Bergische Morgenpost Wermelskirchen/Hückeswagen/Radevormwald
In der Bibliothek von Michael Krüger
Dank Regisseur Frank Wierke darf das Publikum dem Verleger und Schriftsteller in der Dokumentation „Verabredungen mit einem Dichter“beim Denken zusehen.
Am schönsten ist die Stelle, an der die Kamera allmählich über die Arbeitsbibliothek schwenkt: Walter Benjamin, Botho Strauß, Milan Kundera. Die oberen Reihen sind nur über eine kleine Leiter zu erreichen. „Eine Bibliothek lebt“, sagt Michael Krüger. Gerade habe er Bücher von Robert Walser hervorgeholt und die Lücken sofort mit anderen Bänden aufgefüllt. So verändere die Bücherwand ihr Aussehen. Jede Woche lese er in Kafkas Tagebüchern und Fragmenten, andere Bücher lese er kaum noch. Aber auch bei denen sei er froh, dass sie da sind und ihn beschützten.
„Verabredungen mit einem Dichter: Michael Krüger“heißt der Dokumentarfilm von Frank Wierke. Er ist das Ergebnis mehrerer Treffen des Regisseurs mit dem früheren Hanser-Verleger, Literaturvermittler und Dichter. Zu erleben sind Momente aus dem letzten Monat im Verlag, die Reaktion auf eine Leukämie-Diagnose und Ausflüge in die Natur. Wierke nähert sich dem heute 78-Jährigen zum Glück nicht über biografische Daten oder rückblickend über die Auflistung seiner Verdienste. Er lässt ihn einfach sprechen, und das Hinreißende an diesem Film ist, dass das Publikum über das Zuhören in die Welt dieses Mannes gerät.
So staunt man mit Krüger über die 80.000 Blätter, die ein Baum in aller Stille während zweier Wochen im Frühjahr hervorbringt. Man folgt ihm in das schönste Zimmer der Bayerischen Akademie der Künste, aus dessen Zimmer er die Leute unten in der Fußgängerzone beobachtet. Man beneidet ihn um die 300 bis 400 Bücher, die er pro Jahr liest. Und man blickt in seinen Notizkalender, der in den betreffenden Wochen randvoll ist mit Begegnungen in halb Europa. Als Höhepunkt ist die Reise zur Nobelpreisvergabe an seinen Freund Peter Handke eingetragen.
Das ist eine fabelhafte Art, einen Menschen zu porträtieren: Indem man ihn er selbst sein lässt. Indem man ihn nicht stört, sondern bloß bittet, vor aller Augen und Ohren laut zu denken. So spürt man wie nebenbei, wie Krüger mit der Vergänglichkeit hadert. Zweimal im Jahr sei er einst nach New York gereist, sagt er. Er habe dort Philip Roth getroffen, John Ashbery und Joseph Brodsky. Er fragt sich: Warum kauft man sich nicht einfach ein Ticket und fährt hin? Und man ahnt, dass es zu anstrengend geworden ist.
Anfang 2020 begab sich Krüger wegen der Pandemie in Quarantäne in ein abgelegenes Holzhaus. Er war in der Abwesenheit jedoch präsent wie eh und je, schrieb von dort für Zeitungen und ließ sich anrufen und im Radio interviewen. Diese Phase streift der Film nur, er dokumentiert den Weg, der in die Gegenwart führt. „Die Bedingung von Schreiben ist Nichtschreiben“, sagt Michael Krüger. Der Schreibprozess setze nicht am Schreibtisch sein, sondern beim Spazierengehen. „Gedichte wandern im Körper herum und finden ihren Weg hinaus.“
Irgendwann fragt sich Michael Krüger, um was es im Leben wohl gehe. Er zitiert den Schluss der „Traurigen Tropen“von Claude Levi-Strauss: die „Betrachtung eines Minerals, das schöner ist als alle unsere Werke, der Duft der Lilie, der weiser ist als unser Bücher oder der Blick, den ein unwillkürliches Einverständnis zuweilen auszutauschen getötet mit einer Katze“.
Verabredungen mit einem Dichter – der Film feiert am 23. September um 19 Uhr seine Premiere im „Bambi“in Düsseldorf. Regisseur Frank Wierke wird anwesend sein.