Bergische Morgenpost Wermelskirchen/Hückeswagen/Radevormwald
„Wir verlieren bald ein Stück Kulturgut“
Die Situation ist auch für das Bäckereihandwerk in Remscheid kaum noch zu stemmen. Allein das Unternehmen Evertzberg rechnet mit Mehrkosten von rund 1,4 Millionen Euro – sollte die Regierung jetzt nicht handeln.
Andreas Rudolph packt sechs Brötchen in eine Tüte. „Das macht 2,70 Euro“, informiert der Fachverkäufer den Kunden. Eine andere Kundin kauft zwei Brötchen. „In der Krise wählt man bewusster aus. Man kauft nur, was man wirklich braucht.“45 Cent kostet ein Brötchen aktuell in den Filialen der Bäckerei Evertzberg, vor der Preiserhöhung im April waren es noch 42 Cent.
„Das war kurz nach Beginn des Krieges. Wir haben bereits zwei Wochen nach dem Ausbruch die Erhöhungen der Rohstoffpreise zu spüren bekommen“, erklärt Evertzberg-Geschäftsführer Oliver Platt. Nicht umsonst wird die Ukraine als „Kornkammer Europas“bezeichnet, ebenso ist Russland großer Getreidelieferant. Als beide Märkte wegbrachen, musste vor allem Mehl wesentlich teurer eingekauft werden – teilweise bis zu 60 Prozent. „Und das zu einem Zeitpunkt, an dem wir eh noch lange nicht an unsere Umsätze von vor Corona herankamen“, erinnert sich Platt.
Während der Pandemie durfte zwar der Bäckereiverkauf in den 43 Filialen stattfinden, die teils angegliederten Cafés – insgesamt 30 – aber mussten während der Lockdowns geschlossen bleiben. „Für uns ist das Frühstücksgeschäft vor Ort ein lukrativer Geschäftsbereich. Nur Corona hat zu einer Verhaltensänderung geführt. Zwei Jahre lang konnten die Menschen nicht woanders frühstücken als zu Hause, daran haben sie sich jetzt gewöhnt und bleiben weiterhin weg. Und nicht zuletzt fehlt ihnen jetzt auch das Geld dazu“, weiß auch Mit-Geschäftspartner Thomas Bischzur. „Trotzdem, wir waren zu Beginn des Jahres in einer Art Aufbruchstimmung und sicher, dass wir das alles wieder hinbekommen würden. Aber dann kam der Krieg.“
Die Geschäftsführer haben berechnet: Rund 1,4 Millionen Euro an Mehrkosten bis Mitte nächsten Jahres kommen auf das Unternehmen zu: 690.000 Euro alleine für die erhöhten Rohstoffpreise, bei rund 1,1 Millionen Kilowatt Gas pro Jahr zudem Energiekosten in ebenfalls sechstelliger Höhe. Nicht zu vergessen: erhöhte Transport- und Lohnkosten
– ab Oktober steigt der Mindestlohn. Für Oliver Platt ist klar: „Wenn die Regierung sich nicht ganz schnell dazu entschließt zu handeln, dann werden mit Sicherheit die Hälfte aller Bäckereibetriebe bis nächstes Jahr verschwinden.“Er denke dabei nicht an „Almosen“in Form von Subventionen, sondern an handfeste Maßnahmen. „Es muss klare Preisdeckelungen geben, sowohl für die Energie- als auch die Einkaufspreise. Die Regierung muss es ermöglichen, dass auch wir wirtschaftlich arbeiten können.“
Um Kosten einzusparen, hat das Unternehmen neben der Produktpreiserhöhung im April auch andere Schritte eingeleitet. Die Öffnungszeiten der Filialen werden reduziert. Brötchen werden nicht mehr wie bisher bis 18 Uhr, sondern nur noch bis 14 Uhr gebacken. Zudem wird und wurde das Sortiment reduziert.
„Manche Produkte könnte der Kunde einfach nicht mehr bezahlen, aktuell etwa Erdbeer- oder Pflaumenkuchen. Das Obst ist im Einkauf nahezu unbezahlbar, was teilweise auch noch Corona geschuldet ist. Vieles konnte nicht geerntet werden, weil es keine Erntehelfer gab und dann ist es wie immer: Wenig Angebot, der Preis steigt.“
Beide Geschäftsführer arbeiten weiter an Möglichkeiten, die Kosten zu senken. Eins aber, so betont es Oliver Platt, sei für das gesamte Unternehmen völlig klar: „An der Qualität unserer Produkte wird nicht geschraubt. Wir bleiben dabei, dass wir weiterhin hochwertiges und acht Prozent teureres Mehl benutzen und wir verwenden weiterhin ausschließlich Butter, trotz eines Butterpreises von 8 Euro pro Kilo. Wir werden keinesfalls auf die wesentlich günstigere Margarine mit 3 Euro zurückgreifen. Es ist wichtig, dass der Kunde sich zumindest auf die Qualität verlassen kann, wenn er schon so viel mehr zahlen muss.“
Das Remscheider Traditionsunternehmen Evertzberg geht übrigens davon aus, dass es die Krise – sofern sie sich nicht gravierend verschlechtert und über Jahre ziehen wird – überlebt, dank einer soliden Unternehmensführung und eigenen Rücklagen.
„Das ist natürlich erst mal eine Erleichterung für uns und die Angestellten“, betont Platt, „aber es geht hier um die Existenz eines gesamten Traditionshandwerks, um ein riesiges Stück Kulturgut, das unbedingt bewahrt bleiben muss.“