Bergische Morgenpost Wermelskirchen/Hückeswagen/Radevormwald
Mord im Feldbachtal
Joachim Kroll begann 1955 zu töten. Erst 1976 wurde er gefasst – und gestand rund 30 Morde. Darunter den an der kleinen Ilona in Remscheid.
BERGISCHES LAND Er wollte mal sehen, „wie einer im Wasser liegt und untergeht“. Deshalb tötet der Serienmörder Joachim Kroll im Dezember 1966 im Feldbachtal zwischen der Engelsburg und Kräwinkler Brücke ein fünfjähriges Mädchen. Die Remscheider sind entsetzt. Doch gefasst wird der Mörder von Ilona erst viele Jahre später. Und verurteilt wird er für ihren gewaltsamen Tod nie.
Die Boulevardmedien nennen Joachim Kroll später einen Kannibalen und Menschenfresser. Tatsächlich steht sein Name für eines der dunkelsten Kapitel der deutschen Nachkriegsgeschichte. In mehr als zwei Jahrzehnten tötete der Serienmörder mindestens acht Frauen und Mädchen, bevor er 1976 von der Polizei gefasst werden kann. Den Beamten, die ihn vernehmen, gesteht er bis zu 30 weitere Mordtaten, darunter den an der kleinen Ilona Harke im Feldbachtal, das zum Tatzeitpunkt noch – wie Bergisch Born und Lüdorf – zu Hückeswagen gehörte.
Die Leiche des kleinen Mädchens wurde am zweiten Weihnachtsfeiertag 1966 gefunden – etwa 300 Meter von dem Ort Oberfeldbach entfernt. Auf der Suche nach dem Täter nutzte die Polizei Ermittlungsmethoden, die heute makaber anmuten. Sie stellen eine Puppe ins Schaufenster des Lenneper Karstadt. Die Puppe trägt die Kleider, die das Mädchen getragen hatte. „Helft mit!“, steht auf einem Plakat: Wer hat das Kind gesehen, möglicherweise in Begleitung eines Erwachsenen? Doch bis zur Aufklärung des Kindermordes in Remscheid vergehen mehr als zehn weitere Jahre.
Erst 1976 nimmt die Kriminalpolizei in Duisburg einen 43-jährigen Mann fest. In der Dachgeschosswohnung einer Mietskaserne hatte der Zechenarbeiter Joachim Kroll ein vierjähriges Mädchen aus der Nachbarschaft ermordet. In einem Topf auf dem Herd finden die Polizisten eine Hand des Kindes. Weitere Körperteile liegen in einer Tiefkühltruhe. Das trägt dem Mörder später den Beinamen Menschenfresser ein.
Bei der Polizei gesteht „Onkel Achim“, wie der Mann im Dachgeschoss von den Nachbarkindern genannt wird, weitere Morde. Darunter den an Ilona in Remscheid. Sie war ein Zufallsopfer wie alle Frauen und Mädchen, die der nur 1,60 Meter große, aber kräftige Mann ums Leben brachte. Sein Motiv: sexuelle Befriedigung.
Joachim Kroll kommt 1933 in Oberschlesien als letztes von acht Kindern in einer Bergmannsfamilie zur Welt. Sein ganzes Leben bleibt er ein Sonderling von geringer Intelligenz und mit wenigen Sozialkontakten. Als Jugendlicher findet er zu Mädchen keinen Kontakt. Joachim Kroll vergeht sich an geschlachteten Tieren. 1955, mittlerweile lebt die Familie im Ruhrgebiet, beginnt er zu töten.
Es folgt eine beispiellose Mordserie kreuz und quer durch NRW. Meist sind Frauen und Mädchen die Opfer, meist erdrosselt Kroll sie. Doch die Polizei stellt keine Zusammenhänge zwischen den Fällen her. Die Taten aufzuklären – das gelingt erst dem Duisburger Polizeibeamten Bernd Jägers. Über seine Ermittlungsarbeit hat er später mehrere Interviews gegeben. Heute kann er das aus gesundheitlichen Gründen nicht mehr.
1976 sitzt Bernd Jägers dem „Ruhr-Kanibalen“, wie das Boulevard ihn nennt, drei Monate gegenüber. Jägers gewinnt das Vertrauen des Mannes. Man knobelt miteinander und quatscht über Mofas. Jägers lässt Kroll Reibekuchen, sein Leibgericht, servieren und Bienenstich. „Achim“, sagt Jägers, denn man ist per Du: „War da nicht noch mehr?“
Ja, da war noch mehr. Noch viel mehr. Kroll beginnt zu reden. Gemeinsam klappern die Ermittler mit ihm alle ungeklärten Altfälle in NRW ab. Auch ins Feldbachtal kehrt Joachim Kroll zurück. Mit Hilfe eines ortskundigen Beamten fahren die Ermittler über Bergisch Born in Richtung des Bahnhofs Kräwinkler Brücke. Den Bahnhof gibt es heute nicht mehr. Dann geht es weiter nach Oberfeldbach. Das Tal zählt damals noch zum Stadtgebiet von Hückeswagen. Erst später wird es Remscheid zugeschlagen.
Weit vor dem Gehöft steigt Kroll aus und schlägt einen Wiesenweg ein, der das Feldbachtal teilt. „Bin schonmal hier gewesen“, erklärt er den Ermittlern. „Kann mich erinnern.“Es ist der 22. Dezember 1966. Illona ist ein Zufallsopfer wie alle Frauen und Mädchen, die Joachim Kroll tötet. Er trifft Ilona Harke am Bahnhof in Unterbarmen. Sie ist auf dem nur 300 Meter langen Weg von den Großeltern zur elterlichen Wohnung. Kroll war aufs Geratewohl nach Wuppertal gefahren, weil er wieder „dieses komische Gefühl“hatte, wie er sich den Ermittlern gegenüber ausdrückte. Er musste töten, um seinen Sexualtrieb zu befriedigen. Kroll spricht das Kind an und schenkt ihm Süßigkeiten, wie er den Vernehmungsbeamten berichtet. Danach setzt sich Ilona mit ihm in den Zug ins Oberbergische.
Am Bahnhof Kräwinkler Brücke steigen beide aus. Kroll geht mit dem Mädchen das Feldbachtal hinauf und in den Wald. Dort würgt er das Kind bis zur Bewusstlosigkeit und wirft es dann in den Bach. „Als es ganz unter Wasser war und ruhig war, bin ich aufgestanden und gegangen“, gibt er später zu Protokoll.
Im Oktober 1979 beginnt der Prozess gegen Joachim Kroll. Im April 1982, nach 155 Prozesstagen, wird er wegen achtfachen Mordes und einem Mordversuch zu neun Mal lebenslanger Haft verurteilt. Mit dem Ausgang des Gerichtsverfahrens war Chefermittler Bernd Bernd Jägers nie ganz zufrieden. Kroll hatte ihm von viel mehr Morden erzählt.
Der gewaltsame Tod von Ilona kommt wohl zur Anklage, dann aber stellt das Gericht das Verfahren ein. Grund sind Ungereimtheiten, die womöglich den gesamten Prozess gefährden könnten. Unter anderem waren bei der Obduktion der Leiche keine Reste von Süßigkeiten im Magen gefunden worden. Die acht beziehungsweise neun hieb- und stichfesten Fälle reichen den Richtern, um Kroll zu verurteilen und den Prozess zum Abschluss zu bringen.
Für die Eltern von Ilona blieb der Tod ihres Kindes damit ungesühnt. Barmherzigkeit mit seinen Opfern und Mitleid mit ihren Familien hatte Joachim Kroll nie. Reue zeigte er nicht vor Gericht und auch nicht hinter Gittern.