Bergische Morgenpost Wermelskirchen/Hückeswagen/Radevormwald
Inflationsrate bald über zehn Prozent
Erst der Wegfall von Tankrabatt und Neun-Euro-Ticket, jetzt der exorbitante Anstieg der Erzeugerpreise – die Aussichten sind düster.
Als die Bundesbank ihren jüngsten Monatsbericht abgeschlossen hatte, lagen die neuesten Daten zu den Erzeugerpreisen in Deutschland offiziell noch gar nicht vor. Trotzdem verhieß schon die Prognose der Bank für die Verbraucherpreise nichts Gutes: „Die Inflationsrate dürfte unter dem Strich in den nächsten Monaten in den zweistelligen Bereich vorrücken“, stand dort. Die Maßnahmen des jüngsten Entlastungspakets, etwa zur Gasumlage oder Strompreisbremse, würden sich erst Anfang des nächsten Jahres in den Verbraucherpreisen niederschlagen, so die Zentralbanker.
Zum Vergleich: Im August lag die Rate bei 7,9 Prozent. Im laufenden Monat werden es nach dem
Wegfall des Tankrabatts und des Neun-Euro-Tickets Ende August vermutlich mehr als neun Prozent sein. „Die beiden Faktoren dürften etwa 1,2 Prozentpunkte bei der Inflationsrate ausmachen“, sagt der Kaufkraftexperte Christoph Schröder vom Institut der deutschen Wirtschaft (IW) in Köln.
Und jetzt ist auch der Anstieg der Erzeugerpreise so hoch ausgefallen wie noch nie nach dem Zweiten Weltkrieg. Um durchschnittlich 45,8 Prozent sind sie nach Angaben des Statistischen Bundesamtes geklettert – das sind noch einmal 8,6 Prozentpunkte mehr als im Juli. Und das, wo Ökonomen doch zu Beginn des zweiten Halbjahres 2022 eher mit einem leichten Rückgang gerechnet haben. Doch vor allem die Entwicklung der Energiepreise in der jüngeren Vergangenheit führt solche Gedankenspiele ganz schnell ad absurdum.
Die bange Frage lautet nun: Steigen damit auch die Verbraucherpreise in nächster Zeit noch stärker als erwartet? Denn die Erzeugerpreise sind ja lediglich die Preise für ein Produkt, wenn es die Fabrik verlässt. Womöglich muss es noch weiterverarbeitet werden – und der Handel will natürlich auch noch daran verdienen. Insofern könnte das Preisniveau noch einmal mehr oder weniger deutlich nach oben gehen. Die Prognose, die die führenden Wirtschaftsforschungsinstitute vor zwei Wochen abgegeben haben, als sie ein Plus zwischen 8,7 und 9,5 Prozent prognostizierten, scheint schon überholt. Aktuell überarbeiten die Institute ihre
Voraussage; das Ergebnis soll in der kommenden Woche veröffentlicht werden. Dass dann bereits eine Zehn vor dem Komma stehen wird, ist zumindest nicht mehr ausgeschlossen.
„Die Aussichten sind nicht sehr beruhigend“, sagt IW-Experte Schröder. Es seien neben den Preisen für Energie auch jene für Nahrungsmittel, die die Inflation trieben, erklärt er. Als Folge der Preissprünge bei Energie haben sich nach Angaben der Statistiker zudem Vorleistungsgüter um 17,5, Investitionsgüter um knapp acht, Gebrauchsgüter um fast elf und Verbrauchsgüter um nahezu 17 Prozent verteuert. Bei den Gebrauchsgütern wirkt sich auch der durch die Corona-Krise und die damit verbundenen Produktions- und Transportstopps entstandene Chipmangel
aus: Weil viele wegen fehlender Halbleiter allzu lange auf einen Neuwagen warten müssen (mitunter bis zu einem Jahr), steigt mancher auf einen Gebrauchtwagen um: „Die sind für Verbraucher im August um bis zu 23 Prozent teurer geworden“, sagt Schröder. Also noch mal ein deutlich stärkerer Anstieg als bei den Gebrauchsgütern im Schnitt.
Bei den Nahrungsmitteln betrug das Preisplus im August mehr als 22 Prozent. Besonders stark stiegen die Preise für Butter (plus 74,6 Prozent gegenüber dem August des vergangenen Jahres), Milch (plus 35,3 Prozent), Kaffee (32,5 Prozent) und Fleisch (ohne Geflügel, 27,5 Prozent). Da kann man sich schon leicht vorstellen, was bei diesen Warengruppen noch auf die Verbraucher zukommen könnte.