Bergische Morgenpost Wermelskirchen/Hückeswagen/Radevormwald

Spitzen, Pointen, Thesen und Liebe

- VON WOLFGANG WEITZDÖRFE­R

WERMELSKIR­CHEN Es ist eine besondere Art der Beständigk­eit. Hagen Rether ist am Samstagabe­nd zum gefühlt 30. Mal mit seinem Dauerprogr­amm „Liebe“im großen Saal der ausverkauf­ten Kattwinkel­schen Fabrik zu Gast. Er sitzt wie immer für rund drei Stunden auf seinem Bürostuhl, daneben steht der Flügel, auf dem ein paar Bananen liegen. Und auch sonst ist alles wie immer: Rether ist im schwarzen Anzug gekleidet, Bart und Zopf sind mittlerwei­le ein wenig grau meliert, aber die Spitzen, Pointen und Thesen sitzen nach wie vor perfekt und kommen immer im direkten Dialog mit dem Publikum. „Können Sie sich noch erinnern, als Christian Lindner vor ein paar Jahren gesagt hat: Lieber nicht regieren als schlecht regieren. Wieso macht er denn jetzt beides?“

Warum Rethers Programm „Liebe“heißt, ist eigentlich nebensächl­ich. Es ist ein schöner Titel. Es geht dabei aber sicher nicht um Politik. Oder um misogyne Politiker. „Toxische Männlichke­it. Wissen Sie, wie wir früher dazu gesagt haben? – Arschlöche­r.“Rethers Herz schlägt links, aber nicht unbedingt für die Partei „Die Linke“. „Das ist eine Gruselpart­ei geworden, in den vergangene­n Jahren.“Allerdings sei sie die einzige Partei, die das Wort „Armut“noch in den Mund nehme. „Aber man kann die ja nicht wählen, weil die aus der NATO wollen.

Hatten Sie auch so Angst, dass Petra Pau und Katja Kipping in den vergangene­n Jahren die NATO zu zerschlage­n drohten?“

Nein, es ist wirklich nicht viel da, für das man Liebe haben könnte, höchstens noch für die Menschheit an sich. Es mag auch die grundlegen­de Motivation des Hagen Rether sein, Jahr um Jahr die an sich nie wirklich neuen Themen zu beackern. „Wir haben viermal Helmut Kohl gewählt, in Worten: vier. Und haben uns zurückgele­hnt. Dann zweimal Gerhard Schröder und viermal Angela Merkel, in Worten: vier. Und jetzt muss Robert Habeck die Dinge umsetzen, die man 40 Jahre lang versäumt hat.“Und das darf nur ja nicht zu teuer werden. Dass man dann, weil „dreieinhal­b Forderunge­n gestellt werden“, lieber Faschisten wählt, sei eine reife Leistung. „Wie soll Habeck das in Kriegs- und Krisenzeit­en hinbekomme­n, was zuvor in 40 Jahren Wohlstand und Frieden nicht mal vorbereite­t werden konnte?“

Auf diese Art und Weise den Spiegel vorgehalte­n zu bekommen ist notwendig. Und aus Liebe zur Gesellscha­ft, zur Demokratie und zu den Menschen - vielleicht ist es das wert, es sich anzuhören, und vielleicht geht man ein wenig gestärkt wieder in den Alltag. Um dann gegenzuhal­ten. Denn es gilt das, was Rether praktisch wie nebenbei sagt: „Es ist reiner Trotz und fehlende Herzenswär­me, wenn man Rechte wählt.“

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