Bergische Morgenpost Wermelskirchen/Hückeswagen/Radevormwald
Ein Fall, beinahe wie bei „Dr. House“
Simone Fischer litt seit Jahren an schweren Darmproblemen, die lebensbedrohliche Folgen annahmen. Bis sie Marco Wagner, Chefarzt der Inneren Medizin in Radevormwald, kontaktierte. Er fand eine Ursache, die 16 Jahre zurücklag.
RADEVORMWALD Dieser Fall klingt wie aus einem Drehbuch der USSerie „Dr. House“: Eine Patientin mit rätselhaften Symptomen. Verschiedene Therapieversuche, die nicht anschlagen. Und dann endlich die Lösung, die verblüffend ist, mit einer Ursache, die lange zurückliegt.
Nur Stoff für spannendes Fernsehen? Vielleicht. Doch Marco Wagner, Chefarzt der Inneren Medizin im Sana Krankenhaus in Radevormwald, hat es derzeit mit einem Fall zu tun, der tatsächlich an „Dr. House“erinnert.
Ende 2023 hatte Simone Fischer aus Köln zu dem Mediziner Kontakt aufgenommen. Sie hatte einen Zeitungsartikel über ihn gelesen und gedacht: Dieser Arzt könnte mir vielleicht helfen. „Ich habe dann beim Helios-Krankenhaus in Wipperfürth angerufen“, erklärt sie. Dort erfuhr sie jedoch, dass Marco Wagner dort nicht mehr Chefarzt der Inneren Medizin sei. Er sei ans Radevormwalder Krankenhaus gewechselt.
Um die Weihnachtszeit kam es in Radevormwald zum ersten Patientengespräch. „Ich reserviere mir einmal in der Woche Zeit“, berichtet der Arzt. „Dann habe ich Gelegenheit, rund 30 Minuten mit den jeweiligen Patienten zu sprechen und mir die Unterlagen anzuschauen.“Eine Gelegenheit, die viele Mediziner, etwa in stark frequentierten Hausarztpraxen, kaum haben.
Und so erfuhr Wagner von Simone Fischers Leidensgeschichte. Die junge Frau, die aus Lindlar stammt, hat seit ihrer Kindheit Gesundheitsprobleme. „Ich hatte oft Bauchschmerzen und Probleme mit der Verdauung“, erzählt sie. Später entwickelte sie schwere chronische Blasenentzündungen. Im Jahr 2022 musste ihr die Blase entfernt werden. Heute hat die 37-Jährige einen künstlichen Blasenausgang.
Doch die Gesundheitsprobleme spitzten sich immer weiter zu. In den vergangenen Monaten müsste sie wegen drei Darmverschlüssen ins Krankenhaus. Der erste passierte im März 2023. „Zehn Tage habe ich auf einer Intensivstation in Herne gelegen“, berichtet sie. „Es war lebensbedrohlich.“Der Darm musste operiert werden, dabei wurden Verklebungen gelöst. „Ich habe täglich Abführmittel genommen, damit es nicht zu einem erneuten Verschluss kommt“, schildert Fischer ihren Alltag. „Zeitweilig habe ich mich nur von Puffreis und Popcorn ernährt.“
Immer wieder musste sie sich erbrechen, zugleich ging der Darminhalt nicht ab. „Ich hatte einen aufgeblähten Bauch.“Ein Aufenthalt in einer Klinik in Bergisch Gladbach brachte keine Fortschritte. Dort habe man sogar gemutmaßt, das Ganze könne psychische Ursachen haben. „Mir wurde tatsächlich ein Psychiater geschickt“, sagt sie kopfschüttelnd.
Mancher hätte in dieser Lage den Mut verloren. „Aber ich bin ein positiver Mensch“, sagt Simone Fischer, die von Beruf Rettungssanitäterin ist. Derzeit ist sie krankgeschrieben, aber sie möchte die Stelle wieder aufnehmen. Überhaupt habe sie immer ein aktives Leben geführt, Leistungssport ausgeübt, im Turniertanzen sogar Erfolge auf Europaebene erreicht. Außerdem hat sie einen eigenen Kanal auf TikTok. Mit ihrer Krankheit offen umzugehen, sei ihr wichtig.
Im Gespräch mit dem Radevormwalder Chefarzt habe sie sich gleich ernst genommen gefühlt. Marco Wagner wurde stutzig, als er in den Unterlagen keine Hinweise auf ausführliche Stuhluntersuchungen fand. „Eigentlich ist es notwendig, bei solchen Symptomen auszuschließen, dass es Parasiten im Körper gibt.“
Wagner ordnete eine neue Stuhluntersuchung an. Und darin fand sich tatsächlich ein Parasit – Entamoeba histolytica. „Es handelt sich um eine Amöbe, die vor allem in tropischen und subtropischen Ländern vorkommt.“Übertragen wird der Einzeller beispielsweise über verschmutztes Trinkwasser. Die Krankheit, die das Tierchen auslöst, ist in Deutschland als „Ruhr“bekannt. Selten ist sie durchaus nicht. „50 Millionen Menschen erkranken weltweit pro Jahr daran“, erläutert Wagner, der auch Facharzt für Gastroenterologie ist. „100.000 Menschen von den Erkrankten sterben.“ Simone Fischer gesteht, dass sie sich zuerst nicht getraut habe, den Namen des winzigen Übeltäters zu googeln – es hätte ihr Angst einjagen können.
Die Ursache der Krankheit war damit bekannt. Doch wie konnte die Amöbe in Simone Fischers Körper gelangen? Marco Wagner fragte, ob die Patientin in den vergangenen Jahren Urlaub in einem südlichen Land gemacht habe. Und tatsächlich: „Ich war im Jahr 2008 in Ägypten“, sagt Fischer. 16 Jahre lang trägt sie den Parasiten also schon in ihrem Organismus.
So gefährlich Entamoeba histolytica auch sein mag, heute kann man ihr mit der richtigen Medikation beikommen. „Die übliche Therapie ist die Verabreichung von Antibiotika in Tablettenform“, erklärt Wagner. Doch bei Simone Fischer ging das nicht: „Ich hatte Erbrechen.“Daher wird ihr das Präparat derzeit per Infusion verabreicht, über eine Kanüle an ihrem Hals.
„Mir geht es bereits deutlich besser“, berichtet die Patientin. „Ich habe wieder Appetit.“Noch ist die Behandlung nicht abgeschlossen. „Es kann auch sein, dass wir einen zweiten Anlauf starten müssen“, sagt der Chefarzt. Schließlich hat der Einzeller lange Zeit gehabt, um sich im Körper der Patientin einzurichten.
Marco Wagner räumt ein, dass ihm ein solcher Fall noch nicht vorgekommen sei. Oft reiche auch eine einzige Stuhlprobe nicht aus, um den Parasiten eindeutig zu identifizieren. Manchmal brauche es drei Proben, um sicher zu sein. Auch zur genauen Medikation in diesem Fall habe er sich noch schlau machen müssen, erklärt der Arzt. „Das Institut für Tropenmedizin hilft da mit Informationen weiter.“
Simone Fischer hofft nun, dass sie bald wieder ein normales Leben führen kann. Und zu Marco Wagner sagt sie strahlend: „Sie waren tatsächlich mein Dr. House.“