Bergische Morgenpost Wermelskirchen/Hückeswagen/Radevormwald
Skandalöse Leichtfertigkeit
Der vergangene Freitag war der Tag des Begräbnisses von Kremlkritiker Alexej Nawalny in Moskau. Genau an diesem Tag ließ Staatschef Wladimir Putin eine weitere Bombe platzen, die Nawalny in den Hintergrund rückte: Russland veröffentlichte den Mitschnitt eines im Februar abgehörten internen Gesprächs zwischen hochrangigen Bundeswehroffizieren über den möglichen Einsatz von Taurus-Marschflugkörpern in der Ukraine. Luftwaffenchef Ingo Gerhartz und drei Offiziere unterhalten sich über die Frage, wofür der Taurus in der Ukraine eingesetzt werden könnte, etwa die Zerstörung der Krim-Brücke. Sie erörtern auch, ob Bundeswehrsoldaten für den Einsatz nötig sind. Es sind höchst sensible militärische Informationen – und es ist eine höchst sensible Veröffentlichung für die Bundesregierung und die westliche Allianz. Schlimmer geht es eigentlich nicht.
Der Abhörskandal zeigt zunächst, wie leichtfertig und naiv selbst höchste Bundeswehrkreise in dieser gefährlichen Auseinandersetzung mit Russland weiterhin agieren. Es ist geradezu ungeheuerlich, dass ein Luftwaffenchef mit seinen Offizieren, einer davon in Singapur, über die Plattform Webex ein sensibles militärisches Gespräch führt, die als unsicher gilt. Dieser Skandal muss umgehend aufgeklärt werden.
Politisch bringt die Veröffentlichung die Bundesregierung weiter unter Druck. Die Union liest aus dem Gesagten heraus, dass der Bundeskanzler einen falschen Grund für die Ablehnung von Taurus-Lieferungen in die Ukraine genannt hat. Darüber hinaus verursacht die deutsche Seite einmal mehr Irritationen in Großbritannien, weil die Offiziere von britischen Soldaten „vor Ort“in der Ukraine sprechen. Schon der Bundeskanzler hatte mit einer interpretationsfähigen Äußerung in diese Richtung bei den britischen Partnern Unmut ausgelöst.