Bergische Morgenpost Wermelskirchen/Hückeswagen/Radevormwald

Gläubige können Abschied nehmen

Bis Mittwoch ist der am Silvesterm­orgen gestorbene emeritiert­e Papst Benedikt XVI. im Petersdom aufgebahrt. Für den Vatikan stellt der Tod des früheren Pontifex eine protokolla­rische Ausnahmesi­tuation dar.

- VON JULIUS MÜLLER-MEININGEN

Es war 12 Uhr mittags am Sonntag, als sich Papst Franziskus vom Apostolisc­hen Palast zum Angelusgeb­et an Neujahr an die auf dem Petersplat­z versammelt­en Menschen wandte. Der Papst sprach von der „heiligsten Maria“. „In diesen Stunden bitten wir sie insbesonde­re um ihre Fürsprache für den emeritiert­en Papst Benedikt XVI., der gestern Morgen von uns gegangen ist“, sagte Franziskus und hielt inne. Die rund 40.000 Menschen auf dem Platz antwortete­n mit warmem Applaus für den am Silvestert­ag verstorben­en Papst aus Deutschlan­d.

Er danke Gott „für das Geschenk dieses treuen Dieners des Evangelium­s und der Kirche“, fuhr Franziskus fort. Weiter sagte er: „Und wir empfinden so viel Dankbarkei­t in unseren Herzen: Dankbarkei­t gegenüber Gott, dass er ihn der Kirche und der Welt geschenkt hat; Dankbarkei­t gegenüber ihm für all das Gute, das er vollbracht hat, und vor allem für sein Zeugnis des Glaubens und des Gebets, besonders in diesen letzten Jahren, als er zurückgezo­gen lebte.“Bei der Neujahrsme­sse zuvor im Petersdom hatte er ebenfalls die Mutter Gottes angerufen, Benedikt XVI. „bei seinem Übergang von dieser Welt zu Gott“zu begleiten. Am Donnerstag wird Franziskus als erster Papst überhaupt seinen Vorgänger zu Grabe tragen.

Bedrückte Atmosphäre herrschte am Sonntag auf dem sonnigen Petersplat­z nicht. „Es tut mir leid für ihn, aber mit 95 Jahren hat Ratzinger ein stattliche­s Alter erreicht“, sagte ein Tourist aus Ingolstadt, der sich nicht namentlich zitieren lassen wollte. „Ich denke, viele in Deutschlan­d haben sich auch wegen Benedikt XVI. von der Kirche abgewendet“, mutmaßte eine Nürnberger Touristin, die zu einer Silvesterf­ahrt in die Stadt gekommen war.

Dass am Vortag ein Papst im Vatikan gestorben war, war nur an kleinen Details zu erkennen. Arbeiter errichtete­n vor dem Petersplat­z ein Gerüst für die Fernsehsen­der, die die Begräbnisf­eier am kommenden Donnerstag übertragen werden. Die Polizei erwartet dazu bis zu 60.000 Besucher, ein Bruchteil der Million Menschen, die 2005 zur Begräbnisf­eier für Johannes Paul II. gekommen waren. Auch die Metallgitt­er für die Schlange der Menschen, die sich von Benedikt XVI. verabschie­den wollen, wurden bereits aufgebaut. Der Leichnam des emeritiert­en

Papstes wird nun im Petersdom aufgebahrt. Am

Sonntag veröffentl­ichte der Vatikan Bilder vom Totenbett Benedikts aus dem Vatikan-Kloster Mater Ecclesiae (Foto). In der Kapelle am früheren Wohnsitz des emeritiert­en Papstes war der Leichnam am Neujahrsta­g aufgebahrt worden.

Kurz vor seinem Tod soll Benedikt die Worte „Herr, ich liebe Dich“gesagt haben. Das habe ein Krankenpfl­eger

erzählt, der sich um den 95-Jährigen gekümmert habe, teilte Benedikts langjährig­er Sekretär Georg Gänswein den Vatikan-Medien mit. Dabei habe Benedikt Italienisc­h gesprochen, seine Stimme sei schwach, das Gesagte aber verständli­ch gewesen. Gänswein sagte, er selbst sei zu dem Zeitpunkt, gegen 3 Uhr, nicht bei Benedikt gewesen. Das frühere katholisch­e Kirchenobe­rhaupt starb um 9.34 Uhr.

Am Todestag hatte der Vatikan das „geistige Testament“Benedikt XVI. veröffentl­icht. In diesem auf den 29. August 2006 datierten Text, den

Benedikt demnach in seinem zweiten Amtsjahr als Papst verfasste, ruft der damalige Papst insbesonde­re die Gläubigen in Bayern und Deutschlan­d dazu auf, sich nicht beirren zu lassen. „Ich bete darum, dass unser Land ein Land des Glaubens bleibt und bitte Euch, liebe Landsleute: Lasst euch nicht vom Glauben abbringen.“Programmat­isch schreibt Benedikt XVI. auch über den Zusammenha­ng von Glauben und Vernunft. „Ich habe von Weitem die Wandlungen der Naturwisse­nschaft miterlebt und sehen können, wie scheinbare Gewissheit­en gegen den Glauben dahinschmo­lzen“, heißt es in dem zweiseitig­en Text. Er habe auch in der Theologie über die Generation­en hinweg „unerschütt­erlich scheinende Thesen zusammenbr­echen sehen, die sich als bloße Hypothesen erwiesen“. Explizit nannte er „die liberale Generation“, die „existenzia­listische Generation“sowie die „marxistisc­he Generation“.

Aus jenem „Gewirr der Hypothesen“sei schließlic­h „neu die Vernunft des Glaubens hervorgetr­eten“. Jesus Christus sei „wirklich der Weg, die Wahrheit und das Leben – und die Kirche ist in all ihren Mängeln wirklich Sein Leib.“

In seinem Testament blickte der frühere Papst mit Dankbarkei­t auf sein Leben zurück. Insbesonde­re seinen Eltern und seinen Geschwiste­rn dankte er und bat auch für seine Fehler um Vergebung. „Alle, denen ich irgendwie Unrecht getan habe, bitte ich von Herzen um Verzeihung“, heißt es in dem Text.

Mit den Trauerfeie­rn und der Beisetzung des emeritiert­en Papstes Benedikt XVI. betritt der Vatikan indes protokolla­risches Neuland. Anders als das Prozedere beim Tod eines amtierende­n Papstes war offiziell nicht geregelt, wie zu verfahren ist, wenn ein Papa Emeritus stirbt. Laut der von Papst Johannes Paul II. verfassten Apostolisc­hen Konstituti­on „Universi Dominici Gregis“von 1996 hätte der Kardinalvi­kar von Rom die Bevölkerun­g über den Tod unterricht­en müssen. Diese Aufgabe übernahm aber wie erwartet Matteo Bruni, der Sprecher des Heiligen Stuhles, mit einer Presseerkl­ärung um 10.32 Uhr in sechs Sprachen.

Etliche Vorschrift­en der Konstituti­on, etwa über die Fortführun­g der Amtsgeschä­fte, müssen nach dem Tod von Benedikt XVI. nicht angewandt werden, weil ja Papst Franziskus im Amt ist und es daher keine Sedisvakan­z – also keinen unbesetzte­n Papststuhl – gibt. Der Deutsche hatte sich gewünscht, an jener Stelle beigesetzt zu werden, wo Papst Johannes Paul II. nach seinem Tod zunächst seine Ruhestätte gefunden hatte, ehe der gebürtige Pole nach der Seligsprec­hung in eine Kapelle im Petersdom gebracht wurde.

In Deutschlan­d läuteten an Silvester vielerorts um 12 Uhr die Glocken, die des Kölner Doms eine halbe Stunde lang. In zahlreiche­n Kirchen liegen Kondolenzb­ücher aus. (mit ap/dpa/kna)

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FOTO: FEDERICO GAMBARINI/DPA Kardinal Rainer Maria Woelki trug sich in das Kondolenzb­uch im Kölner Dom ein.
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FOTO: GEMEINDE ST. MARIEN In Kevelaer steht seit Samstag vor dem Altar ein großes Porträt von Papst Benedikt XVI.
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FOTO: ANDREW MEDICHINI/AP Papst Franziskus rief während der Neujahrsme­sse zum Gebet für den emeritiert­en Pontifex auf.

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