Bergische Morgenpost Wermelskirchen/Hückeswagen/Radevormwald
Beethoven ohne Muskelpakete
Dirigent Christoph Spering, der Chorus Musicus Köln und das Neue Orchester führten die 9. Sinfonie d-Moll im Silvesterkonzert in der Tonhalle auf.
Ach, dieser Götterfunke! Schillers „Ode an die Freude“, von Beethoven zur Vision einer weltumspannenden Brüderlichkeit gesteigert, dürfte in den letzten Stunden des Jahres 2022 an zahllosen Orten erklungen sein. Beim Silvesterkonzert der Heinersdorff-Reihe in der Tonhalle ging es dem Dirigenten Christoph Spering um eine frische Sicht auf Beethovens viel gespielte 9. Sinfonie.
Vom Bild des Titanen, der dem Schicksal furchtlos in den Rachen greift, versucht Spering sich zu lösen. Überwältigungspathos ist seine Sache nicht. Als Spezialist für historische Aufführungspraxis sucht er nach jenem Komponisten, der „Mozarts Geist aus Haydns Händen“erhielt, wie es Beethovens Gönner Graf Waldstein beschrieb. An die Stelle elementarer Wucht tritt ein Klang ohne Muskelpakete, kammermusikalisch verschlankt und musikantisch bewegt.
Das führt zu interessanten Perspektiven. Das Molto vivace hat nichts Niederschmetterndes, sondern federt und schwingt in den Zwischenteil hinein, den die Holzbläser
wunderbar pastoral färben. Im Adagio wird der vibratoarme Klang gläsern und kühl. Gleichwohl knallt das Schlagwerk, das Spering ungewöhnlich weit vorne platziert – direkt hinter den zweiten Geigen – dem Publikum manches Ausrufezeichen um die Ohren.
Indessen scheint der Kontakt zwischen dem Dirigenten und dem 1988 von ihm gegründeten Neuen Orchester nicht immer zu stimmen. Die Musiker agieren eigenwillig, oft ohne Blick auf das Dirigat, das wenig Impulse zeigt. Der Beginn gerät fahrig, die Achtelketten künden von Schwierigkeiten, sich auf ein Tempo zu einigen. Es dauert eine ganze Weile, bis das Orchester zu Geschlossenheit findet.
Im Finalsatz ist sie glücklich erreicht. Die Phrasierungen werden sprechend, der Orchesterklang gewinnt imperialen Glanz. Zudem lässt ein stimmlich ausgewogenes Solistenquartett das Herz höherschlagen: Yeree Suh (Sopran), Eva Nesselrath (Alt), Tobias Hunger (Tenor) und Tobias Berndt (Bariton) sind so klangschön wie textverständlich bei der Sache. Der Chorus Musicus Köln jubelt los, meistert Beethovens abrupte Einschnitte in Tempo und Dynamik mit großartiger Flexibilität.
Marschklänge, Fugato, Freudenhymnus: Auf der Zielgeraden fügt sich dies aufs Schönste. „Alle Menschen werden Brüder“– wie dringend diese Utopie benötigt wird, zeigt der euphorische Schlussapplaus.