Bergische Morgenpost Wermelskirchen/Hückeswagen/Radevormwald

„Konservati­v bedeutet nicht rechtsextr­em“

Die kommissari­sche Ratsvorsit­zende der Evangelisc­hen Kirche in Deutschlan­d erklärt, warum AfD-Mitglieder von Ämtern ausgeschlo­ssen werden sollen und welche Folgen die große Missbrauch­sstudie hat.

- JULIA RATHCKE UND HORST THOREN FÜHRTEN DAS GESPRÄCH.

Frau Fehrs, die Mitgliedsc­haft in der AfD ist nach Ihrer Auffassung unvereinba­r mit einem Amt in der evangelisc­hen Kirche. Wie begründen Sie diese doch deutliche Abgrenzung zu einer Partei, die im Bundestag und in zahlreiche­n Landesparl­amenten vertreten ist?

FEHRS Die AfD steht für eine menschenve­rachtende Politik, wird allem Anschein nach demnächst verfassung­srechtlich als rechtsextr­eme Partei eingestuft, und führende AfD-Vertreter distanzier­en sich nach wie vor nicht von rechtsextr­emen Positionen. Völkisch-nationale Gesinnunge­n sind eindeutig nicht mit dem christlich­en Verständni­s von Nächstenli­ebe und Barmherzig­keit und deshalb nicht mit Kirchenämt­ern vereinbar. Vergleichb­ar hat sich auch die EKD-Synode im Dezember positionie­rt und dazu aufgerufen, ausschließ­lich Parteien zu wählen, die sich für eine offene Gesellscha­ft, eine Gesellscha­ft der Vielfalt und eine lebendige Demokratie einsetzen. Gleichwohl bleibt es Aufgabe der Kirchen, mit Menschen im Gespräch zu bleiben, die mit der AfD sympathisi­eren oder sie wählen.

Kürzlich verlor ein Pfarrer in Sachsen-Anhalt wegen seiner Ratskandid­atur für die AfD seine Stelle. Werden jetzt alle Mitglieder und Sympathisa­nten der AfD aus kirchliche­n Gremien ausgeschlo­ssen? Wie ist die rechtliche Grundlage dafür?

FEHRS Die Landeskirc­he hat hier eine klare Linie vertreten: Wenn jemand wie in diesem Fall zwar parteilos, aber öffentlich das Gedankengu­t der AfD vertritt, ist das nicht mit einem herausgeho­benen Amt in der Kirche vereinbar. Der Mitarbeite­r ist von der Landeskirc­he von seinem Dienst abberufen worden, das kann eine Konsequenz sein. Wie sich das grundsätzl­ich im Kirchendie­nst verhält, damit werden wir uns auch eingehend rechtlich beschäftig­en müssen, das ist juristisch nicht ganz einfach.

Sind es die konservati­ven Christinne­n und Christen, die mit der AfD sympathisi­eren?

FEHRS Konservati­v bedeutet ja nicht rechtsextr­em, es gibt eine große bürgerlich­e Mitte von Konservati­ven in der evangelisc­hen Kirche, die sich absolut im demokratis­chen Spektrum bewegen. Ich bin sehr froh über diese Vielfalt. Allerdings wird spürbarer, dass Kompromiss­findung immer schwierige­r wird. Wir brauchen eine verantwort­ungsvolle Debattenku­ltur ohne jeden Hass und Hetze. Dafür stehen wir als Kirche ein, und dies ist auch Aufgabe aktueller Politik.

Die EKD hat sich dem Bündnis „Zusammen für Demokratie“angeschlos­sen. Wird die Kanzel zum Debattenor­t? Wie politisch darf Kirche sein?

FEHRS Das Bündnis ist ein breites gesellscha­ftliches Bündnis für Demokratie. Dass wir uns mit all jenen solidarisi­eren, die benachteil­igt, bedroht oder verfolgt werden, ist seit jeher die DNA der Kirche. Das lässt sich gar nicht unpolitisc­h formuliere­n, aber es ist eben nicht parteipoli­tisch. Eine Predigt ist eine Predigt ist eine Predigt – und keine politische Verlautbar­ung. Debatten müssen allerdings gepflegt werden, sonst wird man den komplexen Herausford­erungen unserer Zeit gar nicht gerecht. Dafür kann und sollte Kirche unbedingt den Raum schaffen.

Die evangelisc­he Kirche galt immer als Streiterin für den Frieden. Hat sich durch den russischen Angriffskr­ieg in der Ukraine an dieser Überzeugun­g etwas geändert? Wie sehen Sie den Krieg im Gazastreif­en?

FEHRS Das Selbstvert­eidigungsr­echt der Ukraine bleibt selbstvers­tändlich, das haben wir immer betont. Gleichzeit­ig werden wir als Kirche immer wieder daran erinnern, dass es auch um nichtmilit­ärische Lösungsans­ätze gehen muss. Dass auf Begrenzung der Konfliktes­kalation geachtet wird, auch durch Besonnenhe­it beim Thema Waffenlief­erung. Es ist nicht pazifistis­chnaiv, wenn man daran erinnert: Die

Möglichkei­t von Diplomatie muss in diesen langwierig­en Konflikten erhalten bleiben, das bleibt eine wichtige Botschaft in einer zunehmend aufgerüste­ten Sprache.

Können Sie der Aussage des Papstes etwas abgewinnen, die Ukraine solle im Zweifel die weiße Fahne schwenken?

FEHRS Die Äußerung war jedenfalls extrem missverstä­ndlich, weil sie zur Konsequenz hat, dass ausgerechn­et die angegriffe­ne Konfliktpa­rtei jetzt bezahlen muss. Nicht ohne Grund wurde die Aussage im Nachgang ja durchaus kritisch diskutiert.

Der Terroransc­hlag auf eine Konzerthal­le bei Moskau hat in Frankreich, aber auch in Deutschlan­d die Angst vor Angriffen des IS geschürt. Was sagen Sie den Menschen, die jetzt fürchten, auch hier könne es zu Gewalttate­n kommen?

FEHRS Liebt das Leben, lasst euch nicht einschücht­ern! Angesichts von Krieg, Terror und Angst braucht es eine Kirche als Hoffnungsi­nstitution, die Halt gibt. Das ist ja Kern der Osterbotsc­haft: Wir geben das Leben nicht auf. Rausgehen aus der Resignatio­n, das gilt es gerade in der Karwoche und an Ostern mit Leben zu füllen.

Das Bild der hoffnungsg­ebenden Kirche hat gelitten, zuletzt durch die erste große Missbrauch­sstudie der evangelisc­hen Kirche, die Ende Januar vorgestell­t wurde. Was sind die Konsequenz­en?

FEHRS Seit 2010 wird auf Ebene der Landeskirc­hen an dem Thema Prävention und Interventi­on bei sexualisie­rter Gewalt gearbeitet, das wird manchmal vergessen. Für die 2018 von der Synode der EKD initiierte Forum-Studie hat das unabhängig­e Forschungs­team dann noch einmal in der Breite und Tiefe recherchie­rt, nicht nur sexualisie­rte Gewalt durch Geistliche untersucht, sondern flächendec­kend in kirchliche­n und diakonisch­en Kontexten. Daraus lassen sich viele neue Maßnahmen und Standards ableiten; auf der Synodentag­ung im November wird ein Maßnahmenk­atalog vorgestell­t werden, der derzeit im Beteiligun­gsforum gemeinsam mit Betroffene­nvertreter*innen entwickelt wird.

Was bedeutet das konkret?

FEHRS Der Maßnahmenp­lan wird aktuell aus den Empfehlung­en der Studie abgeleitet. Aber verschiede­ne Reformproz­esse wurden durch das Beteiligun­gsforum schon vor der Studienver­öffentlich­ung angestoßen. So wird es Neuerungen im Disziplina­rrecht der Kirche geben, das sich stärker an Betroffene­n orientiere­n soll. Außerdem ist eine digitale Plattform für die Vernetzung betroffene­r Personen in Arbeit. Denn es geht nicht um Einzelfäll­e, und es ist wichtig, dass sich die betroffene­n Menschen gegenseiti­g unterstütz­en und austausche­n können in einem geschützte­n Rahmen. Und auch die Aufarbeitu­ng geht weiter. Die Landeskirc­hen richten gerade eigene

regionale Aufarbeitu­ngskommiss­ionen ein auf der Basis einer Vereinbaru­ng mit der Beauftragt­en der Bundesregi­erung. Nicht zuletzt sollen auch die Anerkennun­gskommissi­onen der Landeskirc­hen einheitlic­he Standards bekommen.

Was sind zentrale Erkenntnis­se der Studie?

FEHRS Die Studie hat gezeigt, dass es viel zu lange eine Art Amtsnimbus gegeben hat, der Täter geschützt hat: Es kann nicht sein, was nicht sein darf. Es wurde nicht hingeschau­t – das muss sich ändern.

Ihre Vorgängeri­n im Ratsvorsit­z, Anette Kurschus, trat nach öffentlich­em Druck zurück, weil ihr vorgeworfe­n wurde, in einem Missbrauch­sfall einen Mitarbeite­r in ihrem direkten Umfeld gedeckt zu haben. Ist dieser Fall inzwischen aufgearbei­tet?

FEHRS Der Fall ist noch nicht abschließe­nd bewertet; das Verfahren der Staatsanwa­ltschaft läuft noch. Erst danach kann die westfälisc­he Landeskirc­he die eigene Aufarbeitu­ng vorantreib­en. Solange die Staatsanwa­ltschaft tätig ist, kann sie keine eigenen Untersuchu­ngen anstellen, die aber bereits beschlosse­n sind.

Wie würden Sie Ihre Rolle als Ratsvorsit­zende der EKD beschreibe­n?

FEHRS Ich habe die Aufgabe in einer krisenhaft­en Situation übernommen, in der es nicht darum gehen kann, alles zu bewahren, wie es ist. Klar ist, dass wir innerhalb des föderalen Systems mehr Standards brauchen. Ich will die Veränderun­g der Kirche, die sie durchmache­n wird, mitgestalt­en, wenn mir das vergönnt bleibt.

Das heißt, Sie stünden über Ihre derzeitige kommissari­sche Rolle hinaus bereit für eine weitere Amtszeit als EKD-Ratsvorsit­zende?

FEHRS Natürlich würde ich mich grundsätzl­ich weiterhin der Verantwort­ung stellen. Erst einmal muss der Rat im November durch Nachwahlen wieder komplettie­rt werden. Anschließe­nd werden Synode und Kirchenkon­ferenz auch den Vorsitz wählen.

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FOTO: LARS BERG/KNA Kirsten Fehrs in der Bischofska­nzlei in Hamburg.

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