Bergische Morgenpost Wermelskirchen/Hückeswagen/Radevormwald
Noch immer nicht gelöst
Daniela Klettes Festnahme rückt die dritte RAF-Generation wieder in den Fokus. Viele ihrer Verbrechen sind nicht aufgeklärt – wie der Mord an Detlev Rohwedder.
DÜSSELDORF In der Nacht des 1. April 1991, es ist Ostermontag, brennt noch Licht im ersten Stock der Villa „Haus Maximilian“in DüsseldorfNiederkassel. Detlev Rohwedder ist in seinem Arbeitszimmer, als ein Projektil ein Fenster durchschlägt und den Präsidenten der Berliner Treuhandanstalt von hinten in den Rücken trifft. Rohwedder stirbt. Durch einen weiteren Schuss aus einem Gewehr wird auch seine Ehefrau Hergard am Arm verletzt, sie war vom Lärm aufgeschreckt herbeigeeilt. Ein drittes Projektil trifft ein Bücherregal.
Rohwedder, damals 58 Jahre alt, gilt als letztes Mordopfer der RoteArmee-Fraktion (RAF). Noch in der Tatnacht entdeckten die Ermittler 60 Meter entfernt von Rohwedders Haus in einem Schrebergarten ein Bekennerschreiben der Terrorgruppe – es lag neben einem Campingstuhl, einem Fernglas, einem Handtuch und drei Patronenhülsen. Zehn von mehr als 30 RAF-Mordanschlägen sollen auf das Konto der sogenannten dritten Generation gehen, darunter auch das Attentat auf den Treuhandchef. Wer Rohwedder erschossen hat, ist aber auch 33 Jahre nach der Tat ungeklärt.
Nach der Festnahme der früheren RAF-Terroristin Daniela Klette am 27. Februar in Berlin und angesichts der aktuellen Fahndung nach ihren Komplizen Ernst-Volker Staub und Burkhard Garweg rückt die dritte Generation der Linksterroristen (1982–1998) noch einmal in den Blick der Öffentlichkeit. Und damit die Hoffnung, dass vielleicht doch noch einmal Bewegung in die früheren Ermittlungen kommt. Bis heute konnten die meisten Taten nicht vollständig aufgeklärt werden. Der inzwischen 65-jährigen Daniela Klette werden unter anderem mehrere Sprengstoff-Attentate vorgeworfen. Sie soll dabei gewesen sein, als die RAF 1991 Hunderte Schüsse auf die US-Botschaft in Bonn abfeuerte. Auch an der Sprengung eines
Gefängnisneubaus im hessischen Weiterstadt mit Millionenschaden soll sie beteiligt gewesen sein. Mit Staub und Garweg soll sie außerdem nach ihrer RAF-Zeit Raubüberfälle auf Geldtransporter und Supermärkte verübt haben. Weil sie bei den Überfällen geschossen haben, wird ihnen auch versuchter Mord vorgeworfen.
Zu den gezielten Mordanschlägen der dritten Generation gehört auch der Bombenanschlag auf den Vorstandssprecher der Deutschen
Bank, Alfred Herrhausen, in Bad Homburg. Der Manager verlässt am Morgen des 30. November 1989 sein Haus in einer gepanzerten Limousine. Begleitet von Sicherheitsleuten in zwei weiteren Limousinen bewegt sich der Tross gen Frankfurt am Main. Plötzlich ertönt ein lauter Knall. Mehrere Kilo Sprengstoff, deponiert auf einem Kinderfahrrad, gehen in die Luft. Die Bombe trifft den damals 59 Jahre alten Herrhausen, der hinten im Auto sitzt. Sein Fahrer wird durch Glas- und Metallsplitter schwer verletzt. Augenzeugen erleiden Schocks. Wenig später bekennt sich das „Kommando Wolfgang Beer“der RAF zu dem Attentat. Zehn Jahre später gibt es zwar eine Festnahme: Die Ermittlungen gegen Andrea Klump müssen aus Mangel an Beweisen aber eingestellt werden.
Am 9. Juli 1986 tötet eine Bombe der RAF den Siemens-Manager Karl Heinz Beckurts und dessen Fahrer Eckhard Groppler in der Nähe von München. Beckurts, 56, war Atomphysiker und hatte sich für die friedliche Nutzung von Atomenergie ausgesprochen. Auch in diesem Fall wurden die Täter nie ermittelt. Beckurts hinterließ wie Groppler eine Frau und drei Kinder. Anschläge auf den Finanzstaatssekretär Hans Tietmeyer im Jahr 1988 und 1990 auf den Staatssekretär im Bundesinnenministerium Hans Neusel scheiterten.
Zehn Jahre nach der Ermordung von Detlev Rohwedder landeten die Ermittler einen Treffer: Ein einzelnes Haar, das 1991 an dem Handtuch im Schrebergarten gesichert worden war, konnte durch eine DNA-Analyse dem RAF-Mitglied Wolfgang Grams zugeordnet werden. Welche Rolle er bei dem Attentat spielte, konnte aber nie geklärt werden: Grams war längst tot. Er war 1993 bei einem GSG-9-Einsatz in Mecklenburg erschossen worden.
Hergard Rohwedder, die Frau Detlev Rohwedders, starb im Mai 2019 im Alter von 85 Jahren in Düsseldorf. Die Juristin, ihre beiden Kinder, aber auch all die anderen Angehörigen vieler RAF-Opfer mussten und müssen damit leben, dass die Ermordung ihrer Liebsten bislang ungesühnt bleibt.