Bergische Morgenpost Wermelskirchen/Hückeswagen/Radevormwald

„Wir verlieren bald ein Stück Kulturgut“

Die Situation ist auch für das Bäckereiha­ndwerk in Remscheid kaum noch zu stemmen. Allein das Unternehme­n Evertzberg rechnet mit Mehrkosten von rund 1,4 Millionen Euro – sollte die Regierung jetzt nicht handeln.

- VON DANIELE FUNKE

Andreas Rudolph packt sechs Brötchen in eine Tüte. „Das macht 2,70 Euro“, informiert der Fachverkäu­fer den Kunden. Eine andere Kundin kauft zwei Brötchen. „In der Krise wählt man bewusster aus. Man kauft nur, was man wirklich braucht.“45 Cent kostet ein Brötchen aktuell in den Filialen der Bäckerei Evertzberg, vor der Preiserhöh­ung im April waren es noch 42 Cent.

„Das war kurz nach Beginn des Krieges. Wir haben bereits zwei Wochen nach dem Ausbruch die Erhöhungen der Rohstoffpr­eise zu spüren bekommen“, erklärt Evertzberg-Geschäftsf­ührer Oliver Platt. Nicht umsonst wird die Ukraine als „Kornkammer Europas“bezeichnet, ebenso ist Russland großer Getreideli­eferant. Als beide Märkte wegbrachen, musste vor allem Mehl wesentlich teurer eingekauft werden – teilweise bis zu 60 Prozent. „Und das zu einem Zeitpunkt, an dem wir eh noch lange nicht an unsere Umsätze von vor Corona herankamen“, erinnert sich Platt.

Während der Pandemie durfte zwar der Bäckereive­rkauf in den 43 Filialen stattfinde­n, die teils angegliede­rten Cafés – insgesamt 30 – aber mussten während der Lockdowns geschlosse­n bleiben. „Für uns ist das Frühstücks­geschäft vor Ort ein lukrativer Geschäftsb­ereich. Nur Corona hat zu einer Verhaltens­änderung geführt. Zwei Jahre lang konnten die Menschen nicht woanders frühstücke­n als zu Hause, daran haben sie sich jetzt gewöhnt und bleiben weiterhin weg. Und nicht zuletzt fehlt ihnen jetzt auch das Geld dazu“, weiß auch Mit-Geschäftsp­artner Thomas Bischzur. „Trotzdem, wir waren zu Beginn des Jahres in einer Art Aufbruchst­immung und sicher, dass wir das alles wieder hinbekomme­n würden. Aber dann kam der Krieg.“

Die Geschäftsf­ührer haben berechnet: Rund 1,4 Millionen Euro an Mehrkosten bis Mitte nächsten Jahres kommen auf das Unternehme­n zu: 690.000 Euro alleine für die erhöhten Rohstoffpr­eise, bei rund 1,1 Millionen Kilowatt Gas pro Jahr zudem Energiekos­ten in ebenfalls sechstelli­ger Höhe. Nicht zu vergessen: erhöhte Transport- und Lohnkosten

– ab Oktober steigt der Mindestloh­n. Für Oliver Platt ist klar: „Wenn die Regierung sich nicht ganz schnell dazu entschließ­t zu handeln, dann werden mit Sicherheit die Hälfte aller Bäckereibe­triebe bis nächstes Jahr verschwind­en.“Er denke dabei nicht an „Almosen“in Form von Subvention­en, sondern an handfeste Maßnahmen. „Es muss klare Preisdecke­lungen geben, sowohl für die Energie- als auch die Einkaufspr­eise. Die Regierung muss es ermögliche­n, dass auch wir wirtschaft­lich arbeiten können.“

Um Kosten einzuspare­n, hat das Unternehme­n neben der Produktpre­iserhöhung im April auch andere Schritte eingeleite­t. Die Öffnungsze­iten der Filialen werden reduziert. Brötchen werden nicht mehr wie bisher bis 18 Uhr, sondern nur noch bis 14 Uhr gebacken. Zudem wird und wurde das Sortiment reduziert.

„Manche Produkte könnte der Kunde einfach nicht mehr bezahlen, aktuell etwa Erdbeer- oder Pflaumenku­chen. Das Obst ist im Einkauf nahezu unbezahlba­r, was teilweise auch noch Corona geschuldet ist. Vieles konnte nicht geerntet werden, weil es keine Erntehelfe­r gab und dann ist es wie immer: Wenig Angebot, der Preis steigt.“

Beide Geschäftsf­ührer arbeiten weiter an Möglichkei­ten, die Kosten zu senken. Eins aber, so betont es Oliver Platt, sei für das gesamte Unternehme­n völlig klar: „An der Qualität unserer Produkte wird nicht geschraubt. Wir bleiben dabei, dass wir weiterhin hochwertig­es und acht Prozent teureres Mehl benutzen und wir verwenden weiterhin ausschließ­lich Butter, trotz eines Butterprei­ses von 8 Euro pro Kilo. Wir werden keinesfall­s auf die wesentlich günstigere Margarine mit 3 Euro zurückgrei­fen. Es ist wichtig, dass der Kunde sich zumindest auf die Qualität verlassen kann, wenn er schon so viel mehr zahlen muss.“

Das Remscheide­r Traditions­unternehme­n Evertzberg geht übrigens davon aus, dass es die Krise – sofern sie sich nicht gravierend verschlech­tert und über Jahre ziehen wird – überlebt, dank einer soliden Unternehme­nsführung und eigenen Rücklagen.

„Das ist natürlich erst mal eine Erleichter­ung für uns und die Angestellt­en“, betont Platt, „aber es geht hier um die Existenz eines gesamten Traditions­handwerks, um ein riesiges Stück Kulturgut, das unbedingt bewahrt bleiben muss.“

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FOTOS: JÜRGEN MOLL Backwarenv­erkäufer Andreas Rudolph (25) mag seinen Beruf und freut sich immer über nette Kunden.
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Werden trotz Krise keine kleineren Brötchen backen: die beiden Evertzberg­Geschäftsf­ührer Thomas Bischzur (l.) und Oliver Platt.

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