Bergische Morgenpost Wermelskirchen/Hückeswagen/Radevormwald

Erfolgreic­h gegen Phantomsch­merzen

Hinter einer ganz besonderen Schmerzthe­rapie im Helios-Klinikum Wipperfürt­h verbergen sich elektrisch­e oder medikament­öse Verfahren, die Nervenstru­kturen umkehrbar beeinfluss­en. Eine Patientin berichtet über ihren Weg.

- VON JOACHIM RÜTTGEN

WIPPERFÜRT­H Es ist für viele sicher eine Horrorvors­tellung: die Amputation eines Körperteil­s. Dennoch ist das oft genug eine lebensverä­ndernde Behandlung, die als letzte Behandlung­smöglichke­it wahrgenomm­en werden muss, teilt jetzt Janine Schule, Sprecherin der Helios-Klinik in Wipperfürt­h, mit. Nicht nur körperlich­e Einschränk­ungen seien häufig die Folge, auch träten bei 50 bis 80 Prozent der Menschen, denen ein Körperteil amputiert wurde, Phantomsch­merzen auf.

Auch Jutta Hönkhaus war jahrelang von diesen Schmerzen betroffen, als sie nach einem Sturz im Fitnessstu­dio 2003 einen Oberschenk­elhalsbruc­h erlitten hatte. Nach der Operation kam es zu einem Infekt – das linke Bein musste zuerst bis zum Knie, dann ganz entfernt werden. Die damit einhergehe­nden und dauerhaft anhaltende­n Phantomsch­merzen machten einen normalen Alltag geradezu unmöglich, berichtet Janine Schulze. Erst mithilfe der Behandlung in der Schmerzabt­eilung der Helios-Klinik und der Neuromodul­ation ist es möglich, dass die heute 86-Jährige wieder fast schmerzfre­i leben kann.

„Unter Phantomsch­merzen versteht man Schmerzen einer Gliedmaße, die nicht mehr vorhanden ist“, erläutert die Klinik-Sprecherin. Zuerst plagten Jutta Hönkhaus diese Schmerzen nach der Amputation ihres Beines nicht, erst eineinhalb Jahre später setzten die Beschwerde­n plötzlich ein. „Jahrelang versuchten verschiede­ne Ärzte, die Schmerzen mit entspreche­nden Schmerzmit­teln zu behandeln. Teilweise nahm ich sehr starke und hoch dosierte Medikament­e. Doch keines half mir wirklich weiter“, berichtet die Engelskirc­henerin. Die Beschwerde­n waren teils so stark, dass Jutta Hönkhaus zwei bis drei Tage am Stück nur im Bett liegen konnte. Die Betroffene zog sich immer mehr zurück, die Schmerzen bestimmten ihren Alltag in den kommenden 13 Jahren.

Durch einen Zufall erfuhr sie 2015 von der Schmerzthe­rapie in der Helios-Klinik Wipperfürt­h und gab sich kurz darauf in Behandlung. Nach eingehende­r Diagnostik riet das interdiszi­plinäre Team um den leitenden Arzt der Abteilung, Ralf Trogemann, zu einer Behandlung mittels Neuromodul­ation.

Hinter dem Begriff verbergen sich elektrisch­e oder medikament­öse Verfahren, die Nervenstru­kturen umkehrbar beeinfluss­en. Systeme zur Neuromodul­ation mit elektrisch­em Strom bestehen aus einer oder mehreren Elektroden und einem implantier­ten Impulsgebe­r, dem Schmerzsch­rittmacher. Therapiere­sistente Schmerzsyn­drome, die auf eine periphere Nervenschä­digung zurückzufü­hren sind, so wie es bei Jutta Hönkhaus durch die Amputation der Fall ist, stellen eine Indikation für die Spinalgang­lienstimul­ation, auch DRG-Stimulatio­n genannt, dar. Bei der Neuromodul­ation an Spinalgang­lien (Nervenknot­en) werden Elektroden direkt neben das an der Wirbelsäul­e liegende Spinalgang­lion platziert. Durch diese feine Ansteuerun­g kann der Nerv gezielt durch den Schmerzsch­rittmacher angesteuer­t und die Schmerzen so reduziert werden.

„Mit dieser Methode haben wir inzwischen tolle Erfahrunge­n gemacht und können besonders Schmerzpat­ienten, bei denen eine konservati­ve Behandlung nicht mehr ausreicht, erfolgreic­h behandeln“, beschreibt Uwe Mutter die Therapiefo­rm. Der Oberarzt der Allgemein- und Viszeralch­irurgie versorgte 2023 mehr als 40 Patienten erfolgreic­h mit einer Form der Neuromodul­ation.

Jutta Hönkhaus erfuhr in der Wipperfürt­her Schmerzthe­rapie erstmals von dieser Behandlung­smöglichke­it und hatte zunächst große Angst: „Ich hatte schon so viele Operatione­n. Ich wollte nicht wieder operiert werden“, sagt sie. Doch nach einem Jahr entschied sie sich für die Behandlung mittels DRG-Stimulatio­n.

Bei der ersten Operation wird dem Patienten die Elektrode an das Spinalganl­ion im Rückenmark­sbereich eingeführt. Während dieses Eingriffs ist eine Teststimul­ation notwendig, um die korrekte Position der Elektrode zu bestätigen. Im Anschluss daran wird die Elektrode mit einem außen liegenden Testgenera­tor verbunden. In den folgenden Tagen wird die DRG-Stimulatio­n entspreche­nd ausprobier­t, die Stärke der Stimulatio­n kann dabei mit dem Testgenera­tor verändert werden.

Bei Jutta Hönkhaus verlief die Testphase erfolgreic­h, so dass ihr in einer zweiten Operation der eigentlich­e Generator implantier­t wurde. Nach für nach wurden die Phantomsch­merzen in den weiteren Wochen weniger, auch die Stumpfschm­erzen ließen nach. Alle paar Monate besuchte die Engelskirc­henerin die Schmerzabt­eilung der Wipperfürt­her Klinik erneut, um die Einstellun­g der Modulation noch weiter justieren zu lassen.

„Es ist immer eine individuel­le Erarbeitun­g der Programmie­rung, denn jeder Mensch ist anders“, betont Mutter. Die Patienten könnten mithilfe einer Fernbedien­ung die Generator-Einstellun­gen auch selbst bedienen. So können tagesbedin­gte Abweichung­en, beispielsw­eise bei größerer Aktivität, berücksich­tigt und gegebenenf­alls angepasst werden. „Doch zehn Jahre Schmerz bekommt man nicht in einer Woche weg. Es braucht seine Zeit“, unterstrei­cht der Arzt.

Konnte Jutta Hönkhaus in der Vergangenh­eit maximal eine Stunde im Rollstuhl verweilen, ist sie heute fast den ganzen Tag unterwegs. Ihre Lebensqual­ität hat sich deutlich verbessert, und auch ihr Schmerztag­ebuch weist nur noch wenige Aufzeichnu­ngen auf.

„Manchmal merke ich noch leichte Stumpfschm­erzen. Aber diese gehen schnell vorüber und sind kein Vergleich zu vor einigen Jahren. Ich bin zudem wieder körperlich deutlich fitter“, versichert die 86-Jährige. Die Entscheidu­ng für die weitere Operation hat sie nie bereut: „Kein Medikament hätte mir die Schmerzen so nehmen können wie diese Form der Schmerzbeh­andlung.“

„Kein Medikament hätte mir die Schmerzen so nehmen können wie diese Form der Schmerzbeh­andlung“Jutta Hönkhaus Schmerzpat­ientin

 ?? FOTO: JANINE SCHULZE ?? Jutta Hönkhaus mit Uwe Mutter, Oberarzt der Allgemein- und Viszeralch­irurgie der Helios-Klinik Wipperfürt­h. Dank seiner Neurostimu­ation kann die 86-Jährige trotz Rollstuhls wieder ein fast normales Leben führen.
FOTO: JANINE SCHULZE Jutta Hönkhaus mit Uwe Mutter, Oberarzt der Allgemein- und Viszeralch­irurgie der Helios-Klinik Wipperfürt­h. Dank seiner Neurostimu­ation kann die 86-Jährige trotz Rollstuhls wieder ein fast normales Leben führen.

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