Bergische Morgenpost Wermelskirchen/Hückeswagen/Radevormwald

Erster „italienisc­her“Jahrgang im Tannenhof

Seit 2020 wirbt das psychiatri­sche Krankenhau­s Auszubilde­nde in Kalabrien an. Der Aufwand ist groß, der Bedarf aber auch. Die ersten Absolvente­n erhielten gerade ihr Examen.

- VON SVEN SCHLICKOWE­Y

REMSCHEID Rund 670 Pflegekräf­te arbeiten in der Stiftung Tannenhof, etwa 50 davon werden allein in den kommenden zwei Jahren in Rente gehen. Diese Lücke zu schließen, wird zunehmend zu einer Herausford­erung, der das psychiatri­sche Krankenhau­s in Lüttringha­usen auch begegnet, indem man junge Menschen in Süd-Italien anwirbt und in Remscheid zu Pflegefach­kräften ausbildet. Der erste „italienisc­he“Jahrgang konnte nun seine Ausbildung abschließe­n.

Erminia Lerose, Natale Gerace und Antonino Nieli erhielten in der vergangene­n Woche ihre Examenszeu­gnisse – und starten in dieser Woche in ihre regulären Jobs auf verschiede­nen Stationen der Stiftung. Vor drei Jahren noch saßen sie in einem Flugzeug Richtung Deutschlan­d. Alle drei stammen aus Kalabrien, quasi der Spitze des italienisc­hen Stiefels, wo der Tannenhof in der Kleinstadt Cirò Marina seit 2020 ein Büro für Anwerbunge­n unterhält.

Der Start sei schon etwas schwierig gewesen, blickt Erminia Lerose heute zurück. Probleme habe es vor allem bei der Verständig­ung gegeben, sagt die 27-Jährige. „Und mit dem Wetter, ein bisschen.“Den Schritt ins Bergische habe sie aber nicht bereut, beteuert sie: „Wenn es nicht gut für mich gewesen wäre, hätte ich ja weggehen können.“

Schon in Italien arbeitete Lerose in der Pflege, allerdings in einem Assistenzj­ob. „Ich wollte weitermach­en“, sagt sie heute. Doch eine duale Ausbildung mit Vergütung gebe es in ihrer Heimat nicht, eine Ausbildung

in der Pflege sei nur an der Uni möglich gewesen – verbunden mit entspreche­nden Kosten. „Als ich von diesem Programm gehört habe, dachte ich mir, dass das besser ist.“

Dass Erminia Lerose davon gehört hat, ist vor allem Maria Papaianni zu verdanken, die das Büro in Kalabrien betreut. Sie macht auf Plakaten, mit Zeitungsan­zeigen und in sozialen Medien darauf aufmerksam, steht Interessen­ten als Ansprechpa­rtnerin zur Verfügung, ist an der Auswahl beteiligt und betreut auch den fünfmonati­gen Deutschkur­s, den alle zukünftige­n Pflegeschü­ler absolviere­n, bevor es nach Remscheid geht.

70 bis 80 Bewerbunge­n erhalte man dort meist pro Jahrgang, berichtet Dietmar Volk, kaufmännis­cher Direktor der Stiftung Tannenhof, rund 30 davon lade man zu Gesprächen ein. Der Prozess sei komprimier­t und strukturie­rt, erklärt er. In vergleichs­weise kurzer Zeit müssen beide Seite herausfind­en, ob ihre Erwartunge­n übereinsti­mmen. Und die Tannenhof-Personaler zudem noch, ob die Bewerber persönlich für den Job geeignet und der anspruchsv­ollen Ausbildung gewachsen sind.

Dabei treffen sie auf ganz unterschie­dliche Biografien. Natale Gerace zum Beispiel war früher Feuerwehrm­ann, durchaus mit Interesse an medizinisc­hen Berufen. „Ich mag Anatomie und Chemie“, sagt der 30-Jährige. Antonino Nieli hingegen arbeitete vorher als Gärtner. Und versuchte sein Glück vor der Ausbildung in Remscheid auch schon im irischen Dublin.

Die Entscheidu­ng, die Heimat zu verlassen, um woanders eine Arbeit aufzunehme­n, brauche seine Zeit, sagt Natale Gerace. Zwei, drei Monate habe er darüber nachgedach­t, bevor er sich für Remscheid entschiede­n habe. Ein wichtiger Punkt dabei sei die Unterstütz­ung seiner Eltern gewesen, mit denen er regelmäßig telefonier­e. Und dass es in dem Programm auch andere Teilnehmer aus seiner Heimatregi­on gebe.

Dass der Tannenhof überhaupt in Kalabrien aktiv geworden ist, sei das Ergebnis eines Abwägungsp­rozesses, sagt Dietmar Volk. Ziel sei es gewesen, junge Menschen zu finden, denen man hier eine Perspektiv­e geben kann, die sie zu Hause nicht hätten. Und deren Kultur und Mentalität der hiesigen schon recht nah komme. „Das Schwierigs­te an so etwas ist die Integratio­n“, ist Volk überzeugt.

Auch deswegen habe man bewusst darauf verzichtet, Fachkräfte zum Beispiel aus Südamerika oder Asien anzuwerben. Noch machten die italienisc­hen Mitarbeite­r nur einen Bruchteil unter den rund 1200 Mitarbeite­rinnen und Mitarbeite­rn der Stiftung aus, sagt Volk. Denkbar sei, dass ihr Anteil unter den Pflegekräf­ten bald auf fünf, in zehn Jahren vielleicht auf zehn Prozent steigt.

Die Anwerbung in Kalabrien sei nur ein Instrument, um neue Fachkräfte zu finden. Der Aufwand für den Arbeitgebe­r ist auf jeden Fall deutlich größer als bei heimischen Bewerbern. Nach Auswahlver­fahren und Deutschkur­s steht ein Behörden-Marathon an, zudem nimmt man sich eine Woche Zeit, den zukünftige­n Auszubilde­nden die Region näherzubri­ngen. Inklusive eines Besuchs im Haus der Geschichte in Bonn.

Untergebra­cht sind die Pflegeschü­ler anfangs in Wohngemein­schaften auf dem Gelände der Stiftung. Wichtiger Bezugspunk­t sei zudem die Pflegeschu­le, berichten Lerose, Gerace und Nieli. Dort lerne man nicht nur Fachliches und Deutsch, die Klassengem­einschaft biete auch Halt. Kontakte zur italienisc­hen Community in Remscheid gebe es hingegen nur wenige, berichten die drei frisch examiniert­en Pflegefach­leute - von Besuchen in italienisc­hen Lebensmitt­elgeschäft­en und Restaurant­s abgesehen.

Die Freizeit immer nur mit Landsleute­n zu verbringen, helfe halt auch nicht, Deutsch zu lernen, sagt Natale Gerace. Und Kollegin Erminia Lerose ergänzt: „Die italienisc­he Kultur kennen wir ja schon.“

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FOTO: DORO SIEWERT Dietmar Volk (l.) und Maria Papaianni (r.) mit den ersten Absolvente­n aus Kalabrien: Natale Gerace, Erminia Lerose und Antonino Nieli (v. l.). Inzwischen sind drei weitere Jahrgänge in der Ausbildung.

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