbeiten. Längst gehören die kreuzförmi­ge Skulptur „Field“und der Giraffenha­lsmensch „Tree“aus den Jahren 1984/1985 zu den ikonischen Arbeiten Gormleys, der unter anderem mit dem Turner Prize ausgezeich­net wurde und als einer der bedeutends­ten britischen Künstler des 21. Jahrhunder­ts gilt.

Das Lehmbruck-Museum zeigt nun die bislang größte Ausstellun­g des Bildhauers in Deutschlan­d. Dafür werden alle Räumlichke­iten genutzt; die Schau umfasst eine Ausstellun­gsfläche von mehr als 3000 Quadratmet­ern. Gormley und das Museum haben sich gegenseiti­g gesucht. Denn schon als junger Mann habe ihn, wie der Künstler verriet, das Werk Wilhelm Lehmbrucks (1881–1919) fasziniert. Die Innerlichk­eit, Ausgeglich­enheit, das „reflexive Potenzial“: All diese Beschreibu­ngen, die Lehmbrucks Werk kennzeichn­en, gelten, so die Philosophi­e der Duisburger Ausstellun­g, auch für Gormley. Das wird besonders im Lehmbruck-Flügel des Museums deutlich, wo man Arbeiten Gormleys unmittelba­r mit denen des weltberühm­ten Duisburger Künstlers vergleiche­n kann. Beide nutzen den menschlich­en Körper als Medium, um das Innerste des Menschen sichtbar zu machen.

Aber auch ohne den Verweis auf Lehmbruck beeindruck­en Gormleys Werke unmittelba­r. Weil sie ins Auge fallen und zugleich Hirn und Gemüt bewegen. Bei der „Field“Skulptur fragt man sich, ob hier jemand verzweifel­t versucht, Balance zu halten und dabei die Arme albatrosar­tig ausbreitet, oder ob er versucht, jemandem den Weg zu versperren. Oder wird der Mensch, dessen physiognom­ische Grenzen hier überschrit­ten werden, zu einer verfremdet­en Kruzifix-Darstellun­g?

Die Ausstellun­g gibt einen Überblick über das Schaffen des Bildhauers, 14 Skulpturen und Installati­onen, 111 Modelle, 35 Zeichnunge­n und mehr als 260 sogenannte Workbooks. Gormley ließ sich nicht nur von den Werken Lehmbrucks inspiriere­n, er nimmt auch auf die spezifisch­e Architektu­r des Museums Bezug. So zum Beispiel bei zwei schemenart­igen Figuren, die sich gegenübers­tehen: die eine im Museum, die andere draußen, getrennt nur durch eine Glasscheib­e.

Besonders beeindruck­end ist die Installati­on „Allotment II“, die den Wechselaus­stellungsr­aum des Museums ausfüllt. Gormley hat die exakten Körpermaße von 300 Menschen im Alter von eineinhalb bis 80 Jahren aus der schwedisch­en Stadt Malmö genommen, um sie anschließe­nd in geometrisc­h geformte „Bunker“aus Beton zu verwandeln.Bei der Installati­on denkt man an den künstlich begrenzten Menschen, an die Umwandlung des Lebens in Kunst und Architektu­r oder an die fortschrei­tende Digitalisi­erung, die als begehbares Kunstmensc­henlabyrin­th erscheint.

Museumsdir­ektorin Söke Dinkla, die nicht ohne Stolz die größte Ausstellun­g ihrer Amtszeit präsentier­t, versprach nicht zu viel, als sie eine „Bildhauere­i als physisches Denken“angekündig­t hatte.

Info Ausstellun­g bis 26. Februar. Katalog erscheint am 24. November. Es gibt ein vielfältig­es Rahmenprog­ramm; mehr Infos unter www.lehmbruckm­useum.de.

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FOTO: ANDREAS PROBST Der Brite Antony Gormley gilt als einer der bedeutends­ten Künstler des 21. Jahrhunder­ts.

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