Bergische Morgenpost Wermelskirchen/Hückeswagen/Radevormwald
„Konservativ bedeutet nicht rechtsextrem“
Die kommissarische Ratsvorsitzende der Evangelischen Kirche in Deutschland erklärt, warum AfD-Mitglieder von Ämtern ausgeschlossen werden sollen und welche Folgen die große Missbrauchsstudie hat.
Frau Fehrs, die Mitgliedschaft in der AfD ist nach Ihrer Auffassung unvereinbar mit einem Amt in der evangelischen Kirche. Wie begründen Sie diese doch deutliche Abgrenzung zu einer Partei, die im Bundestag und in zahlreichen Landesparlamenten vertreten ist?
FEHRS Die AfD steht für eine menschenverachtende Politik, wird allem Anschein nach demnächst verfassungsrechtlich als rechtsextreme Partei eingestuft, und führende AfD-Vertreter distanzieren sich nach wie vor nicht von rechtsextremen Positionen. Völkisch-nationale Gesinnungen sind eindeutig nicht mit dem christlichen Verständnis von Nächstenliebe und Barmherzigkeit und deshalb nicht mit Kirchenämtern vereinbar. Vergleichbar hat sich auch die EKD-Synode im Dezember positioniert und dazu aufgerufen, ausschließlich Parteien zu wählen, die sich für eine offene Gesellschaft, eine Gesellschaft der Vielfalt und eine lebendige Demokratie einsetzen. Gleichwohl bleibt es Aufgabe der Kirchen, mit Menschen im Gespräch zu bleiben, die mit der AfD sympathisieren oder sie wählen.
Kürzlich verlor ein Pfarrer in Sachsen-Anhalt wegen seiner Ratskandidatur für die AfD seine Stelle. Werden jetzt alle Mitglieder und Sympathisanten der AfD aus kirchlichen Gremien ausgeschlossen? Wie ist die rechtliche Grundlage dafür?
FEHRS Die Landeskirche hat hier eine klare Linie vertreten: Wenn jemand wie in diesem Fall zwar parteilos, aber öffentlich das Gedankengut der AfD vertritt, ist das nicht mit einem herausgehobenen Amt in der Kirche vereinbar. Der Mitarbeiter ist von der Landeskirche von seinem Dienst abberufen worden, das kann eine Konsequenz sein. Wie sich das grundsätzlich im Kirchendienst verhält, damit werden wir uns auch eingehend rechtlich beschäftigen müssen, das ist juristisch nicht ganz einfach.
Sind es die konservativen Christinnen und Christen, die mit der AfD sympathisieren?
FEHRS Konservativ bedeutet ja nicht rechtsextrem, es gibt eine große bürgerliche Mitte von Konservativen in der evangelischen Kirche, die sich absolut im demokratischen Spektrum bewegen. Ich bin sehr froh über diese Vielfalt. Allerdings wird spürbarer, dass Kompromissfindung immer schwieriger wird. Wir brauchen eine verantwortungsvolle Debattenkultur ohne jeden Hass und Hetze. Dafür stehen wir als Kirche ein, und dies ist auch Aufgabe aktueller Politik.
Die EKD hat sich dem Bündnis „Zusammen für Demokratie“angeschlossen. Wird die Kanzel zum Debattenort? Wie politisch darf Kirche sein?
FEHRS Das Bündnis ist ein breites gesellschaftliches Bündnis für Demokratie. Dass wir uns mit all jenen solidarisieren, die benachteiligt, bedroht oder verfolgt werden, ist seit jeher die DNA der Kirche. Das lässt sich gar nicht unpolitisch formulieren, aber es ist eben nicht parteipolitisch. Eine Predigt ist eine Predigt ist eine Predigt – und keine politische Verlautbarung. Debatten müssen allerdings gepflegt werden, sonst wird man den komplexen Herausforderungen unserer Zeit gar nicht gerecht. Dafür kann und sollte Kirche unbedingt den Raum schaffen.
Die evangelische Kirche galt immer als Streiterin für den Frieden. Hat sich durch den russischen Angriffskrieg in der Ukraine an dieser Überzeugung etwas geändert? Wie sehen Sie den Krieg im Gazastreifen?
FEHRS Das Selbstverteidigungsrecht der Ukraine bleibt selbstverständlich, das haben wir immer betont. Gleichzeitig werden wir als Kirche immer wieder daran erinnern, dass es auch um nichtmilitärische Lösungsansätze gehen muss. Dass auf Begrenzung der Konflikteskalation geachtet wird, auch durch Besonnenheit beim Thema Waffenlieferung. Es ist nicht pazifistischnaiv, wenn man daran erinnert: Die
Möglichkeit von Diplomatie muss in diesen langwierigen Konflikten erhalten bleiben, das bleibt eine wichtige Botschaft in einer zunehmend aufgerüsteten Sprache.
Können Sie der Aussage des Papstes etwas abgewinnen, die Ukraine solle im Zweifel die weiße Fahne schwenken?
FEHRS Die Äußerung war jedenfalls extrem missverständlich, weil sie zur Konsequenz hat, dass ausgerechnet die angegriffene Konfliktpartei jetzt bezahlen muss. Nicht ohne Grund wurde die Aussage im Nachgang ja durchaus kritisch diskutiert.
Der Terroranschlag auf eine Konzerthalle bei Moskau hat in Frankreich, aber auch in Deutschland die Angst vor Angriffen des IS geschürt. Was sagen Sie den Menschen, die jetzt fürchten, auch hier könne es zu Gewalttaten kommen?
FEHRS Liebt das Leben, lasst euch nicht einschüchtern! Angesichts von Krieg, Terror und Angst braucht es eine Kirche als Hoffnungsinstitution, die Halt gibt. Das ist ja Kern der Osterbotschaft: Wir geben das Leben nicht auf. Rausgehen aus der Resignation, das gilt es gerade in der Karwoche und an Ostern mit Leben zu füllen.
Das Bild der hoffnungsgebenden Kirche hat gelitten, zuletzt durch die erste große Missbrauchsstudie der evangelischen Kirche, die Ende Januar vorgestellt wurde. Was sind die Konsequenzen?
FEHRS Seit 2010 wird auf Ebene der Landeskirchen an dem Thema Prävention und Intervention bei sexualisierter Gewalt gearbeitet, das wird manchmal vergessen. Für die 2018 von der Synode der EKD initiierte Forum-Studie hat das unabhängige Forschungsteam dann noch einmal in der Breite und Tiefe recherchiert, nicht nur sexualisierte Gewalt durch Geistliche untersucht, sondern flächendeckend in kirchlichen und diakonischen Kontexten. Daraus lassen sich viele neue Maßnahmen und Standards ableiten; auf der Synodentagung im November wird ein Maßnahmenkatalog vorgestellt werden, der derzeit im Beteiligungsforum gemeinsam mit Betroffenenvertreter*innen entwickelt wird.
Was bedeutet das konkret?
FEHRS Der Maßnahmenplan wird aktuell aus den Empfehlungen der Studie abgeleitet. Aber verschiedene Reformprozesse wurden durch das Beteiligungsforum schon vor der Studienveröffentlichung angestoßen. So wird es Neuerungen im Disziplinarrecht der Kirche geben, das sich stärker an Betroffenen orientieren soll. Außerdem ist eine digitale Plattform für die Vernetzung betroffener Personen in Arbeit. Denn es geht nicht um Einzelfälle, und es ist wichtig, dass sich die betroffenen Menschen gegenseitig unterstützen und austauschen können in einem geschützten Rahmen. Und auch die Aufarbeitung geht weiter. Die Landeskirchen richten gerade eigene
regionale Aufarbeitungskommissionen ein auf der Basis einer Vereinbarung mit der Beauftragten der Bundesregierung. Nicht zuletzt sollen auch die Anerkennungskommissionen der Landeskirchen einheitliche Standards bekommen.
Was sind zentrale Erkenntnisse der Studie?
FEHRS Die Studie hat gezeigt, dass es viel zu lange eine Art Amtsnimbus gegeben hat, der Täter geschützt hat: Es kann nicht sein, was nicht sein darf. Es wurde nicht hingeschaut – das muss sich ändern.
Ihre Vorgängerin im Ratsvorsitz, Anette Kurschus, trat nach öffentlichem Druck zurück, weil ihr vorgeworfen wurde, in einem Missbrauchsfall einen Mitarbeiter in ihrem direkten Umfeld gedeckt zu haben. Ist dieser Fall inzwischen aufgearbeitet?
FEHRS Der Fall ist noch nicht abschließend bewertet; das Verfahren der Staatsanwaltschaft läuft noch. Erst danach kann die westfälische Landeskirche die eigene Aufarbeitung vorantreiben. Solange die Staatsanwaltschaft tätig ist, kann sie keine eigenen Untersuchungen anstellen, die aber bereits beschlossen sind.
Wie würden Sie Ihre Rolle als Ratsvorsitzende der EKD beschreiben?
FEHRS Ich habe die Aufgabe in einer krisenhaften Situation übernommen, in der es nicht darum gehen kann, alles zu bewahren, wie es ist. Klar ist, dass wir innerhalb des föderalen Systems mehr Standards brauchen. Ich will die Veränderung der Kirche, die sie durchmachen wird, mitgestalten, wenn mir das vergönnt bleibt.
Das heißt, Sie stünden über Ihre derzeitige kommissarische Rolle hinaus bereit für eine weitere Amtszeit als EKD-Ratsvorsitzende?
FEHRS Natürlich würde ich mich grundsätzlich weiterhin der Verantwortung stellen. Erst einmal muss der Rat im November durch Nachwahlen wieder komplettiert werden. Anschließend werden Synode und Kirchenkonferenz auch den Vorsitz wählen.