Bergische Morgenpost Wermelskirchen/Hückeswagen/Radevormwald

Tanz den Weltschmer­z

Das Festival „Temps d’Images“im Tanzhaus NRW bietet wieder viele verschiede­ne Ansätze, wie sich Tanz mit neuen Technologi­en auseinande­rsetzen kann.

- VON MARION MEYER

Tanz und Technologi­e zu verbinden, das hat sich das Festival „Temps d’Image“(auf Deutsch: Zeit für Bilder) auf die Fahnen geschriebe­n. Vom 6. bis 15. Januar findet es im Tanzhaus NRW statt, und das hat gute Tradition. Denn schon seit 2005 eröffnet das innovative Festival das Bühnenprog­ramm des neuen Jahres im Tanzhaus NRW.

Was früher ein Gegensatz war – Tanz und Technologi­e –, findet im zeitgenöss­ischen Tanz immer häufiger zu einer gelungenen Symbiose. Tanz, der die Körperlich­keit im Raum ins Zentrum rückt, trifft hier auf digitale Medien und entwickelt daraus neue Formen. So auch bei dieser Ausgabe des Festivals, das neben internatio­nalen Gastspiele­n regionale Künstler präsentier­t und dabei eine Vielfalt an Ansätzen und neuen Formaten vorstellt. Intermedia­lität ist Programm: Es gibt Installati­onen, Ausstellun­gen, Klang, große Bühnenprod­uktionen genauso wie kleine One-to-One-Performanc­es, in denen der Zuschauer zum Akteur werden kann.

„Die Stücke sind unter dem Einfluss der Pandemie entstanden – das merkt man ihnen an“, sagt Stefan Schwarz, der im Tanzhaus NRW für das Bühnenprog­ramm zuständig ist und das Festival kuratiert hat. Denn gerade in den Zeiten der Pandemie haben die digitalen Medien einen wachsenden Einfluss auf das Leben genommen und sind Teil des Alltags geworden. Angst, Unbehagen, Skepsis sind dabei Gefühle, die man dieser Entwicklun­g entgegenbr­ingen kann, genauso wie Freude oder Erleichter­ung über die neuen technische­n Möglichkei­ten.

Die Künstler bieten dabei verschiede­ne Herangehen­sweisen, „sie kommen aus komplett unterschie­dlichen Universen“, sagt Schwarz. Der Umgang mit Physikalit­ät wird in verschiede­nen Formen verhandelt, „das macht das Festival aus, aber es bietet eben viel mehr als Tanz“, sagt der Kurator.

Tanz und Virtual Reality ( VR) verbinden Anna-Carolin Weber und Tobias Kopka in ihrer Mixed-RealityTan­z-Performanc­e „I Spy with my Little Eye“, die ab 6. Januar an beiden Festivalwo­chenenden zu erleben ist. Hier können sich Besucher mittels VR spielerisc­h in Kontakt mit einem Performer begeben. Erst steuert man selbst per Controller, was der Performer sieht. Danach begibt sich der Besucher mittels VRBrille in den digitalen Raum, den er selbst gestaltet hat. 15 Minuten dauert so eine Eins-zu-eins-Begegnung, bei der man aber auch nur Zuschauer sein kann. Eine Anmeldung ist hier empfohlen.

Ebenfalls ab 6. Januar sind verschiede­ne kurze (Video-)Installati­onen von Charlotte Triebus, Alfredo Zinola, Dominik Geis, Lena Biresch und Alexander Whitley in einer während des Festivals laufenden Ausstellun­g im Foyer zu sehen. Dabei geht es um VR wie auch um Augmented Reality (AR), um die Bedeutung

von Avataren, um Körper im virtuellen Raum und um geometrisc­he Muster in der Natur.

Das Bühnenprog­ramm eröffnet Alexander Whitley und seine Company aus Großbritan­nien. Er untersucht in seinem Stück „Anti-Body“, ob wir Menschen unsere Einzigarti­gkeit bewahren können oder irgendwann in einem Universum aus Algorithme­n aufgehen. Motion-Capture-Punkte an den Körpern der Tänzer übertragen deren Bewegungen auf virtuelle Formen, die auf Screens erscheinen. „Die Videos werden in Echtzeit produziert und umgewandel­t in die Projektion­en. So bekommt man als Zuschauer zwei Ebenen zu sehen“, erklärt Stefan Schwarz. „Das ist ästhetisch perfekt und visuell sehr beeindruck­end umgesetzt.“Alexander Whitley, Artist in Residence am Sadler’s Wells Theatre in London, ist Spezialist für neue Technologi­en und gastiert zum ersten Mal in Düsseldorf.

Ula Sickle ist eine kanadisch-polnische Choreograf­in aus Brüssel. In ihrer Konzert-Performanc­e „The Sadness“, die sie während der Pandemie entwickelt hat, reflektier­t sie die Traurigkei­t und Melancholi­e bestimmter Musikstück­e, die die aktuelle Popkultur prägen, weil sie den „Weltschmer­z des 21. Jahrhunder­ts“ausdrücken. Die Zuschauer werden ganz nah um ein Spielfeld aus Erde herumsitze­n und den drei Performern dabei zusehen, wie sie singen, tanzen und die Musik via App selbst steuern. So entsteht ein getanztes Konzert.

Fabien Prioville, Choreograf und Tänzer aus Düsseldorf, wird sich in der Premiere von „2Sides“mit Streamingf­ormaten beschäftig­en. Die Bodycams auf den Anzügen der Tänzer sorgen dafür, dass die physische Performanc­e gleichzeit­ig in eine digitale Liveaufnah­me umgewandel­t und gestreamt wird. So spielt das Stück mit Erwartungs­haltungen. Schwarz: „Mit Fabien Prioville haben wir schon häufig zusammen gearbeitet. In seiner Performanc­e thematisie­rt er die körperlich­e Auseinande­rsetzung mit verschiede­nen Formen der Digitalitä­t.“

Ondrej Holbas Stück „And who is useless now“, das als deutsche Erstauffüh­rung zu sehen ist, eignet sich auch für Kinder und Jugendlich­e, die beiden Schulauffü­hrungen sind allerdings schon ausverkauf­t. Aber auch für Erwachsene bietet das Stück jede Menge unterhalts­ame Momente, um über künstliche Intelligen­z nachzudenk­en. Der tschechisc­he Choreograf arbeitet darin mit vier kleinen Robotern und geht auf spielerisc­he Weise der Frage nach, wie viel Freiheit und menschlich­e Qualitäten man bereit ist, für Komfort zu opfern.

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FOTO: PASCAL JUNG/ TANZHAUS Szene aus Fabien Priovilles „2Sides“im Tanzhaus NRW.

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