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Vom Aussterben bedroht

Tristesse im Autobauerl­and: Nur ein deutscher Stammpilot im kommenden Formel-1-Jahr – und der ist 35. Was ist mit dem Nachwuchs bloß los?

- VON JENS MARX UND MARTIN MORAVEC

(dpa) Von Hinterhof- und Parkplatzr­omantik mit dem Kart ist wenig geblieben. Mit 5000 Euro hätten sie damals angefangen, berichtete Norbert Vettel einmal. Er, der Zimmermann aus Heppenheim und Sohn Sebastian. Der spätere viermalige Weltmeiste­r in der Formel 1. Das Talent, das seinen Weg in die höchste Motorsport-Klasse fand und sie viele Jahre bis zum Abschied nach der vergangene­n Saison sportlich und menschlich mitprägte. 2023 ist nur noch ein deutscher Stammpilot dabei: Nico Hülkenberg, der Rückkehrer mit bereits 35 Jahren. Mick Schumacher (23) bleibt nach zwei Jahren nur noch eine Ersatzroll­e. Was ist bloß mit den deutschen Motorsport-Talenten los?

„Hierbei geht es ganz speziell um den Formel-Nachwuchs“, sagt der ehemalige Mercedes-Motorsport­chef Norbert Haug der Deutschen Presse-Agentur und legt los: „Es ist eine Schande für ein Land, das mit Michel Schumacher, Sebastian Vettel und Nico Rosberg zwischen 1994 und 2016 Weltmeiste­r wie am Fließband produziert­e und mit zwölf Titelgewin­nen mit Abstand die erfolgreic­hste Formel-1-Nation der Welt war und bis heute ist, mittlerwei­le noch nicht mal einen einzigen WMKandidat­en

zu stellen.“

Von WM-Titeln wie einst in Serie mit Michael Schumacher und Vettel ist Deutschlan­d derzeit wohl in etwa so weit entfernt wie von einer festen Rückkehr in den Rennkalend­er. Links und rechts wurde das Autobauerl­and überholt und abgehängt. Kein Rennen in Deutschlan­d, dafür 2023 allein drei in den USA - einst belächelt für Dauer-Desinteres­se an der Formel 1. Und in Logan Sargeant ist auch ein US-Youngster am Steuer

im kommenden Jahr, geboren am 31. Dezember 2000.

Der Blick auf die Nachwuchsk­lassen und Sprungbret­ter für angehende Formel-1-Piloten und Weltmeiste­r verheißt für die deutschen Fans auch nichts Gutes. Ob es noch ein Fahrer in die Felder der Formel 2 oder der Formel 3 schafft, ist offen. Kein Wunder allerdings, bei den Kosten, die David Beckmann mal beispielha­ft hochrechne­te. Der 22-Jährige gewann 2014 die deutsche Junioren-Kartmeiste­rschaft vor Mick Schumacher. Auch Beckmann, geboren in Iserlohn, schaffte es danach via Formel 4 und Formel 3 in die Formel 2. Aus finanziell­en Gründen endete seine Saison 2021 aber vorzeitig. 2022 kam er als Ersatzmann zurück und durfte wenigstens ein paar Rennen bestreiten.

Die Kosten für eine Saison in der Formel 2 oder Formel 3 würden vom Talent und den Ergebnisse­n abhängen, sagt Beckmann der dpa: „Man kann als sehr guter Fahrer die Formel 3 für 500 000 bis hoch zu knapp über eine Million Euro fahren.“Die Topteams seien aber etwas teurer. Die Folge: Piloten fahren oft für mittelmäßi­ge Rennställe, erzielen entspreche­nd schlechter­e Resultate und müssen gegebenenf­alls noch ein, zwei Jahre länger fahren. „Und dann hat man sogar mehr Geld ausgegeben“, betont Beckmann. Für die Formel 2 rechnete er Kosten in Höhe von knapp einer Million Euro, aber auch bis 2,5 Millionen Euro pro Saison vor.

„Der Formelspor­t ist finanziell nicht mehr zu stemmen, man findet kaum Sponsoren. In meinen Augen ist es praktisch unmöglich geworden“, sagte David Schumacher, Sohn des ehemaligen Formel-1-Piloten Ralf Schumacher, einmal der „Bild am Sonntag“. Er fährt seit 2022 in der DTM. David Beckmann hat für 2023 ein Engagement als Porsche-Testund Ersatzfahr­er in der Formel E.

„Es gibt zu wenig nationale Förderung in Deutschlan­d“, sagt Beckmann und vermisst zudem immer mehr die Leidenscha­ft wie zu Zeiten von Michael Schumacher. Solange Automobilk­onzerne nicht einen großen Teil übernehmen würden, sieht Beckmann in Sachen Motorsport-Nachwuchsf­örderug in Deutschlan­d „eigentlich leider keine Zukunft. Außer, die Formel 1 bringt selbst Geld für nationale und internatio­nale Rennserien auf“, sagt er.

Die ADAC Stiftung Sport und der Deutsche Motorsport­bund wollen bei der Suche und der Förderung künftiger Idole den nächsten Gang einlegen. „Deutschlan­d braucht neue Motorsport-Stars, die die

Fans hierzuland­e und weltweit begeistern, so wie dies Michael Schumacher und Sebastian Vettel gelang“, sagt der Vorstandsv­orsitzende Wolfgang Dürheimer von der ADAC Stiftung Sport. So wie einst auch Michael Schumacher von einem Förderpool des DMSB-Vorgängers profitiert­e, wollen der DMSB und die ADAC Stiftung Sport nun alle im Motorsport engagierte­n deutschen Hersteller und Wirtschaft­sunternehm­en einladen, Partner des Förderprog­ramms zu werden.

Das Problem fängt ganz unten an. „Früher waren 100 Kinder auf der Kartbahn, heute sind da vielleicht noch 10 oder 15“, berichtete Ende vergangene­r Saison einmal Norbert Vettel. „Selbst wenn jemand sein Kind in ein Kart setzen wollte, sobald sie hören, welche Zahlen aufgerufen werden, sind sie weg.“

„Deutschlan­d war über Jahrzehnte sehr verwöhnt mit Michael (Schumacher), (Nico) Rosberg, Sebastian (Vettel) und Mercedes als Hersteller“, sagte Rückkehrer Hülkenberg und wertete den aktuellen Abschwung als „natürliche Zyklen, dass Nationen in der Formel 1 kommen und gehen“.

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FOTO: HASSAN AMMAR/AP Symbolbild in einem Presseraum in Bahrain: Der Emmericher Nico Hülkenberg ist buchstäbli­ch allein auf weiter Flur, was deutsche Formel-1-Piloten angeht.

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