Bergische Morgenpost Wermelskirchen/Hückeswagen/Radevormwald
Das Nationalteam macht wieder Freude
Im DFB-Team sei „etwas entstanden, was vorher nicht da war“, bemerkt Toni Kroos nach dem Sieg über die Niederlande. Die beiden Testspiel-Erfolge haben bei vielen Beobachtern die EM-Begeisterung entfacht.
Deutschland ist noch nicht Europameister, auch wenn der Chor der Schwarz-Weißsänger sich nach den Siegen in Frankreich (2:0) und gegen die Niederlande (2:1) nach urdeutscher Art sehr schnell für das Extrem der hemmungslosen Jubelarie entschieden hat. Aber die DFB-Auswahl hat nach vielen wankelmütigen und restlos unbefriedigenden Auftritten der jüngeren Vergangenheit in den beiden ersten Länderspielen des EMJahres bewiesen, dass tatsächlich mit ihr zu rechnen ist. „Es ist etwas entstanden, was vorher nicht da war“, stellte Toni Kroos nach dem 2:1 in Frankfurt fest.
Er ist drei Jahre nach seinem vermeintlichen Abschied als Rückkehrer in die Nationalmannschaft entscheidend daran beteiligt, dass „etwas entstanden ist“. Kroos gibt der Elf eine Struktur und eine Mentalität, die sie lange nicht hatte. „Eine gewisse Ausstrahlung ist wichtig“, sagte der Mittelfeldspieler nach dem 2:1-Erfolg über die Niederlande. Und er sagte auch: „Der Spirit muss aus der Mannschaft kommen.“Es ist eben kein Soloprojekt.
Bundestrainer Julian Nagelsmann ist es offenbar gelungen, ein Team zusammenzustellen, dass einerseits die einfachen Dinge des Fußballs beherzigt, sortiert spielt und Leidenschaft zeigt. Andererseits ist es in der Lage, das lange so verborgene fußballerische Potenzial der Einzelkönner zu heben. Es macht tatsächlich wieder Spaß, den Nationalspielern bei der Arbeit zuzusehen. Und Nagelsmann liegt völlig richtig in seiner Einschätzung: „Die beiden Spiele waren eine Bestätigung dafür, dass wir uns nicht verstecken müssen.“
Das liegt am herausragenden Spielverständnis von Kroos, der ohne die ganz lauten Töne durch sein Spiel ein echter Anführer ist und der in den vergangenen Jahren in Madrid seinen strategischen Fähigkeiten auch noch einen ordentlichen Schuss konsequenter Abwehrstärke hinzugefügt hat. Es liegt am Einfallsreichtum der offensiven Mittelfeldreihe, in der Nagelsmann seine selbst ernannten Zauberer Jamal Musiala und Florian Wirtz ihr ganzes Repertoire ausspielen lässt, ihnen aber gleichzeitig die offensive
Ordnungskraft Ilkay Gündogan zur Seite stellt.
Es liegt an deutlich verbessertem Auftritt der Außenverteidiger. Joshua Kimmich kann sich auf eine Aufgabe konzentrieren und muss sich selbst nicht hemmen, indem er vier Jobs auf einmal erledigen will. Maximilian Mittelstädt spielt überhaupt nicht wie ein Neuling, sondern bringt Stuttgarter Bundesligaschwung mit. Und es liegt am inzwischen sehr ordentlichen Abwehrverhalten der gesamten Mannschaft.
Das wiederum hat wesentlich damit zu tun, dass Nagelsmann seinem Team nicht alle akademischen Weihen der hohen Fußball-Wissenschaft verpasst, sondern die eigenen (überhöhten) Ansprüche zugunsten der guten Ordnung zurückstellt. Es wäre eine gute Idee, wenn er aus dieser Erfahrung weiter die richtigen Schlüsse zieht.
Er selbst sieht seine Elf auf dem richtigen Weg. „Es wäre schön, wenn jetzt schon EM wäre“, erklärte er in Frankfurt. So weit ist es jedoch zum Glück noch nicht. Denn bei allen positiven Erkenntnissen aus den Testspielen gegen zwei bedeutende Fußballländer gibt es natürlich noch einiges zu tun. Nagelsmann fand das „Positionsspiel“verbesserungswürdig. Er hätte allerdings auch das Verhalten bei Steilangriffen des Gegners monieren können. Beide Außenverteidiger haben zumindest bemerkenswerte Schwächen im defensiven Zweikampf. Und der Innenverteidigung schlüpfte in beiden Freundschaftsspielen doch so mancher Steilpass durch. Da muss noch Feinabstimmung her.
Das ist aber bereits Nörgeln auf sehr hohem Niveau. Und das wiederum gehört ebenfalls zu den erstaunlichen Einsichten dieser ersten beiden Spiele im Jahr 2024. Denn es hatte zuvor wenig auf irgendein hohes Niveau hingedeutet – nicht mal beim Nörgeln.
Im Gegensatz zu den Auftritten vor den März-Spielen sieht inzwischen vieles nach mannschaftlicher Geschlossenheit und professionellem Selbstbewusstsein aus. Kroos urteilte zu Recht, dass die Mannschaft
nach einem frühen Gegentor wie gegen die Niederländer „früher vielleicht auseinandergefallen wäre“. Diesmal arbeitete sie sich mit großem Selbstverständnis und manchmal beeindruckendem Zusammenspiel wieder zurück, und die Mannschaft stieg auch zwischenzeitlich nicht aus dem Spiel aus, als es nach der Pause mal 15, 20 Minuten schwieriger wurde.
Nagelsmann scheint Personal gefunden zu haben, das die richtige Mischung aus Widerstandsfähigkeit, Spielfreude und Zusammenhalt bietet. So etwas überträgt sich aufs Publikum, das nach Jahren zunehmender Entfremdung erstaunt zu fröhlicher Zustimmung zum DFBProjekt EM findet. Auch damit war zu Jahresbeginn nicht unbedingt zu rechnen.
Deshalb ist des Bundestrainers Schlussfolgerung nur logisch: „Wir werden nicht viel verändern.“Das wäre schön.
„Die beiden Spiele waren eine Bestätigung dafür, dass wir uns nicht verstecken müssen“Julian Nagelsmann Bundestrainer