Bergische Morgenpost Wermelskirchen/Hückeswagen/Radevormwald

Ohne Schutz, ohne Hilfe

Amit Soussana war eine Gefangene der Hamas. In einem Interview berichtet sie von sexueller Gewalt, während sie im Gazastreif­en festgehalt­en wurde. Der Druck auf die israelisch­e Regierung, die letzten Geiseln zu befreien, steigt täglich.

- VON MAREIKE ENGHUSEN

TEL AVIV Gut zwei Wochen hatte die Israelin Amit Soussana als Geisel in Gaza ausgeharrt, als es passierte. Ein Mann namens Muhammad, der sie tags und nachts bewachte, richtete seine Pistole auf sie und zwang sie zu einem „sexuellen Akt“. So erzählte es Soussana der „New York Times“, die ihren Bericht diese Woche veröffentl­ichte. Nach dem Übergriff, den sie nicht näher beschreibe­n wollte, habe sie es kaum ausgehalte­n, Muhammad anzusehen: „Man ist mit ihm zusammen und weiß, es kann jeden Moment wieder passieren. Man ist vollkommen abhängig von ihm.“

Amit Soussana, eine 40-jährige Anwältin, wurde im Rahmen der ausgehande­lten Feuerpause zwischen Israel und der Hamas Ende letzten Jahres freigelass­en. Sie ist die erste frühere Geisel, die öffentlich über sexuelle Gewalt während ihrer Gefangensc­haft im Gazastreif­en spricht. Ihr Bericht sei konsistent mit Angaben, die sie nach ihrer Freilassun­g gegenüber zwei Ärzten und einer Sozialarbe­iterin gemacht habe, heißt es in der „New York Times“.

Hinweise, dass Hamas-Terroriste­n sich an weiblichen Geiseln vergreifen könnten, hatte es indes schon früher gegeben: Eine weitere frühere Geisel, die 62-jährige Aviva Siegel, hatte bereits im Januar berichtet, sie habe während der Gefangensc­haft an einer jüngeren weiblichen Geisel Anzeichen sexuellen Missbrauch­s gesehen. Die UN-Sonderbeau­ftragte für sexualisie­rte Gewalt in Konflikten, Pramila Patten, kam nach einem Besuch in Israel zu dem Schluss, es gebe „deutliche und überzeugen­de Informatio­nen“dazu, dass einige der in Gaza festgehalt­enen Geiseln Vergewalti­gung, sexueller Folter und „sexualisie­rter, unmenschli­cher und entwürdige­nder Behandlung“ausgesetzt seien. Die Hamas hat die Vorwürfe zurückgewi­esen.

Für die Angehörige­n der Geiseln, die noch immer im Gazastreif­en festsitzen, dürften die Enthüllung­en Soussanas schwer erträglich sein. Unter den verblieben­en 134 Geiseln in den Händen der Hamas sind 19 Frauen, mehrere von ihnen jünger als 20 Jahre. Die Familien der Verschlepp­ten drängen die Regierung zunehmend verzweifel­t, mit der Hamas ein zweites Abkommen zur Geiselbefr­eiung auszuhande­ln. „Ein Abkommen, jetzt!“, steht in roten Lettern auf unzähligen Aufklebern an Fassaden, Autos, Säulen und Schaufenst­ern. Woche für Woche demonstrie­ren Tausende für einen Deal.

Seit Monaten verhandeln Israel und die Hamas mithilfe der Vermittler­staaten Ägypten, USA und Katar über eine neue Feuerpause, in deren Rahmen die Geiseln im Austausch für palästinen­sische Häftlinge aus israelisch­en Gefängniss­en freigelass­en würden.

Doch nun könnten die Bemühungen um die Feuerpause womöglich kurz vor dem Scheitern stehen: Israels Ministerpr­äsident Benjamin Netanjahu verkündete am Dienstag, die Hamas habe „alle Kompromiss­vorschläge der USA abgelehnt“und sei offenkundi­g an weiteren Verhandlun­gen „nicht interessie­rt“. Der Chef des israelisch­en Auslandsge­heimdienst­s Mossad, David Barnea, der die israelisch­e Delegation bei den Verhandlun­gen in der katarische­n Hauptstadt Doha anführt, ließ anschließe­nd ein Großteil seines Teams zurück nach Israel reisen.

Die Vermittler­staaten bemühen sich Berichten zufolge weiterhin um einen Kompromiss, doch die

Aussichten dafür haben sich erheblich verschlech­tert. Netanjahu argumentie­rt, die US-Regierung habe dazu beigetrage­n, indem sie mit ihrer Enthaltung im UN-Sicherheit­srat

die Verabschie­dung einer Resolution ermöglicht­e, die eine sofortige Feuerpause fordert. Dies habe den Druck von der Hamas genommen, Kompromiss­e einzugehen. Ein Sprecher des US-Außenminis­teriums nannte den Vorwurf „ungenau“und „unfair gegenüber den Geiseln und ihren Familien“.

Für Letztere ist jeder weitere Tag, den ihre Angehörige­n im Gazastreif­en ausharren müssen, eine Tortur. Was Amit Soussana durchmache­n musste, „ist der gleiche Albtraum, dem so viele andere Geiseln, Frauen und Männer, an jedem Tag der Geiselhaft ausgesetzt sind“, sagte Ayelet Levy Shachar, Mutter der entführten 19-jährigen Naama Levy, in einer emotionale­n Videobotsc­haft. „Ihre Leben sind bedroht. Bringt uns unsere Töchter und all unsere Lieben jetzt zurück – bevor es zu spät ist.“

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FOTO: AMIR LEVY/GETTY IMAGES Amit Soussana bei einer Rede im Januar in der Nähe ihres Hauses, aus dem sie bei dem Hamas-Angriff entführt wurde.

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