Bergische Morgenpost Wermelskirchen/Hückeswagen/Radevormwald
Ein Leben in der Notschlafstelle
Marcel Grottke hat durch die Drogensucht fast alles verloren. Nun arbeitet er bei einer Beratungsstelle in Düsseldorf-Flingern, ist dort auch in ärztlicher Behandlung. Was ihm fehlt, ist eine Wohnung. Doch er kämpft dafür.
Marcel Grottke ist ein Mann, dem es wichtig ist, einen Rückzugsort zu haben. Er sagt, für ihn sei es das Wichtigste, immer mal wieder Raum und Zeit zu haben, die Gedanken zu sortieren und „runterzukommen“. Doch Marcel Grottke hat keine Wohnung, die ihm das bieten würde. Der 37-Jährige kämpft darum, sein Leben wieder so aufzubauen, dass er genau das haben kann: einen Ort nur für sich alleine.
Genau so ein Ort fehlt in Nordrhein-Westfalen mehr Menschen, als bisher angenommen wurde. Im April erschien eine Studie der Gesellschaft für innovative Sozialforschung und Sozialplanung Bremen im Auftrag des NRW-Sozialministeriums, nach der im Juni/Juli 2021 knapp 5300 Menschen ohne eigene Wohnung in Notunterkünften oder auf der Straße lebten. Das Ministerium war zuvor von weniger Menschen ausgegangen, die in dieser Situation sind. Die Studie beruhte auf Befragungen von Menschen in Fachberatungsstellen. 60 Prozent der Befragten gaben an, ohne jegliche Unterkunft und damit obdachlos zu sein, die restlichen 40 Prozent bezeichneten sich als wohnungslos, also mit Zugang zu einem Obdach, etwa bei Familie oder Freunden. Knapp die Hälfte der Personen ohne Unterkunft gab zudem an, suchtkrank zu sein. 70 Prozent von ihnen waren nicht in ärztlicher Behandlung.
Einer von ihnen war Marcel Grottke. Seit drei Jahren hat er keine Wohnung mehr, schläft in Notschlafstellen oder auf der Straße. Seit einer Trennung von der Mutter seiner drei Kinder und seinem Absturz in die Drogensucht hat er den Faden im Leben verloren, wie er sagt. Bei seinem letzten Rückfall sei ihm aber klar geworden, dass sich etwas ändern müsse. Dass er etwas ändern müsse. Er hat einen Platz im Substitutionsprogramm in der Drogenberatungsstelle an der Flurstraße in Düsseldorf-Flingern bekommen. Der Sozialdienst katholischer Männer und Frauen hat dort seit Sommer einen neuen Standort.
Grottke arbeitet dort auch: Fünfmal pro Woche geht er mit seiner Gruppe durch Flingern und sammelt Müll auf, die Umgebung soll sauber bleiben. Die Gruppe übernimmt auch kleinere Renovierungsarbeiten
und kümmert sich um den Garten in der Flurstraße, der noch vor Monaten wild bewachsen war und zu einer netten Sitzgelegenheit geworden ist. Einem Rückzugsort.
Den bräuchte Grottke auch dringend, sagt er. Denn so gerne er in der Beratungsstelle arbeite, im angeschlossenen Café halte er sich nicht immer gerne auf: „Da ist viel los, ständig kommen neue Leute dazu. Ich mag die Leute dort, aber manchmal wird mir das zu viel“, sagt er. Also arbeitet er weiter, mit seiner Gruppe, aber vor allem an sich selbst. Sollte die Beratungsstelle irgendwann Menschen festanstellen, dann wolle er sich bewerben. Er zieht sein Substitutionsprogramm weiter durch, auch wenn er panische Angst vor der Abdosierung hat, wie er sagt. Er will irgendwann vielleicht auch wieder mehr Kontakt zu seinen Kindern, im Moment traut er sich das noch nicht zu, beschränkt sich auf Telefon und Briefe. Doch er arbeitet dran. „Ich versuche einfach, jede neue Hürde wieder zu nehmen“, sagt er. „Geht auch nicht anders, sonst lande ich wieder in der Hölle. Zurück ist immer schlimmer, als es nach vorne je werden kann.“
Dass Grottke auf dem richtigen Weg ist, davon ist auch sein Chef überzeugt, der die Arbeit der Gruppe koordiniert. Anfangs sei der noch mitgekommen, wenn Grottke und seine neun Mitstreiter durch Flingern gezogen seien. Doch mittlerweile machen sie das alleine. „Der kann mir vertrauen“, sagt Grottke. Vertrauen hätten nach und nach auch die Anwohner in Flingern aufgebaut. „Man kommt immer mal wieder ins Gespräch, die Allermeisten sind super freundlich zu uns“, sagt er. Auch das motiviert ihn.
Bei der Wohnungssuche stoße er oft auf nicht so viel Offenheit: „Ich stehe auf jeder Liste, bewerbe mich, wo ich kann, aber es ist sehr schwierig, hier eine Wohnung zu finden“, sagt Grottke. Dabei könnte es ihm sehr helfen, wenn er eine eigene Wohnung hätte, glaubt er. „In der Notschlafstelle ist es immer schwierig, man hat oft auch Zimmernachbarn, die weniger Struktur in ihrem Tag haben, das kann einem dann schon Angst machen. Angst, dass man da selbst wieder zurück rutscht“, sagt er. Doch er kämpft weiter.
Auf das, was er bisher geschafft hat, ist er stolz. Seine Arbeit macht ihm Spaß. Früher hat er mal eine Maurerlehre gemacht, deshalb sei er gut in handwerklichen Sachen, aber auch das Draußensein tue ihm gut, wie er sagt. Seine Sucht habe er unter Kontrolle, seine Tage hätten wieder eine Ordnung. Bis zum Frühjahr – eigentlich so schnell wie möglich – sei sein Ziel, eine Wohnung zu finden. Einen Rückzugsort.