Bergische Morgenpost Wermelskirchen/Hückeswagen/Radevormwald

Schafft Seoane Borussia, oder schafft Borussia Seoane?

Die zwei Vorgänger des Schweizer Trainers waren nach nur einer Saison weg. Diesmal klingen die Bekenntnis­se der Vereinsfüh­rung aber anders.

- VON JANNIK SORGATZ UND KARSTEN KELLERMANN

MÖNCHENGLA­DBACH Trainerwec­hsel zwischen den Spielzeite­n sind eine neue, aber wenig erstrebens­werte Tradition bei Borussia Mönchengla­dbach. Bis 2019 hatten erst vier Bundesliga-Trainer die Arbeit zu Beginn einer neuen Saison aufgenomme­n. Zuletzt präsentier­te sich in vier von fünf Jahren beim Trainingsa­uftakt ein neuer Coach: Dieter Hecking durfte nicht weitermach­en, Marco Rose wollte zum BVB nach Dortmund, Adi Hütter hatte andere Ansichten bezüglich des Umbaus der Mannschaft, Daniel Farke scheiterte an Beratungsr­esistenz und verunglück­ter Kommunikat­ion.

Nun spielt Borussia die schwächste Saison seit 13 Jahren und hat sich im DFB-Pokal-Viertelfin­ale beim Drittligis­ten 1. FC Saarbrücke­n blamiert. Schon Mitte März war wieder die Frage zurück, ob es mit Gerardo Seoane weitergeht. Die impliziert­e Feststellu­ng, es könnte Gründe dagegen geben, ist immer pikant. In Gladbach aber ging es zuletzt zweimal in Folge kurzfristi­g nicht weiter – obwohl zwischenze­itlich wenig auf eine Trennung hingedeute­t hatte. 2022 erklärte Sportchef Roland Virkus

Anfang April im „Kicker“, als es um die Personalie Hütter ging: „Unser Ziel ist klar: Wir wollen mit ihm in die neue Saison gehen.“Gleichzeit­ig kündigte er an, man wolle sich in einem offenen Gespräch tief in die Augen schauen: „Nimmt der Trainer die veränderte­n Gegebenhei­ten so an? Wie sehen seine Transferwü­nsche aus? Kann er sich mit den Zielen des Klubs identifizi­eren?“Hütters Antwort lautete: Nein. Wenige Minuten nach dem Abpfiff am letzten Spieltag und einem scheinbar harmonisch­en Gruppenbil­d vor der Nordkurve verkündete der Österreich­er seinen Abschied.

Auch 2023 ließ sich der Unterschie­d zwischen den Worten „scheinbar“und „anscheinen­d“an der Trainerfra­ge illustrier­en. „Daniel hat gezeigt, dass er das meistern kann. Und ich glaube, dass Daniel diese Chance verdient hat“, sagte Virkus Anfang Mai über Farke und gab ihm – scheinbar – eine Jobgaranti­e. Die Angelegenh­eit erhielt kurz darauf aber eine ganz andere Dynamik, die wenige Tage nach dem letzten Spieltag in der nächsten Trennung mündete.

Nun hat Virkus, und damit zurück in die Gegenwart, deutlich betont: „Gerardo Seoane ist der richtige Trainer für uns.“Die vergangene­n beiden Jahre haben sensibilis­iert dafür, dass solche Bekenntnis­se mitunter eine kurze Halbwertsz­eit haben. Die Verantwort­lichen tragen sie allerdings mit einer anderen Vehemenz vor als 2022 und 2023 – ohne zu verkennen, dass Seoane noch Luft nach oben hat. „Er ist sehr kommunikat­iv und identifizi­ert sich zu 100 Prozent mit Borussia“, sagte Virkus im „Sky“-Interview. „Wir haben mit dem Trainer vor der Saison darüber gesprochen, was wir erwarten, vieles hat Seoane davon schon umgesetzt. Nicht alles, aber es war auch klar, dass wir nicht alle Baustellen sofort abgearbeit­et bekommen.“Den entspreche­nden Kredit habe der Trainer.

Der neue Präsident Rainer Bonhof hat in die gleiche Kerbe geschlagen, was anders zu bewerten ist als bei Virkus. Der Manager kann sich einen Wechsel-Hattrick wohl kaum erlauben. Bonhof untermauer­te im Interview mit unserer Redaktion sein Vertrauen in den Trainer. Warum Seoane der Richtige sei? „Erstens, weil er sich ohne Wenn und Aber für uns und unseren Weg entschiede­n hat. Wir haben wichtige Spieler abgegeben, wir haben darum eine Saison mit Hochs und Tiefs – er hat sich nie beschwert“, sagte Bonhof. Und zweitens sei er begeistert von Seoanes Arbeit auf dem Trainingsp­latz, von seiner Akribie,

vor allem mit den jungen Spielern. „All das habe ich lange nicht gesehen bei uns. Darum ist er der Mann, der es richten kann. Mit uns zusammen natürlich. Und mit dem Team“, sagte Bonhof.

Und wie sieht all das „der Mann, der es richten kann“? „Es freut mich, wenn der Klub so ein Statement abgibt und mir Rückendeck­ung gibt. Ich spüre es auch im täglichen Umgang, dass wir diesen Weg gemeinsam gehen“, sagte Seoane in dieser Woche. „Aber ich weiß auch, dass wir von Resultaten leben.“Erst ein Auswärtssi­eg, keine zwei Siege in Folge, 27 Punkte nach Führungen verspielt, die drittmeist­en Gegentore, Kurs auf gerade einmal 37 Punkte – Seoane will selbst viel mehr.

„Ich bin der Meinung, dass unser Weg saisonüber­greifend zu betrachten ist. Es war im letzten Sommer ein Einschnitt und es wird wieder Veränderun­gen geben. Wir wollen deshalb mit einem guten Gefühl aus der Saison gehen, um darauf aufbauen zu können“, erklärte Seoane den „Prozess“, ohne das schwammige Wort in den Mund zu nehmen. „Tabellaris­ch geht es nächste Saison zwar bei null los, aber wir werden viel investiert haben – zwischenme­nschlich, in den Aufbau einer neuen Hierarchie, bei der Integratio­n junger und neuer Spieler.“

Seoane hat gesagt, dass er ein „neues Gladbach“entwickeln will. Er wird die Chance erhalten in der neuen Saison, nicht nur aus Prinzip, weil es zuletzt anders lief, sondern aus Überzeugun­g – vor allem aus seiner eigenen.

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FOTO: DIRK PÄFFGEN Gerardo Seoane steht bis 2026 bei Borussia Mönchengla­dbach unter Vertrag – den will er erfüllen.

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