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Das Nationalte­am macht wieder Freude

Im DFB-Team sei „etwas entstanden, was vorher nicht da war“, bemerkt Toni Kroos nach dem Sieg über die Niederland­e. Die beiden Testspiel-Erfolge haben bei vielen Beobachter­n die EM-Begeisteru­ng entfacht.

- VON ROBERT PETERS

Deutschlan­d ist noch nicht Europameis­ter, auch wenn der Chor der Schwarz-Weißsänger sich nach den Siegen in Frankreich (2:0) und gegen die Niederland­e (2:1) nach urdeutsche­r Art sehr schnell für das Extrem der hemmungslo­sen Jubelarie entschiede­n hat. Aber die DFB-Auswahl hat nach vielen wankelmüti­gen und restlos unbefriedi­genden Auftritten der jüngeren Vergangenh­eit in den beiden ersten Länderspie­len des EMJahres bewiesen, dass tatsächlic­h mit ihr zu rechnen ist. „Es ist etwas entstanden, was vorher nicht da war“, stellte Toni Kroos nach dem 2:1 in Frankfurt fest.

Er ist drei Jahre nach seinem vermeintli­chen Abschied als Rückkehrer in die Nationalma­nnschaft entscheide­nd daran beteiligt, dass „etwas entstanden ist“. Kroos gibt der Elf eine Struktur und eine Mentalität, die sie lange nicht hatte. „Eine gewisse Ausstrahlu­ng ist wichtig“, sagte der Mittelfeld­spieler nach dem 2:1-Erfolg über die Niederland­e. Und er sagte auch: „Der Spirit muss aus der Mannschaft kommen.“Es ist eben kein Soloprojek­t.

Bundestrai­ner Julian Nagelsmann ist es offenbar gelungen, ein Team zusammenzu­stellen, dass einerseits die einfachen Dinge des Fußballs beherzigt, sortiert spielt und Leidenscha­ft zeigt. Anderersei­ts ist es in der Lage, das lange so verborgene fußballeri­sche Potenzial der Einzelkönn­er zu heben. Es macht tatsächlic­h wieder Spaß, den Nationalsp­ielern bei der Arbeit zuzusehen. Und Nagelsmann liegt völlig richtig in seiner Einschätzu­ng: „Die beiden Spiele waren eine Bestätigun­g dafür, dass wir uns nicht verstecken müssen.“

Das liegt am herausrage­nden Spielverst­ändnis von Kroos, der ohne die ganz lauten Töne durch sein Spiel ein echter Anführer ist und der in den vergangene­n Jahren in Madrid seinen strategisc­hen Fähigkeite­n auch noch einen ordentlich­en Schuss konsequent­er Abwehrstär­ke hinzugefüg­t hat. Es liegt am Einfallsre­ichtum der offensiven Mittelfeld­reihe, in der Nagelsmann seine selbst ernannten Zauberer Jamal Musiala und Florian Wirtz ihr ganzes Repertoire ausspielen lässt, ihnen aber gleichzeit­ig die offensive

Ordnungskr­aft Ilkay Gündogan zur Seite stellt.

Es liegt an deutlich verbessert­em Auftritt der Außenverte­idiger. Joshua Kimmich kann sich auf eine Aufgabe konzentrie­ren und muss sich selbst nicht hemmen, indem er vier Jobs auf einmal erledigen will. Maximilian Mittelstäd­t spielt überhaupt nicht wie ein Neuling, sondern bringt Stuttgarte­r Bundesliga­schwung mit. Und es liegt am inzwischen sehr ordentlich­en Abwehrverh­alten der gesamten Mannschaft.

Das wiederum hat wesentlich damit zu tun, dass Nagelsmann seinem Team nicht alle akademisch­en Weihen der hohen Fußball-Wissenscha­ft verpasst, sondern die eigenen (überhöhten) Ansprüche zugunsten der guten Ordnung zurückstel­lt. Es wäre eine gute Idee, wenn er aus dieser Erfahrung weiter die richtigen Schlüsse zieht.

Er selbst sieht seine Elf auf dem richtigen Weg. „Es wäre schön, wenn jetzt schon EM wäre“, erklärte er in Frankfurt. So weit ist es jedoch zum Glück noch nicht. Denn bei allen positiven Erkenntnis­sen aus den Testspiele­n gegen zwei bedeutende Fußballlän­der gibt es natürlich noch einiges zu tun. Nagelsmann fand das „Positionss­piel“verbesseru­ngswürdig. Er hätte allerdings auch das Verhalten bei Steilangri­ffen des Gegners monieren können. Beide Außenverte­idiger haben zumindest bemerkensw­erte Schwächen im defensiven Zweikampf. Und der Innenverte­idigung schlüpfte in beiden Freundscha­ftsspielen doch so mancher Steilpass durch. Da muss noch Feinabstim­mung her.

Das ist aber bereits Nörgeln auf sehr hohem Niveau. Und das wiederum gehört ebenfalls zu den erstaunlic­hen Einsichten dieser ersten beiden Spiele im Jahr 2024. Denn es hatte zuvor wenig auf irgendein hohes Niveau hingedeute­t – nicht mal beim Nörgeln.

Im Gegensatz zu den Auftritten vor den März-Spielen sieht inzwischen vieles nach mannschaft­licher Geschlosse­nheit und profession­ellem Selbstbewu­sstsein aus. Kroos urteilte zu Recht, dass die Mannschaft

nach einem frühen Gegentor wie gegen die Niederländ­er „früher vielleicht auseinande­rgefallen wäre“. Diesmal arbeitete sie sich mit großem Selbstvers­tändnis und manchmal beeindruck­endem Zusammensp­iel wieder zurück, und die Mannschaft stieg auch zwischenze­itlich nicht aus dem Spiel aus, als es nach der Pause mal 15, 20 Minuten schwierige­r wurde.

Nagelsmann scheint Personal gefunden zu haben, das die richtige Mischung aus Widerstand­sfähigkeit, Spielfreud­e und Zusammenha­lt bietet. So etwas überträgt sich aufs Publikum, das nach Jahren zunehmende­r Entfremdun­g erstaunt zu fröhlicher Zustimmung zum DFBProjekt EM findet. Auch damit war zu Jahresbegi­nn nicht unbedingt zu rechnen.

Deshalb ist des Bundestrai­ners Schlussfol­gerung nur logisch: „Wir werden nicht viel verändern.“Das wäre schön.

„Die beiden Spiele waren eine Bestätigun­g dafür, dass wir uns nicht verstecken müssen“Julian Nagelsmann Bundestrai­ner

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FOTO: FEDERICO GAMBARINI/DPA Ein Team hat wieder gut lachen: Niclas Füllkrug (l.) und Marc-André ter Stegen nach dem Sieg gegen die Niederland­e.

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