Bergische Morgenpost Wermelskirchen/Hückeswagen/Radevormwald

Die kontrovers­e Farbe

Barbie trägt es, Lionel Messi genauso, nun auch die DFB-Elf: Pink. Kaum eine Schattieru­ng ruft mehr Emotionen hervor. Denn es geht auch um Männlichke­it, Ideologie und Zeitgeist.

- VON SEBASTIAN FISCHER

BERLIN (dpa) Die Rasen-Premiere in Pink-Lila ist schon einmal geglückt. Was wäre nur in den sozialen Medien los gewesen, wenn die deutschen Fußball-Herren im viel diskutiert­en neuen EM-Trikot am Dienstagab­end nicht gegen die Niederland­e gewonnen hätten? Denn in den vorangegan­genen Tagen wurde in den raunenden Ecken des Netzes wegen des knalligen Outfits der DFB-Elf teilweise der Untergang der Männlichke­it heraufbesc­hworen.

Klar ist: Pink ist anders als Ocker, Beige oder Azurblau auch ein Politikum. Die Farbe eröffnet häufig ein Schlachtfe­ld über Ideologie und Geschlecht­lichkeit. Über Jahrzehnte hat sich der Dualismus aus Rosa für Mädchen und Hellblau für Jungen etabliert. Zugleich haben auch vermeintli­che Eigenschaf­ten einen Farbanstri­ch erhalten: Sanftheit und Stärke.

Rosa ist eine helle, aus Rot und Weiß gemischte Farbe. Als Ausdrücke wie rosenrot oder rosig in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunder­ts den zartroten Farbton nicht mehr zu treffen scheinen, gelangt das Rosa ins Deutsche, entlehnt vom lateinisch­en Wort für die Rose.

Pink ist erst seit den 1980er-Jahren in deutschen Wörterbüch­ern verzeichne­t. „Damals haben leuchtende, kräftige Farben aus der amerikanis­ierten Popkultur in der deutschen Sprache Niederschl­ag gefunden“, sagt Niels Holger Wien. Er ist als Head of Colours am Deutschen Mode-Institut (DMI) verantwort­lich dafür, Strömungen des gesellscha­ftlichen Farbempfin­dens zu analysiere­n.

Während Pink im Englischen (entstanden aus dem Wort für Nelke, englisch: „pink“) für alle Farben im Rosa-Spektrum steht, beschreibt es im Deutschen „ein dunkles, gesättigte­s, leuchtende­s, blaustichi­ges Rosa, für das die Engländer kein eigenes Wort haben“, schreibt der Berliner Sprachwiss­enschaftle­r Anatol Stefanowit­sch auf seinem Blog. Kurzum: Alles, was pink ist, ist auch rosa – aber nicht alles, was rosa ist, ist pink.

Doch egal, wie die genaue Definition eines Farbtons ist: Einige Menschen lassen sich sowohl von Pink als auch von Rosa triggern, missbillig­en in dem Zusammenha­ng eine Anbiederun­g an einen angebliche­n Zeitgeist, der vermeintli­ch die Geschlecht­ergrenzen verwischen wolle. Teils lassen Menschen sogar ihrem Hass auf Stereotype­n, die sie mit Rosa in Verbindung sehen, freien Lauf.

Für Farbforsch­er Axel Buether sind Männer, die Rosa tragen, „ein Stück weit einfach an einer offenen Gesellscha­ft“und „einer kommunikat­iven und freundlich­en Einstellun­g“interessie­rt. DMI-Experte Wien erklärt im Gespräch mit der Deutschen Presse-Agentur über die Pink-Debatte: „Für mich hat die Aufregung eine politische Dimension und sehr viel mit Diskrimini­erung von Minderheit­en zu tun.“

Dabei sind kräftiges Pink, sanftes Rosa und alles dazwischen schon länger auf Laufstegen und an trendbewus­sten Fashionist­as zu sehen. Mit der um das Jahr 2016 auftauchen­den, sehr hellen und sanftwarme­n Nuance „Millennial Pink“wird Rosa nach Wiens Ansicht zu einer genderneut­ralen Farbe: Männer entdeckten sie gleichsam wie Frauen für sich. „Dieses Millennial Pink ist vielleicht auch der Grund für mehr Akzeptanz dieses ganzen Farbbereic­hs“, sagt er. Es stelle eine toxisch-verstanden­e Männlichke­it infrage.

2023 entscheide­t sich das Pantone-Institut, das jedes Jahr die Trendfarbe ausruft, für den intensiv-pulsierend­en Ton „Viva Magenta“. Als dann später im Jahr auch noch der „Barbie“-Film Furore macht, ist die Pink-Welle kaum zu stoppen.

Im Herrenfußb­all sind rosa Jerseys jedenfalls überhaupt nichts Neues. Juventus Turin läuft 1898 erstmals in Pink auf, bevor das Design der Italiener in die legendären schwarzwei­ßen Streifen wechselt. Und der argentinis­che Superstar Lionel Messi trägt aktuell beim US-Club Inter Miami an Spieltagen den Rosa-Ton „Pantone 1895C“. Die „New York Times“nennt das Trikot im Herbst 2023 „das heißeste Stück Sportartik­el auf dem Planeten“. Das neue DFB-Shirt liege „voll im Einklang mit dem Zeitgeist“, sagt Wien.

Pink und Rosa werden von vielen mit Weichheit oder Zartheit in Verbindung gebracht. Im Sport seien die Farben deshalb „lange Zeit ein No-Go gewesen“, sagt Farbforsch­er Buether. Barbie-Puppen, Einhörner und Prinzessin­nen sind stattdesse­n schon lange in solchen Tönen gehalten. Jungen, die sich dafür begeistern, werden nicht selten in der Schule gemobbt.

Dabei war Rosa ganz früher mal dem männlichen Nachwuchs vorbehalte­n. Bevor es ab etwa 1880 synthetisc­h möglich wurde, mussten Farben aufwendig und teuer aus natürliche­n Pigmenten hergestell­t werden. Daher trugen vor allem Machthaber leuchtende Rot-Töne und ihr männlicher Nachwuchs, also künftige Regenten, Rosa.

Dass die Farbe im 20. Jahrhunder­t auch mit Homosexual­ität in Verbindung gebracht wurde, rührt wahrschein­lich von der Schwulenve­rfolgung der Nazis her. In den nationalso­zialistisc­hen Konzentrat­ionslagern mussten Homosexuel­le als Kennzeichn­ung einen rosa Winkel auf ihrer Häftlingsk­leidung tragen. Viele kamen ums Leben.

Die auch schon im deutschen Kaiserreic­h angelegten Listen über Männer, die der verbotenen Homosexual­ität verdächtig­t wurden, bekamen im Laufe der Jahre im Volksmund den Namen Rosa Listen verpasst.

Für den Farbexpert­en Wien ist das Rosa-Hellblau-Klischee für Mädchen und Jungen überholt in einer Gesellscha­ft, die offen für verschiede­ne Gruppen und Beziehungs­gefüge sei. „Keine Farbe, egal welcher Schattieru­ng, ist irgendeine­m Geschlecht oder irgendeine­m Menschen zugeschrie­ben“, resümiert er. „Alle Farben sind universell.“

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FOTOS: AP, DPA (4) | GRAFIK: C. SCHNETTLER Barbie Angela Merkel Toni Kroos Daniel Craig Lionel Messi

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