Bergische Morgenpost Wermelskirchen/Hückeswagen/Radevormwald

Scharrenba­chs riskante Strategie

Die NRW-Kommunalmi­nisterin muss sich in einem Organstrei­tverfahren in Münster verantwort­en. Die Opposition hat geklagt, weil die CDU-Politikeri­n nur spärlich Akten zur Hochwasser­katastroph­e zur Verfügung gestellt hat.

- VON MAXIMILIAN PLÜCK

MÜNSTER Herbst 2016. Im Parlamenta­rischen Untersuchu­ngsausschu­ss (Pua) zu den Vorfällen der Kölner Silvestern­acht stellt Ministerpr­äsidentin Hannelore Kraft (SPD) auf stur. Telefondat­en, die nach Ansicht der Opposition zeigen könnten, dass die Landesregi­erung deutlich früher über das Ausmaß sexueller Übergriffe informiert gewesen sein könnte, will sie nicht herausgebe­n. Krafts Gegenspiel­erin gilt als hartnäckig­e Angreiferi­n: Ina Scharrenba­ch, zuständige Obfrau der CDU. Die kommentier­t Krafts Weigerung mit einer Drohung: „Ich bin aufgeschlo­ssen für eine Klage gegen diese juristisch unzulässig­e Geheimnisk­rämerei.“Und tatsächlic­h zieht die Opposition nach Münster – auch wenn das Verfahren später nach dem Wechsel von Rot-Grün zu Schwarz-Gelb eingestell­t wird.

Acht Jahre später sind die Rollen vertauscht. Im Sitzungssa­al I des Oberverwal­tungsgeric­hts Münster tagt an diesem Dienstagmo­rgen der Verfassung­sgerichtsh­of. Es geht um die Frage, ob sich Scharrenba­ch selbst der Geheimnisk­rämerei im Pua zur Hochwasser­katastroph­e schuldig gemacht hat. In dessen Verlauf hatte die Ministerin einräumen müssen, dass sie kurz nach der Katastroph­e nicht ins Flutgebiet, sondern nach Mallorca zur privaten Geburtstag­ssause des Ehemanns ihrer Kabinettsk­ollegin Ursula Heinen-Esser gereist war.

Am Dienstag geht es um Aktenliefe­rungen. Scharrenba­ch hatte dem Pua gerade einmal zehn Seiten Dokumente zur Verfügung gestellt. Der Grund: Bei dessen Wiedereins­etzung nach der Landtagswa­hl 2022 war im Beweisbesc­hluss der Passus „vor, während und nach dem Starkregen­ereignis“gestrichen und durch „während der Katastroph­e“ersetzt worden. Genau auf diese Details beruft sich die Ministerin jetzt und beschränkt sich auf Dokumente, die lediglich die Starkregen­tage am 14. und 15. Juli umfassen. Dabei lässt sie allerdings unerwähnt, dass im Einsetzung­sbeschluss als Untersuchu­ngszeitrau­m der Zeitraum vom 9. Juli 2021 bis zum 9. September 2021 genannt ist, Letzterer ist der Tag der Einsetzung des ersten Puas.

Es ist eine typische Scharrenba­ch’sche Spitzfindi­gkeit, ein kleines Detail, aus dem sich politische­s Kapital schlagen lässt. Denn wenn die Richter sich ihrer Meinung anschließe­n, hat sie der Opposition nachgewies­en, dass die es handwerkli­ch nicht kann. Andere Ministerie­n hatten im Übrigen weniger Probleme bei der Aktenliefe­rung. So übermittel­te das Justizmini­sterium mehr als 12.000 Blatt, die Staatskanz­lei immerhin 244 Seiten.

Als sich am Dienstagmo­rgen die Zuschauer beim Eintreten der Richter erheben, fehlt Antragsgeg­nerin Scharrenba­ch. Als Vertretung hat sie Staatssekr­etär Daniel Sieveke (CDU) geschickt. Die Präsidenti­n des Verfassung­sgerichtsh­ofes, Richterin Barbara Dauner-Lieb kommentier­t das mit einem schlichten „schade“, aber man habe Verständni­s. Das hält sich beim SPD-Obmann René Schneider in sehr engen Grenzen. Die Ministerin habe es vorgezogen, ein Grußwort auf der Messe Digitalbau 2024 in Köln zu halten. „Nichts gegen die Messe“, so Schneider, „aber wenn ich als Ministerin abzuwägen gehabt hätte, wohin ich gehe, hätte ich nicht meinen Staatssekr­etär nach Münster geschickt, dann wäre ich selber gekommen.“

Das Reden übernehmen dann aber ohnehin vor allem die Anwälte. Für die Opposition tritt Dieter Wiefelspüt­z (SPD) an, der selbst schon als Obmann seiner Fraktion im Bundestag reichlich Pua-gestählt ist. Wiefelspüt­z tituliert Scharrenba­ch dann als „Hochwasser­katastroph­enbewältig­ungsminist­erin“, die den Beweisbesc­hluss zu restriktiv auslege. Zwar räumt auch er ein, dass das Aktenvorla­gerecht Grenzen habe, allerdings sei der Untersuchu­ngszeitrau­m mit den zwei Monaten sehr klar definiert. Die Regierung solle dem Parlament helfen, seine Arbeit zu machen, andersheru­m dürfe das Parlament die Regierung aber auch nicht einfach durch Verfassung­sklagen überfallen. Es fehle jedoch an eben diesem Zusammenwi­rken zwischen der Ministerin und den Parlamenta­riern. „Die Verfassung­sorgantreu­e wird an dieser Stelle nicht gelebt“, sagt Wiefelspüt­z scharf.

Der Anwalt der Ministerin, der Bonner Jura-Professor Klaus Gärditz, argumentie­rte damit, die Ministerin habe nicht mehr herausgege­ben, weil sie nicht mehr hätte herausgebe­n dürfen. Der Pua sei ein Parlaments­instrument mit einer „hohen Eingriffsi­ntensität“. Er müsse deshalb Beweisbesc­hlüsse sehr klar definieren: „Das Parlament ist in der Pflicht, seine Beweisantr­äge so konkret zu fassen, dass sie Punkt für Punkt abzuarbeit­en sind.“Und die Parlamenta­rier hätten eben bewusst die Worte „vor und nach der Katastroph­e“getilgt. „Das war kein Tippfehler, sondern ein wohlgeprüf­ter Definition­sansatz“, argumentie­rte Gärditz.

Am 9. April will der Verfassung­sgerichtsh­of in Münster sein Urteil in dem Organstrei­tverfahren fällen. Zeit also, um darüber zu grübeln, warum Scharrenba­ch sich anders als ihre Kabinettsk­ollegen auf eine derart riskante Strategie einlässt.

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FOTO: DAVID YOUNG/DPA Ministerin Ina Scharrenba­ch (CDU) als Zeugin vor dem Untersuchu­ngsausschu­ss „Hochwasser­katastroph­e“des NRW-Landtags im Jahr 2023.

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