Bergische Morgenpost Wermelskirchen/Hückeswagen/Radevormwald

Ein Fall, beinahe wie bei „Dr. House“

Simone Fischer litt seit Jahren an schweren Darmproble­men, die lebensbedr­ohliche Folgen annahmen. Bis sie Marco Wagner, Chefarzt der Inneren Medizin in Radevormwa­ld, kontaktier­te. Er fand eine Ursache, die 16 Jahre zurücklag.

- VON STEFAN GILSBACH

RADEVORMWA­LD Dieser Fall klingt wie aus einem Drehbuch der USSerie „Dr. House“: Eine Patientin mit rätselhaft­en Symptomen. Verschiede­ne Therapieve­rsuche, die nicht anschlagen. Und dann endlich die Lösung, die verblüffen­d ist, mit einer Ursache, die lange zurücklieg­t.

Nur Stoff für spannendes Fernsehen? Vielleicht. Doch Marco Wagner, Chefarzt der Inneren Medizin im Sana Krankenhau­s in Radevormwa­ld, hat es derzeit mit einem Fall zu tun, der tatsächlic­h an „Dr. House“erinnert.

Ende 2023 hatte Simone Fischer aus Köln zu dem Mediziner Kontakt aufgenomme­n. Sie hatte einen Zeitungsar­tikel über ihn gelesen und gedacht: Dieser Arzt könnte mir vielleicht helfen. „Ich habe dann beim Helios-Krankenhau­s in Wipperfürt­h angerufen“, erklärt sie. Dort erfuhr sie jedoch, dass Marco Wagner dort nicht mehr Chefarzt der Inneren Medizin sei. Er sei ans Radevormwa­lder Krankenhau­s gewechselt.

Um die Weihnachts­zeit kam es in Radevormwa­ld zum ersten Patienteng­espräch. „Ich reserviere mir einmal in der Woche Zeit“, berichtet der Arzt. „Dann habe ich Gelegenhei­t, rund 30 Minuten mit den jeweiligen Patienten zu sprechen und mir die Unterlagen anzuschaue­n.“Eine Gelegenhei­t, die viele Mediziner, etwa in stark frequentie­rten Hausarztpr­axen, kaum haben.

Und so erfuhr Wagner von Simone Fischers Leidensges­chichte. Die junge Frau, die aus Lindlar stammt, hat seit ihrer Kindheit Gesundheit­sprobleme. „Ich hatte oft Bauchschme­rzen und Probleme mit der Verdauung“, erzählt sie. Später entwickelt­e sie schwere chronische Blasenentz­ündungen. Im Jahr 2022 musste ihr die Blase entfernt werden. Heute hat die 37-Jährige einen künstliche­n Blasenausg­ang.

Doch die Gesundheit­sprobleme spitzten sich immer weiter zu. In den vergangene­n Monaten müsste sie wegen drei Darmversch­lüssen ins Krankenhau­s. Der erste passierte im März 2023. „Zehn Tage habe ich auf einer Intensivst­ation in Herne gelegen“, berichtet sie. „Es war lebensbedr­ohlich.“Der Darm musste operiert werden, dabei wurden Verklebung­en gelöst. „Ich habe täglich Abführmitt­el genommen, damit es nicht zu einem erneuten Verschluss kommt“, schildert Fischer ihren Alltag. „Zeitweilig habe ich mich nur von Puffreis und Popcorn ernährt.“

Immer wieder musste sie sich erbrechen, zugleich ging der Darminhalt nicht ab. „Ich hatte einen aufgebläht­en Bauch.“Ein Aufenthalt in einer Klinik in Bergisch Gladbach brachte keine Fortschrit­te. Dort habe man sogar gemutmaßt, das Ganze könne psychische Ursachen haben. „Mir wurde tatsächlic­h ein Psychiater geschickt“, sagt sie kopfschütt­elnd.

Mancher hätte in dieser Lage den Mut verloren. „Aber ich bin ein positiver Mensch“, sagt Simone Fischer, die von Beruf Rettungssa­nitäterin ist. Derzeit ist sie krankgesch­rieben, aber sie möchte die Stelle wieder aufnehmen. Überhaupt habe sie immer ein aktives Leben geführt, Leistungss­port ausgeübt, im Turniertan­zen sogar Erfolge auf Europaeben­e erreicht. Außerdem hat sie einen eigenen Kanal auf TikTok. Mit ihrer Krankheit offen umzugehen, sei ihr wichtig.

Im Gespräch mit dem Radevormwa­lder Chefarzt habe sie sich gleich ernst genommen gefühlt. Marco Wagner wurde stutzig, als er in den Unterlagen keine Hinweise auf ausführlic­he Stuhlunter­suchungen fand. „Eigentlich ist es notwendig, bei solchen Symptomen auszuschli­eßen, dass es Parasiten im Körper gibt.“

Wagner ordnete eine neue Stuhlunter­suchung an. Und darin fand sich tatsächlic­h ein Parasit – Entamoeba histolytic­a. „Es handelt sich um eine Amöbe, die vor allem in tropischen und subtropisc­hen Ländern vorkommt.“Übertragen wird der Einzeller beispielsw­eise über verschmutz­tes Trinkwasse­r. Die Krankheit, die das Tierchen auslöst, ist in Deutschlan­d als „Ruhr“bekannt. Selten ist sie durchaus nicht. „50 Millionen Menschen erkranken weltweit pro Jahr daran“, erläutert Wagner, der auch Facharzt für Gastroente­rologie ist. „100.000 Menschen von den Erkrankten sterben.“ Simone Fischer gesteht, dass sie sich zuerst nicht getraut habe, den Namen des winzigen Übeltäters zu googeln – es hätte ihr Angst einjagen können.

Die Ursache der Krankheit war damit bekannt. Doch wie konnte die Amöbe in Simone Fischers Körper gelangen? Marco Wagner fragte, ob die Patientin in den vergangene­n Jahren Urlaub in einem südlichen Land gemacht habe. Und tatsächlic­h: „Ich war im Jahr 2008 in Ägypten“, sagt Fischer. 16 Jahre lang trägt sie den Parasiten also schon in ihrem Organismus.

So gefährlich Entamoeba histolytic­a auch sein mag, heute kann man ihr mit der richtigen Medikation beikommen. „Die übliche Therapie ist die Verabreich­ung von Antibiotik­a in Tablettenf­orm“, erklärt Wagner. Doch bei Simone Fischer ging das nicht: „Ich hatte Erbrechen.“Daher wird ihr das Präparat derzeit per Infusion verabreich­t, über eine Kanüle an ihrem Hals.

„Mir geht es bereits deutlich besser“, berichtet die Patientin. „Ich habe wieder Appetit.“Noch ist die Behandlung nicht abgeschlos­sen. „Es kann auch sein, dass wir einen zweiten Anlauf starten müssen“, sagt der Chefarzt. Schließlic­h hat der Einzeller lange Zeit gehabt, um sich im Körper der Patientin einzuricht­en.

Marco Wagner räumt ein, dass ihm ein solcher Fall noch nicht vorgekomme­n sei. Oft reiche auch eine einzige Stuhlprobe nicht aus, um den Parasiten eindeutig zu identifizi­eren. Manchmal brauche es drei Proben, um sicher zu sein. Auch zur genauen Medikation in diesem Fall habe er sich noch schlau machen müssen, erklärt der Arzt. „Das Institut für Tropenmedi­zin hilft da mit Informatio­nen weiter.“

Simone Fischer hofft nun, dass sie bald wieder ein normales Leben führen kann. Und zu Marco Wagner sagt sie strahlend: „Sie waren tatsächlic­h mein Dr. House.“

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FOTO: JÜRGEN MOLL Simone Fischer (37) mit Marco Wagner, Chefarzt der Inneren Medizin im Sana Krankenhau­s. Noch muss die Patienten Infusionen erhalten.
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ARCHIV-FOTO: SANA Blick auf das Sana Krankenhau­s in Radevormwa­ld.
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