Bergische Morgenpost Wermelskirchen/Hückeswagen/Radevormwald
„Er war mein modernster Professor“
Hans-Jürgen Roth schrieb seine Doktorarbeit bei Joseph Ratzinger, dem späteren Papst Benedikt XVI..
Der Tod von Benedikt XVI. geht einem Mann in Remscheid besonders nahe: Hans Jürgen Roth kannte Joseph Ratzinger, den späteren Papst, persönlich – und sieht auf ihn mit einem Blick, der zunächst verwundern mag: „Er war mein bester und modernster Professor.“Seine Doktorarbeit schrieb er bei Ratzinger.
Von 1960 bis 1962 studierte der Remscheider Hans Jürgen Roth bei Professor Dr. Joseph Ratzinger. Der lehrte damals in Bonn die katholische Theologie. „Er hat uns Studenten Mut gemacht, modern zu denken und Blicke über Zäune zu wagen“, berichtet Roth rückblickend. „Er war der Erste, der mich hinführte zum Dialog mit den großen Weltreligionen. Er war der Erste, der mich mit dem Denken des Atheismus vertraut machte.“
Hans Jürgen Roth wurde später Pfarrer, ist pensionierter Schulreferent und hat Generationen von Remscheider Schülern begleitet. Der Kontakt zu Joseph Ratzinger ist nie abgebrochen. Sie pflegten Briefkontakt. Mit vielen seiner Schüler hat er den späteren Papst auch persönlich getroffen: Regelmäßig reiste Roth mit Schüler- und Lehrergruppen aus Remscheid in den Vatikan. Seine Führungen seien so beliebt gewesen, dass er sogar offizieller Vatikan-Reiseführer wurde – die Urkunde unterzeichnete ein gewisser Joseph Kardinal Ratzinger, damals Glaubensminister im Vatikan.
Als Ratzinger in den Vatikan wechselte, bekam Roth mit seinen Remscheid-Gruppen regelmäßig
Termine. 1995 etwa reiste er mit 42 Religionslehrern nach Rom. Und Ratzinger – damals Glaubensminister und als solcher die rechte Hand von Papst Johannes Paul II. – öffnete dem katholischen Schulreferenten aus Remscheid Tür und Tor.
Auch persönlich nahm er sich Zeit: „Ihr müsst früh aufstehen, dann kann ich mit euch sprechen.“Um 7 Uhr trafen sie sich in der Messe, ab 7.30 Uhr hatte der Kardinal dann Zeit für ein Gespräch – bevor um 8 Uhr sein Dienst im Vatikan begann.
Hans Jürgen Roth war nicht mit allem einverstanden, was der emeritierte Papst im Laufe seines theologischen Wirkens gesagt hat. „Ich habe mich oft an ihm gerieben“, sagt Roth über Kardinal Ratzinger und Papst Benedikt. In seinem Studium erlebte er ihn aus einem ganz anderen Blickwinkel. „Er hat mit wirklich geholfen, in das Fach einzusteigen. Und er hat mich im modernen Denken gestärkt.“Für die Zeit damals sehr ungewöhnlich.
Wie aber passt das zu dem Bild des sehr konservativen Papstes, dessen Amtszeit mit den Missbrauchsskandalen in der katholischen Kirche und deren so unrühmlicher Aufarbeitung verbunden bleiben wird? „Das hat sich mit den 68ern gedreht“, glaubt Roth. Ratzinger sei modern gewesen – die 68er aber habe er in ihrer Radikalität nie verstanden. „Man kann doch nicht einfach alles komplett über den Tisch werfen, was unsere Vorfahren aufgebaut haben“, sei Ratzingers Ansatz gewesen.
Und wie war er als Mensch? „Er war immer ein braver Kerl“, sagt Roth. Und genau das sei später sein Problem geworden: „Er konnte nicht mit Konflikten umgehen.“Das zeigte sich schon im Umgang mit den 68ern, verschärfte sich dann als
Glaubensminister und später erst recht, als es um die Missbrauchsfälle in der katholischen Kirche ging – auch als es nach seiner Emeritierung um die öffentliche Aufarbeitung der Geschehnisse in München-Freising ging. „Der liebe Kerl konnte nicht mit diesen Dingen umgehen“, glaubt Roth. Im Nachhinein sei die Welt immer schlauer. „Ich hatte den Eindruck, er wollte die Kirche schützen.“
Sein persönliches Bild bleibt deshalb ein ganz anderes. „Das alte positive Bild, das ich von meinem ehemaligen in der Sache so klar und doch so bescheiden auftretenden Professor hatte, der so liebenswürdig mit uns umgegangen war, blieb mir bei unseren Besuchen im Vatikan erhalten.“Als Benedikt XVI. 2013 als Oberhaupt der römischkatholischen Kirche zurücktrat, war das für den Remscheider Hans Jürgen Roth ebenfalls ein Zeichen der Moderne. „Er bringt die Kirche zum Nachdenken.“
2005 hat er ihn zuletzt persönlich gesehen. Fünf Wochen nach der Papstkrönung von Benedikt XVI. war Hans Jürgen Roth mit einer Gruppe ehemaliger Schüler im Vatikan, auf dem Petersplatz erlebten sie den neuen Papst.
Mit einer der Schülerinnen von damals telefonierte Hans Jürgen Roth am Silvestermorgen, auch an die Reise damals erinnerten sich die beiden. „Und zwei Stunden später kam dann die Nachricht, dass er genau in diesen Minuten gestorben sein muss.“Zufall? Schicksal? Fügung? Vielleicht Fügung, sagt Hans Jürgen Roth. Fügung für sein Leben jedenfalls war es, in jungen Jahren auf Ratzinger zu stoßen.