Bruch oder Aufbruch
Das Kalkül ist kaum zu übersehen. Weil sich langsam herausschält, dass die Zwischenbilanz der großen Koalition wohl nicht zu deren Ende führt, bringen die Kritiker des Regierungsbündnisses jetzt Nachverhandlungen ins Gespräch. Auf Seiten der SPD träumen einige von einer Kindergrundsicherung, auf Unionsseite wird ein verpflichtendes Dienstjahr in die Debatte gebracht. All die Projekte, die es vor anderthalb Jahren nicht in den Koalitionsvertrag geschafft haben, werden noch einmal hervorgeholt – angeblich, um der Bundesregierung einen Aufbruch zu ermöglichen. Dabei geht es eigentlich um einen Bruch.
Die Chancen, dass sich SPD und Union noch einmal auf ein Arbeitsprogramm einigen können, sind seit Antritt der Bundesregierung schließlich nicht gerade gewachsen. Denn beide große Parteien sind deutlich instabiler als zu Beginn 2018. Und anders als damals würde jetzt zudem nach einem Scheitern der Gespräche kein politischer Stillstand mehr drohen – nach Neuwahlen würde der Bundestag mit Sicherheit anders aussehen. Es gäbe Alternativen zur großen Koalition. Wer Nachverhandlungen fordert, kalkuliert diese Alternativen mit ein.
Die Groko-Befürworter auf beiden Seiten gingen also ein großes Risiko ein, wenn sie sich auf diese Debatte einließen. Sinnvoller wäre es für sie, zu zeigen, warum sie für die Koalition stehen. Das geht nur, indem sie das Leben der Menschen kontinuierlich verbessern. Das kann auch mit Maßnahmen geschehen, die nicht im Koalitionsvertrag stehen. Eine funktionierende Regierung muss ohnehin in der Lage sein, über ihre Arbeitsgrundlage hinaus zu agieren, ohne gleich sich selbst in Frage zu stellen.