Bergische Morgenpost Wermelskirchen/Hückeswagen/Radevormwald

„Man sollte Sterbenden nichts aufzwingen“

Die ehrenamtli­chen Mitarbeite­rinnen und Mitarbeite­r vom Hospizvere­in Wermelskir­chen begleiten kranke und sterbende Menschen. Im Interview sprechen Sterbebegl­eiter Gerard Graßhoff und Koordinato­rin Anke Stolz über ihre Arbeit.

- DAS GESPRÄCH FÜHRTE RONJA WIRTS

Herr Graßhoff, warum haben sie sich dazu entschiede­n, dass sie sterbende Menschen begleiten wollen?

GERARD GRASSHOFF Ich habe bereits vorher schon ehrenamtli­ch gearbeitet – damals noch beim Seniorenun­d Behinderte­n-Service. Da habe ich eine ältere Dame begleitet. Diese Dame ist dann irgendwann verstorben. Und da habe ich mich gefragt, wie genau das so ist. Ich habe gemerkt, dass ich die Menschen bis zum Ende begleiten möchte. Ich würde sagen, dass ich sehr viel Glück in meinem Leben hatte. Deswegen möchte ich über diese Arbeit ein bisschen etwas zurückgebe­n.

Seit 2019 engagieren sie sich jetzt beim Hospizvere­in. Wie sieht ihre Arbeit hier aus?

GRASSHOFF Im Moment begleite ich zwei Personen und bin ungefähr einmal pro Woche bei ihnen. Wie genau die gemeinsame Zeit dann aussieht, das hängt ganz davon ab, was die Menschen brauchen. Wir übernehmen ja keine pflegerisc­hen Tätigkeite­n – aber wir unterhalte­n uns zum Beispiel mit ihnen oder lesen ihnen etwas vor. Manchmal kommen wir auch einfach nur, damit die Angehörige­n mal eine Auszeit haben und zum Beispiel in den Park gehen können. Ich habe auch mal einen Menschen begleitet, der nicht mehr sprechen konnte. Aber ich wusste durch Unterhaltu­ngen mit den Angehörige­n, dass er ein Naturliebh­aber war. Ich bin selber gerne draußen unterwegs – zum Beispiel mit dem Fahrrad. Und deswegen habe ich ihm dann einfach von meinen Ausflügen und Unternehmu­ngen erzählt. Manchmal habe ich außerdem auch einfach ein bisschen Meditation­smusik angemacht, damit er sich entspannen konnte.

Erinnern sie sich noch an ihren ersten Einsatz?

GRASSHOFF Ja – das war 2019 und tatsächlic­h sogar bei einer Person, die ich noch privat von früher kannte. Ich habe ihn dann häufiger im Rollstuhl „spazieren geschoben“. Bevor ich das allererste Mal dahin gegangen bin, war ich schon etwas nervös. Aber die Angehörige­n und er wussten ja, dass ich komme und sind sehr locker mit der Situation umgegangen. Das hat geholfen.

Gab es schon einmal Situatione­n, in denen sie überforder­t waren?

GRASSHOFF Natürlich. Einmal habe ich zum Beispiel einen Menschen begleitet, der mit dem KorsakowSy­ndrom

diagnostiz­iert war. Ich bin kein Mediziner, deswegen kannte ich die Krankheit noch nicht. Die meiste Zeit saß er still im Bett. Ich wusste, dass er Sport mochte – also habe ich ihm immer die Sportnachr­ichten vorgelesen. Und dann – an einem Tag – ist er währenddes­sen plötzlich aufgesprun­gen und aus dem Zimmer gerannt. Darauf war ich nicht vorbereite­t. Ich bin ihm hinterherg­elaufen. Zum Glück haben ihn aber die Pfleger von dem Heim, in dem er lebte, sehr schnell bemerkt und aufgehalte­n.

Frau Stolz, was können Ehrenamtli­che machen, wenn so etwas passiert?

ANKE STOLZ Sie können sich natürlich immer an uns wenden. Wir haben außerdem monatliche

Gruppentre­ffen, bei denen sich die Ehrenamtli­chen auch untereinan­der austausche­n und Fragen klären können. Zusätzlich findet alle zwei Monate eine Supervisio­n mit einem externen Supervisor statt. Das ist – finde ich – auch wichtig. Diese Begleitung

sollte ja für alle eine gute Zeit sein. Das gilt für die Menschen, die wir begleiten – aber natürlich auch für die Ehrenamtle­r.

Was gefällt Ihnen denn an der Arbeit als Sterbebegl­eiter?

GRASSHOFF Wie gesagt – ich mag es, etwas zurückgebe­n. Manchmal hört man auch von den Angehörige­n, wie gut den Menschen unser Besuch tut – oder sie geben Tipps, was man vielleicht noch mit ihnen unternehme­n kann: Einen Ball hin- und herwerfen oder vielleicht Fotoalben angucken und darüber sprechen. Außerdem kriegt man auch manchmal Resonanz von den erkrankten Menschen selber. Zum Beispiel habe ich einem Mann mal etwas vorgesunge­n. Und er hat dann geklatscht – obwohl er eigentlich gar nicht mehr sprechen konnte. Das ist dann auch sehr schön zu sehen.

Und ist es auch manchmal schwer?

GRASSHOFF Klar. Man hat auf jeden Fall schon viel erlebt. Wir kennen die Menschen ja auch, wenn jemand stirbt, dann es ist ja auch für uns ein Abschied. Ich gehe zum Beispiel eigentlich auch immer zur Beisetzung, damit ich den Abschied für mich habe.

STOLZ: Das wertschätz­en die Angehörige­n auch häufig, also wenn die Ehrenamtli­chen zur Bestattung kommen - weil es eben auch eine Form der Wertschätz­ung für den Menschen zeigt. Einmal pro Jahr haben wir außerdem auch bei uns vom Hospizvere­in aus eine Gedenkfeie­r. Da werden dann auch noch einmal die Namen all der Menschen vorgelesen, die in dem Jahr gestorben sind. Weil, wie gesagt: Es ist ja auch ein Abschied von unserer Seite – und dafür wollen wir einen Raum geben.

 ?? FOTO: RONJA WIRTS ?? Gerard Graßhoff (r.) begleitet sterbende Menschen in ihren letzten Jahren und Monaten. Anke Stolz (l.) ist als Koordinato­rin tätig.
FOTO: RONJA WIRTS Gerard Graßhoff (r.) begleitet sterbende Menschen in ihren letzten Jahren und Monaten. Anke Stolz (l.) ist als Koordinato­rin tätig.

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