Bergische Morgenpost Wermelskirchen/Hückeswagen/Radevormwald
Tausche Karfreitag gegen Zuckerfest
Was passiert mit den traditionellen Feiertagen, wenn die Mehrheit der Gesellschaft längst nicht mehr christlich ist? Diese Frage stellt man sich auch in den Niederlanden – und probiert Modelle aus, die manche heikel finden.
Gute Nachrichten für Mitarbeiter der Universität Maastricht: Erstmals können sie in diesem Jahr den „Goede Vrijdag“gegen einen anderen freien Tag eintauschen. Eigentlich ist der Karfreitag im katholischen Süd-Limburg ein fester Feiertag. Mit dem neuen, flexiblen Ansatz wolle man den Angestellten ermöglichen, „persönliche Identität, Lebensüberzeugung oder Religion auf eine passende Weise zu leben“, so die Universitätszeitung „Observant“.
Beispiele für mögliche Tauschtage seien etwa Eid al-Fitr, das Zuckerfest zum Ende des Ramadan, Keti Koti („Zerbrochene Ketten“) am 1. Juli, wenn in den Niederlanden der Abschaffung der Sklaverei in den Kolonien gedacht wird, Arbeitnehmer aber nicht frei haben, Thanksgiving und die BronkProzession im nahen Eijsden für dort wohnhafte Mitarbeiter. Im Fall großer Resonanz könnte man bei Tarifverhandlungen über weitere Tauschtage nachdenken, wird ein Uni-Sprecher zitiert.
Das Beispiel aus dem nicht zuletzt bei internationalen Studenten beliebten Maastricht steht symptomatisch für eine breitere Debatte in den Niederlanden: Was macht man mit den Feiertagen, die mit wenigen Ausnahmen der christlichen Tradition entspringen? Zum einen entsprechen sie nicht den Gewohnheiten und Interessen einer multikulturellen Gesellschaft. Hinzu kommt, dass auch die Mitgliederzahl christlicher Kirchen immer stärker sinkt – ein Prozess, den man hierzulande „Entkirchlichung“nennt.
„Schafft die offiziellen christlichen Feiertage ab, Christen sind eine Minderheit“, forderte 2022 August Hans den Boef in einer Kolumne. Er berief sich auf eine Statistik, nach der etwa ein Drittel der Bevölkerung sich christlich nennt, etwa zehn Prozent anderen Religionen anhängen und mehr als die Hälfte „ungläubig, atheistisch oder agnostisch“ist. Sein Plädoyer beginnt er mit dem Beispiel Christi Himmelfahrt: dessen Ursprung sei meist nicht einmal mehr bekannt; der Feiertag werde, wenn doch, selbst von gläubigen Christen nicht mehr wörtlich genommen.
Innerhalb dieses offensichtlichen Widerspruchs haben sich freilich längst praktische Lösungen ergeben, die der veränderten Realität entsprechen, ohne dabei gleich Feiertage vollständig abzuschaffen. Immer mehr Arbeitgeber bieten, ähnlich wie an der Uni Maastricht, einen Feiertagsaustausch an, wenn dies mit dem Tarifvertrag vereinbar ist. Das hat, nach einem Pilotprojekt 2023, nun etwa die gemeinsame Plattform IPO der zwölf niederländischen Provinzen unter dem Stichwort „Wähle deine Feiertage: Diversitätsurlaub“beschlossen. Was de facto nicht ganz zutrifft, denn um Urlaubstage handelt es sich im eigentlichen Sinne nicht.
Ein bemerkenswertes Beispiel bietet auch die Amsterdamer weiterführende Schule Xplore, die zum Netzwerk des neuen Konzepts von „Agora-Unterricht“zählt. Dort können Schüler einen Teil der Ferien selbst wählen; nur zu Kernzeiten ist die Schule geschlossen. Direktor Werner Wijsman erklärt das so: „Unser Konzept legt viel Wert auf Selbstbestimmung. Familien können so auch außerhalb der Hochsaison in den Wintersport fahren, das bietet finanziell neue Möglichkeiten.“
Wijsman betont, mit dem System seiner Schule sei es immer möglich, an den gewünschten Tagen frei zu haben – ohne dafür wie an anderen Schulen außer der Reihe einen freien Tag anzufragen: „Das ist kein Aufwand und kein komplizierter Prozess, die Schüler müssen nur zuvor die fraglichen Tage angeben. Für Familien, die demnächst zum
Beispiel das Zuckerfest feiern wollen, ist das sehr praktisch.“
Etwa die Hälfte der Schüler mache von der Möglichkeit Gebrauch, Ferientage jenseits der Standardzeiten anzufragen, so der Direktor. Dass dies fürs Personal zusätzlichen Aufwand bedeutet, räumt er ein: „Für uns wird es komplexer, wenn etwa in den Herbstferien ein Grüppchen weiter zur Schule kommt. Es gibt dann mehr Übergabe-Momente. Wenn der ganze Betrieb eine Woche stillsteht, ist manches einfacher.“
Die gesellschaftliche Debatte freilich dreht sich nicht nur um Details und Funktionalität, sondern auch um Identität und Gemeinschaft. Irene Stengs, Forscherin am auf Sprache und Kultur spezialisierten Meertens Instituut in Amsterdam, hat als Anthropologin einen besonderen Blickwinkel auf das Thema: „Die Bedeutung von Ritualen hat sich immer verändert“, erklärt sie. Problematisch sei das nicht. Speziell in den letzten Jahren allerdings fänden bestimmte Gruppen es schlimm, dass Menschen mit den Hintergründen von Ostern oder Weihnachten nicht mehr vertraut seien – Feiertage mit einer anderen Bedeutung als Neujahr oder „Koningsdag“. „Dabei geht es darum, an einem bestimmten Bild festzuhalten: an den Niederlanden, wie sie zu einer bestimmten Zeit waren, und einer Kultur, die vom Christentum geprägt ist. Doch während wir heute über den Sinn der zweiten Feiertage an Ostern oder Pfingsten diskutieren, fahren die Leute dann allesamt zum Möbel-Boulevard.“
Speziell niederländisch sei die Debatte darüber nicht, so Stengs, die auch als Professorin an der Freien Universität in der Hauptstadt lehrt: „In Frankreich oder den USA gibt es vergleichbare Situationen.“Ihre private Perspektive entspricht derjenigen der meisten Niederländer. Den Karfreitag kommentiert sie so: „Schön! Ein freier Tag, ich kann mal Pause machen. Ich werde etwas mit Freunden unternehmen. Und mit Ostern verbinde ich persönlich nichts Religiöses, aber ich werde Eier essen.“
„Während wir über die Feiertage diskutieren, fahren die Leute zum Möbel-Boulevard“Irene Stengs Anthropologin