Vom Flüchtling zum Eisenbahner
Verkehr Der Arbeitsmarkt für Lokführer ist leergefegt, oft fallen Züge wegen Personalmangels aus. In Mannheim werden derzeit 15 Migranten ausgebildet. Ein Problem: das spezielle Bahnerdeutsch. Von David Nau
ilad Shamoun bekommt an diesem Tag einen unerwarteten Nebensitzer. „Hallo, ich bin Winfried Hermann“, stellt sich der Neue vor und begrüßt seine Nebensitzer zur Linken und zur Rechten mit Handschlag. Der baden-württembergische Verkehrsminister drückt an diesem Nachmittag wieder die Schulbank – zumindest für eine knappe Stunde.
Der Grünen-Politiker ist zu Gast bei der MEV-Eisenbahn-Verkehrsgesellschaft in Mannheim. Dort werden seit Anfang Oktober 15 Flüchtlinge aus Syrien in einem speziellen Kurs zu Lokführern – oder Triebfahrzeugführern, wie der Beruf korrekterweise heißt – ausgebildet. Ein Kurs in Stuttgart soll folgen, für einen dritten in Hechingen fanden sich nicht genügend Bewerber.
MDie Idee für dieses Projekt hatte Hermann im Januar mit großem Medien-Tamtam vorgestellt – und war sofort aus der rechten Ecke angefeindet worden. „Warum stellt ihr keine Deutschen ein?“, sei ihm vorgeworfen worden, berichtet der Verkehrsminister. „Wir haben ein Personalproblem, der Markt ist leergefegt“, sagt Hermann. Für jeden vierten ausgefallenen Zug in BadenWürttemberg sei der Grund ein erkrankter Lokführer. Man leiste also mit dem Modellprojekt nicht nur einen Beitrag für die Integration von Flüchtlingen, „wir tun auch etwas Gutes für Bahnfahrer“, erklärt Hermann.
Getragen wird das rund eine Million Euro teure Projekt von mehreren Partnern. Die Vekehrsunternehmen Abellio, Go-Ahead, MEV und Albtal-Verkehrs-Gesellschaft (AVG) stellen die Auszubildenden an, finanziert wird die Ausbildung von der Bundesagentur für Arbeit. Das Land stellt „Integrations-Coaches“bereit, die bei Sprachproblemen und Behördengängen unterstützen.
Für Milad Shamoun ist die Ausbildung eine große Chance. Der 22-Jährige lebt seit drei Jahren in Deutschland. Wegen des Krieges musste er nach dem Abitur aus seiner Heimat in Syrien fliehen, eigentlich wollte er dort nach dem Schulabschluss Maschinenbau studieren. Jetzt also die Ausbildung in Deutschland. „Ich bin sehr froh, dass es geklappt hat“, sagt Shamoun. Der junge Mann lebt im Landkreis Karlsruhe und pendelt täglich drei Stunden nach Mannheim und wieder zurück. In den ersten Wochen hat er gemeinsam mit seinen 15 Klassenkameraden viel Eisenbahn-Theorie gelernt, zum Beispiel Signalkunde. „Es macht Spaß, aber ist schon schwer“, sagt er. Vor allem die spezielle „Eisenbahnersprache“mache ihm zu scha en. „Gegengleisfahrt-Ersatzsignal“– für Begri e wie diese gebe es im Arabischen gar keine Übersetzung, sagt Peter Hofsäss, der die Klasse unterrichtet.
Fahren lernen am Simulator
Ein Jahr lang werden die Auszubildenden in Mannheim unterrichtet, lernen die rund 320 Signale im Eisenbahnverkehr kennen und üben am Simulator das Fahren von Zügen. Bei der AVG in Karlsruhe, wo Shamoun angestellt ist, durfte er bereits am Simulator eine Stadtbahn fahren. „Das ist eine schöne Sache“, sagt der 22-Jährige. Er ho t, dass er in einem Jahr nicht mehr nur am Simulator durch Karlsruhe fährt, sondern dann am Steuer einer richtigen Stadtbahn sitzt.
Die Gefahr, dass fertig ausgebildete und motivierte Lokführer abgeschoben werden könnten, sieht Verkehrsminister Hermann nicht. Alle Teilnehmer des Programms hätten einen gesicherten Aufenthaltsstatus. Und falls doch eine Abschiebung drohe, müsse man mit „einem persönlichen Aufstand“von ihm rechnen.
Im Klassenzimmer ermutigt der Minister seine Nebensitzer noch, trotz Sprachschwierigkeiten durchzuhalten. „Ich wünsche mir, dass Sie alle durchkommen und nicht aufgeben“, sagt der Minister. „Niemals“, antwortet einer der Auszubildenden. Einen Anreiz gibt Hermann noch mit auf den Weg: „Wenn Sie Ihren ersten Zug fahren, dann werde ich dabei sein.“
Übungsstunde im Zugsimulator: Verkehrsminister Winfried Hermann (Grüne) mit Geflüchteten.
Milad Shamoun ho t, dass er bald die Stadtbahn in Karlsruhe fährt.