Lifestyle very british
London calling: Dem Brexit-Chaos zum Trotz – Great Britain ist angesagter denn je. Ob modisches Karo-Allover, Vintage Country Style, erlesene Trinkkultur, „Männer-Hobbys“oder preisgekrönte Serien: Produkte der Insel boomen.
Der Reiz von Great Britain liegt vor allem in seiner Polarität. Auch in der Mode – gediegene, zeitlose Klassiker vom Glencheck-Blazer über das Burberry-Karo prägen das Bild. Gleichzeitig hat die Insel drei der revolutionärsten Modetrends hervorgebracht: den Minirock von Mary Quant in den 60er Jahren, die Punkmode von Vivienne Westwood in den 70ern sowie die knallige Mode der Rave-Bewegung in den 90ern. Great Britain steht für Landadel und Shakespeare, genauso wie für Anarcho-Spaß von Monty Python bis Mister Bean. Peter Sondheim, gebürtiger Londoner und Inhaber des Piccadilly English Shops in Stuttgart, bestätigt die zwei gegensätzlichen Meinungen über das Inselvolk. „Die einen sehen in Großbritannien die Klassenstände, das Rosamunde-Pilcher-Feeling mit wunderschönen Landhäusern. Die anderen sehen ein Volk voll pöbelnder Hooligans.“
Dabei ist der „Pilcher-E ekt“ein deutsches Phänomen. Seit 1985 wurden 116 selbst produzierte Romanverfilmungen über das ZDF ausgestrahlt. Laut dem Tourismusverband von Cornwall suchen pro Jahr rund 200 000 deutsche Touristen die Originalschauplätze der Liebesromane auf.
Mehr „Posh“für die Garderobe
Modisch kommt der Britain Style in der diesjährigen Herbst-Wintersaison groß raus. Tweed, Glencheck und Tartan sind allgegenwärtig. Blumendrucke in gedeckten, pastellartigen Farben erinnern an edles Porzellan und englische Gärten. Verspielte Tiermotive, einer der großen Trends des Jahres, werden im britischen Landhausstil schon lange charmant umgesetzt. Vögel, Hasen, Rehe, Hunde und sonstiges Getier setzen auf Kissenbezügen, Plaids und Blusen gleichermaßen Akzente. Den vollendet-veredelten „Posh“(Chic) erhält die Wintergarderobe durch Vintage-Spitze plus royale Insignien wie aufgedruckte Krönchen, Wappen und Embleme.
Auch Gustiöses will stilvoll präsentiert werden. Im Piccadilly English Shop in Stuttgart gibt es nicht nur Geschenkartikel von den Britischen Inseln, sondern auch Teeservice und kulinarische Spezialitäten zu kaufen. „Englisches Gebäck ist besonders beliebt. Die Briten haben diesbezüglich mehr Vielfalt“, sagt Sondheim. Veredelt werden die Backwaren durch Ingredienzen wie Bergamotte-Öl, Lavendelblüten sowie exotische Gewürze rund um Ingwer, Kardamom und Kurkuma, die über die einstigen Kolonien auf die Insel importiert wurden. Was viele nicht wissen: „Neben süßem Gebäck werden zur Tea-Time vor allem Gurken-Sandwiches serviert.“
Das perfekte Männerhobby
Am meisten vermisst Sondheim die Pub-Kultur seiner alten Heimat, für ihn der Inbegri britischen Lifestyles. „In England ist es üblich, auch nachmittags auf ein kurzes Bier in einen Pub zu gehen. Dort tri t sich jeder, von der feinen Dame mit Hund bis zum Bauarbeiter.“
Apropos Trinkkultur: ob Slow Gin Fizz oder Whisky Sour – die hiesige Barszene wurde in den vergangenen Jahren stark von Great Britain beeinflusst. Sondheim, der ebenso Besitzer des Best Whisky Shops in Stuttgart ist, bestätigt die ungebremste Nachfrage nach englischen Spirituosen. Während Gin von beiden Geschlechtern gerne getrunken werde, sei Whisky ein ideales Männerhobby: „Sie haben den Anreiz, bestimmte Erstund Sonderabfüllungen zu sammeln, sich eine erlesene Kollektion aufzubauen und in einer gemütlichen Herrenrunde zu verkosten.“
Beim In-Getränk Gin Tonic komme es hingegen auf hochwertige Tonics an. Sein Tipp: „Niemals Tonic Water in Pet-Flaschen kaufen und darauf achten, dass es eine feine Bitternote hat. Es sollte nicht zu süß sein.“Für promillefreien Genuss bietet sich alkoholfreies Ginger Beer an, eine herbe Alternative zu Limonade und Bestandteil vieler Trend-Cocktails wie dem London oder Moscow Mule.
Serien wie „Downton Abbey“, „The Crown“sowie der mit überwiegend britischem Ensemble besetzte Welterfolg „Games of Thrones“sind längst zum Popkultur-Phänomen geworden. In China verfolgten wöchentlich über 160 Millionen
Zuschauer das Geschehen auf Highclere Castle, dem Schauplatz von „Downton Abbey“. Daraufhin wurden sogar Butler-Schulen im Land der Mitte gegründet. Modedesigner wie Marc Jacobs und Ralph Lauren ließen sich von der Mode der Serie inspirieren und verliehen der Vintage-Bewegung neuen Aufschwung.
Britische Serienerfolge gründen vor allem auf deren herausragendem Schauspielensemble. Die Akteure haben in Talentschmieden wie der Royal Academy of Dramatic Art von der Pike auf gelernt. Daneben bieten sie etwas fürs Auge. Den Titel „Sexiest Man Alive 2019“trägt der Londoner Idris Elba; der Sherlock-Darsteller Benedict Cumberbatch wurde von der Tierschutzorganisation Peta zum „Sexiest Vegan 2018“gewählt. Seine weiblichen Fans bezeichnen sich augenzwinkernd als „Cumberbitches“.
Und die Damenwelt? Während ihre US-Kolleginnen häufig dem Botox-Wahn zum Opfer fallen, setzen vielfach ausgezeichnete Aktricen wie Maggie Smith,
Judi Dench und Helen Mirren auf Natürlichkeit und können daher auch im hohen Alter das tun, wofür sie ausgebildet wurden: glaubhaft Emotionen darstellen. Sie sind so unverwüstlich wie die britischen Königinnen, um die derzeit ein Biopic (Filmbiografie) nach dem anderen gedreht wird.
Humor und pinkfarbene Kostüme
Königin Victoria und Königin Elizabeth II. gelten als die am längsten regierenden Monarchen der Welt. Die Faszination der Deutschen für das englische Königshaus beobachtet Sondheim bei seiner Kundschaft jeden Tag aufs Neue. „Hier bei uns wird mittlerweile mehr über die Royal Family geredet als in Großbritannien.“
Zudem zeigt Elizabeth II., dass Humor und pinkfarbene Kostüme keine Frage des Alters sind. Ein Beispiel: Die Regentin wurde auf ihrem diesjährigen Sommerurlaub im schottischen Balmoral von einer Touristengruppe nicht erkannt. Sie fragten die 93-jährige, ob sie die Queen persönlich kenne. Woraufhin diese schlagfertig entgegnete: „Ich nicht, aber der da schon!“und zeigte auf einen ihrer Sicherheitsleute. Für diesen schwarzen Humor wird das Inselvolk verehrt.
Street Style in London: In Sachen Mode haben die Briten schon immer einen eigenen Geschmack bewiesen.