Bergische Morgenpost Wermelskirchen/Hückeswagen/Radevormwald
Liebliche Musik der Schäfer
Klassik Es ist das Wesen der Weihnachtszeit, dass ihr etwas Dehnbares innewohnt. Mit dem zweiten Weihnachtstag, also dem 26. Dezember, ist längst nicht alles vorbei. In der Kirche singen wir Weihnachtslieder noch bis weit in den Januar hinein, und kirchlich ist bis heute nicht abschließend geklärt, wie lang die Weihnachtszeit offiziell dauert: bis zum 2. Februar, also zum Fest Mariä Lichtmess, oder bis zum „Sonntag nach Erscheinung“, das wäre der Sonntag nach dem Dreikönigsfest.
Ich plädiere für großzügige Auslegung der Causa, denn in einem Selbstversuch zwischen Heiligabend und Silvester habe ich festgestellt, dass ich in diesen Tagen die Muße für eine hinreißende, erbauliche neue Weihnachtsplatte habe. Wer sich nun beschwert, dass dieser CD-Tipp angeblich zu spät kommt, dem entgegne ich: Es ist der erste Tipp für die Weihnachtszeit 2023/2024.
Die Platte, bei der Deutschen Harmonia Mundi erschienen, trägt den beschaulichen, fast unverdächtigen Titel „Pastorale“, auf dem Cover schaut uns ein Schaf an. Tatsächlich sind die Hirten nicht die unwichtigsten Mitwirkenden bei der Christgeburt, was die Musikgeschichte aufgegriffen hat. Aber auch die Literatur: Die Schriftstellerin Fanny Lewald hat der Hirten wundertätiges Wirken in ihrer Erzählung „Christnacht“dargestellt, aus der Matthias Brandt nun auf der CD liest. Brandt ist prominenter Lieferant kleiner Texte, in denen es etwa um die Hirtenschalmeien geht. Dazu erklingt lauschigste Barockmusik
von Corelli, Vivaldi, Marcello, Händel und anderen. Zwei Dorotheen haben sich verbündet: zum einen Dorothee Oberlinger, die wunderbare Blockflötistin, die mit dem Ensemble 1700 und Li Piffari e le Muse Liebreiz in schönster Form auf uns herabbläst. Zum anderen die Sopranistin Dorothee Mields, die beispielsweise eine Scarlatti-Kantate mit bestrickender, inniger Zugewandtheit singt. Diese CD darf man jetzt noch über Wochen genießen. Es gilt aber auch: Mit ihr kann Heiligabend 2023 kommen! Wolfram Goertz