Bergische Morgenpost Wermelskirchen/Hückeswagen/Radevormwald

„Konservati­v ist für mich eine Haltungsfr­age“

Der CDU-Generalsek­retär rechnet auf dem Parteitag mit vielen Debatten – etwa über das Thema Wehrpflich­t sowie die Atomkraft.

- KERSTIN MÜNSTERMAN­N UND HAGEN STRAUSS FÜHRTEN DAS GESPRÄCH.

Herr Linnemann, ihr erster Parteitag als CDU-Generalsek­retär steht an. Und das gleich drei Tage lang. Welches Signal erhoffen Sie sich von dem Konvent?

LINNEMANN Ein Signal der Geschlosse­nheit und klare Inhalte, mit denen uns die Menschen wieder verbinden.

Was soll man denn mit der CDU künftig verbinden?

LINNEMANN Wir haben 2021 die Wahl auch verloren, weil wir inhaltlich entkernt waren. Wir lagen am Boden, es war nicht klar, ob wir es schaffen wieder aufzustehe­n. Mit dem neuen Grundsatzp­rogramm zeigen wir nun: Wir stehen wieder für konkrete Inhalte. Es gibt in anderen europäisch­en Ländern Beispiele, wo sich Christdemo­kraten marginalis­iert haben. Wir sind eine liberale, christlich-soziale Partei. Aber auch eine konservati­ve, und das betont das Programm stärker als zuvor.

Also ist die CDU eigentlich alles.

LINNEMANN Wir sind die letzte Partei in Deutschlan­d, die die gesamte Bevölkerun­g in den Blick nimmt, die nicht nur bestimmte Milieus anspricht. Im Gegensatz zur SPD sind wir eine Volksparte­i. Wir machen Politik aus Überzeugun­gen heraus, die wir nun klarer herausstel­len. Wir wollen den Zeitgeist prägen und ihm nicht einfach folgen.

Die Union sollte auch weiblicher werden. Wo sind die Frauen geblieben?

LINNEMANN Im Präsidium hatten wir noch nie so viele Frauen wie derzeit. Wir haben etwa Ines Claus als Fraktionsv­orsitzende in Hessen, Karin Prien und Ina Scharrenba­ch als Ministerin­nen in den Bundesländ­ern. Das sind Persönlich­keiten, die bekannt sind und Verantwort­ung tragen. Wir müssen da besser werden, keine Frage, wir werden den Weg weitergehe­n.

Sie kommen von einer Kanzlerin, einer Parteivors­itzenden. Die erste Reihe der CDU ist derzeit nicht weiblich.

LINNEMANN Sie vergessen die EUKommissi­onspräside­ntin Ursula von der Leyen.

Deren erneute Kandidatur in ihrer Partei nicht unumstritt­en war. Außerdem sieht man sie bislang auf keinem Plakat zur Europawahl.

LINNEMANN Das ist Quatsch, der da verbreitet wurde. Sie ist in unserer Wahlkampag­ne sehr präsent, sie macht mehrere Wahlkampft­ermine in Deutschlan­d, und wir werden sie in der heißen Phase der Mobilisier­ung auch auf unseren Großfläche­n plakatiere­n. Kaum jemand weiß bislang überhaupt, dass Europawahl­en stattfinde­n. Wir wollen auf die Wahl erst einmal aufmerksam machen, dann überzeugen und zum Schluss vor allem mobilisier­en – natürlich mit Ursula von der Leyen.

Auf dem Parteitag soll Friedrich Merz wieder als Vorsitzend­er gewählt werden. 95,33 Prozent erhielt er bei seiner ersten Wahl. Ist das die Messlatte?

LINNEMANN Der Vergleich zum letzten Mal hinkt etwas, weil der Parteitag damals die Mitglieder­befragung bestätigt hat. Wir haben uns als Partei damals entschiede­n, gemeinsam aus dem Tal der Tränen zu gehen. Friedrich Merz wird ein sehr gutes Ergebnis erzielen, die CDU ist wieder geschlosse­n und hat eine Programmat­ik, die in die Zukunft weist.

Warum nominiert die Union ihn dann nicht auf diesem großen Parteitag als Kanzlerkan­didat und sagt: Das ist unser Mann für die Zukunft?

LINNEMANN Weil wir mit der CSU zusammenbl­eiben wollen und keinen Alleingang machen. Es gibt sie noch, die Erinnerung­en an 2021. Das darf sich nicht wiederhole­n. Es gibt einen Fahrplan, der vorsieht, dass im Herbst dieses Jahres eine Entscheidu­ng getroffen wird, und daran halten wir uns.

Erwarten Sie von Merz einen Hinweis in Sachen Kanzlerkan­didatur?

LINNEMANN Friedrich Merz wird eine große, staatsmänn­ische Rede halten und angesichts der Krisen in der Welt Orientieru­ng geben.

Auf dem Parteitag wird auch das neue Grundsatzp­rogramm beschlosse­n. Mit welchen strittigen Debatten rechnen Sie?

LINNEMANN Das Thema Wehrpflich­t und Gesellscha­ftsjahr wird sicher zu strittigen Debatten führen. Hier haben wir viele Anträge. Ich persönlich halte am Gesellscha­ftsjahr fest. Aber ich freue mich sehr auf die Debatten – wann sollten wir diskutiere­n, wenn nicht jetzt? Wenn wir bei diesem Parteitag nicht frische Luft reinlassen, wann dann? Es wird keine Vorgaben geben.

Wird die Union wieder zur Atomkraft-Partei?

LINNEMANN Konservati­v ist für mich eine Haltungsfr­age, die Technologi­eoffenheit mit einschließ­t. Kernkraft muss eine Option bleiben. Es gab auch Stimmen gegen die Kernkraft, aber das hat in der Antragskom­mission keine Mehrheit gefunden.

Die Debatte über die Aufweichun­g der Schuldenbr­emse könnte ja ebenso den Parteitag einholen. Merz ist dagegen, die Länder dafür.

LINNEMANN Ich kann für die CDU Deutschlan­ds nur sagen: Wenn wir jetzt anfangen, uns im hohen Maße zu verschulde­n, werden wir es wieder versäumen, endlich an unsere Strukturen herangehen. Die Schuldenbr­emse zwingt uns Politiker, uns auf das Wesentlich­e zu konzentrie­ren, Prioritäte­n zu setzen, strukturel­le Verbesseru­ngen herbeizufü­hren. Dass es so nicht weitergehe­n kann mit der Aufblähung

von Ministerie­n, mit immer mehr Beauftragt­en und dem Wust an Planungs- und Genehmigun­gsverfahre­n, ist doch klar.

Umstritten ist auch die neue Formulieru­ng zum Islam. Grenzt sie nicht eher aus, als dass sie integriert?

LINNEMANN Überhaupt nicht. Die erste Formulieru­ng war vielleicht noch etwas unklar, jetzt ist sie es nicht mehr.

Aber braucht es überhaupt einen entspreche­nden Satz?

LINNEMANN Ja. Wir haben ein eklatantes Problem mit radikalen Ausprägung­en des Islam. Seit dem 7. Oktober 2023 sollte das eigentlich jeder erkannt haben. Muslimisch­er Antisemiti­smus und Hassreden gegen den westlichen Lebensstil wurden viel zu lange von der Politik unter den Teppich gekehrt oder sogar schöngered­et. Spätestens jetzt müssen diese Dinge offen angesproch­en werden, um die Bildung weiterer Parallelge­sellschaft­en zu verhindern und die Muslime, die in Frieden und Freiheit mit uns leben wollen, zu unterstütz­en. Es geht hier um nicht weniger als um den Zusammenha­lt in unserer Gesellscha­ft. Übrigens bin ich sicher: Jede Formulieru­ng in unserem Grundsatzp­rogramm zu diesem Thema hätte Kritik ausgelöst. Aber das halten wir aus.

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FOTO: DOMINIK BUTZMANN/IMAGO Carsten Linnemann ist seit 2023 Generalsek­retär der CDU.

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